Название | 1 PUNKT |
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Автор произведения | Helmut Ecklkofer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944987330 |
ABSOLUT(ION)
DIE STERNE VERBLASSEN LANGSAM
Kim sieht aus dem Fenster. Der Festplatz am Ende der Straße leert sich langsam. Nur vereinzelte Musikfetzen dringen durch das Glas in den Raum. Sie trägt ein figurbetontes lavaschwarzes Kleid und ein mandarinfarbenes Armband mit einer silbernen Kugel. Ihre ahornbraunen Locken fallen lässig über ihren Hals. Sie sollte eigentlich in Muskat sein. Dort ist es jetzt sieben Uhr morgens. Die Sterne verblassen langsam im Dämmerlicht. Skelettartige Hunde stöbern in den Mauerresten nach Essbarem. Schrill klingt es aus den Lautsprechern, denn der Muezzin ruft zum Morgengebet. Leichen liegen verstreut wie ausgelegte Köder auf den staubigen Straßen. Kurzfristig wurde der Flug annulliert. Jetzt hat es nach dem Jemen, Iran, Irak, Saudi-Arabien auch den Oman erwischt. Der IS weitet sich wie ein Krebsgeschwür aus. Wie schön wäre es in Muskat doch gewesen. Im „The Chedi Hotel“. Sie sah sich schon im 103 m langen Pool schwimmen und abends bei Sonnenuntergang den feinen Lobster im Strandrestaurant bei Kerzenschein verkosten. Kreischende Möwen, Sonne, surferglitzerndes, unendlich scheinendes Meer. Wie würde sie den kühlen Schatten der großen mächtigen Dattelpalmen genießen und sich unter dem sichelförmigen Dach sicher und beschützt fühlen.
SIE FÜHLT SICH SO LEBENDIG
Ein Spaziergang mit Hendrik. Wo bleibt er nur. Er wollte diesmal pünktlich sein. Dieses eine Mal. Die Reise sollte eine Auszeit werden für die beiden. Sie kennen sich nun schon sehr lange und doch gibt es hundert Dinge, die Kim noch wissen will. Heute will sie ihn fragen. Wenn du ein Tier sein könntest, was möchtest du gerne sein? Wenn du ein anderer Mensch sein könntest, wer würdest du gerne sein? Doch noch immer ist nichts von Hendrik zu sehen. So stellt sie sich selbst einige Fragen? Beantwortet sich selbst die Fragen. Sie will vielleicht ein Delphin sein, Delphine lächeln und sind treu. Sie merkt, sie hat das Buch „Hendrik“ durchgeblättert, aber nicht gelesen. So fremd ist er ihr plötzlich. Kim, die schwarze Schönheit. Sie zieht immer die Aufmerksamkeit auf sich. Weltgewandt, anmutig, geschmeidig. Magisch. Das Licht schmiegt sich um ihren Körper. Ihre weinroten Lippen glänzen im Sonnenlicht. Ihre Haut, glatt wie polierter Marmor. Sie fühlt sich so lebendig. Kim will abheben wie ein Hubschrauber und alles von oben betrachten. Wie hoch wird sie fliegen?
BLUE
LEOS KÖRPER WIRD IMMER LEICHTER
ER TAUCHT AB IN DIE TIEFE
Marie legt seine Hand auf ihr Herz. Es klopft. Leben, Liebe, Freude, Begierde, Euphorie, Gefühle. Leo erkennt im Teleskop aus Raum und Zeit sich selbst und taucht ein in sein neues Leben. Es ist wie ein Rausch, ein Glückstaumel in smalteblau. Er genießt das Gefühl, auserwählt zu sein, begehrt zu werden. Er denkt an Faust und Gretchen. Er stellt sich die Gretchenfrage. Taucht immer weiter ein, taucht immer tiefer hinab. Leo wagt sich in die atemlose Stille. Die letzten Sonnenstrahlen durchdringen das türkisfarbene Meer. Er gleitet schwerelos durch die Elemente. Alles um ihn fühlt sich samtig weich an. Kein Laut, nur sein Körper, der astronautengleich und unmanövrierbar den Gezeiten ausgeliefert ist. Er schließt die Augen und sieht Marie mit ihren schwarzen lockigen Haaren, ihren schönen dunklen Augen, ihrer weiblichen Figur. Er denkt an das Lied von Mr. Probz „Waves“ und fühlt sich unendlich frei. Sein Atem wird tiefer. Er genießt die blaue Stunde und würde diese gegen nichts auf der Welt tauschen. Er würde auch die Liebe, die Verschmelzung von Atomen, das Vermischen von Protonen nicht eintauschen. Leos Körper wird immer leichter. Sein Geist sucht die Bilder der letzten Wochen wie ein Computer zusammen, vergleicht sie und bildet daraus ein wunderschönes Panoramabild. Er spürt die Ewigkeit in jeder Sekunde. Die Zeit scheint rückwärts zu laufen. Vor ihm taucht wie aus dem nichts ein Barrakudaschwarm auf. Doch wie auf ein unsichtbares Zeichen stieben die silberglänzenden Fische auseinander wie Blätter im Wind. „Paradies“, denkt er und das Lied klingt in seinen Ohren. Er nimmt jede einzelne Note, jede Harmonie wahr. Er fühlt sich wie Kapitän Nemo in seiner Nautilus 20.000 Meilen unter dem Meer. Leo begibt sich auf eine phantastische Reise. Er lässt sein altes Leben hinter sich und vollzieht eine Metamorphose. Milliarden Perlen hüllen ihn ein und bilden einen Schutzmantel aus reinstem Sauerstoff. Augenblicke schwimmen vorbei wie Delphine. Das Wasser ist tiefblau wie ein tiefer Ton. Aber wo ist Marie. Er taucht auf, dicht an die Wasseroberfläche, die wie ein Spiegel vor ihm liegt. Die Wellen schlagen unaufhaltsam an die steinernen Klippen. Nur die weißen Schiffe teilen das Wasser und durchschneiden das admiralblaue Tuch wie ein Maßschneider den Stoff. Er taucht ab in die Tiefe, durchsucht seine Seele. Irgendjemand hat sie weggezaubert. Marie ist verschwunden aus seinen Gedanken, aus seinen Träumen. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Ein letzter Atemzug, ein letzter Stich. Das Salzwasser in seinen Augen brennt wie Feuer. Die Tränen verschwinden im Meer der Gleichgültigkeit und lösen sich auf. Er verlässt das blaue Element. Er blickt gedankenverloren aufs weite Meer. Aus der Strandbar dröhnt Reggae-Musik herüber. Der Strand leert sich langsam. Nur noch einige Paare schlendern Hand in Hand an Leo vorbei. Nur noch einige unermüdliche Strandverkäufer versuchen ihr Glück mit ihren bunten Tüchern und Hüten, mit ihren Muschelketten und Armbändern. Er legt sich zufrieden in den feinen Sand. Wo endet seine Reise?
PETER PAN
Was würde Rebecca sagen? Vielleicht:
„Kennst Du den Platz zwischen schlafen und wachen? Der Platz wo Deine Träume noch bei Dir sind? Dort werde ich Dich auf ewig lieben, Peter Pan. Dort werde ich auf Dich warten.“
MANCHMAL VERGISST ER ALLES
Rebecca spricht so ehrfürchtig über Peter wie eine Katholikin über ihre Lieblingsheiligen. In der samtigen Dunkelheit bemerkt er ihr Lächeln. Ja, es war wahrscheinlich alles eine Metapher. Der freie Flug ins Wortlose. Er wollte nicht erwachsen werden. Der Himmel strahlt mit Rebecca um die Wette. Die warme weiche Luft streicht leicht über ihre walnussbraune Haut. Gedankenverloren sitzt sie da und blickt aufs weite Meer. Wie ist ihr Verhältnis von Körper und Geist? Irgendwie hat sich seine Seele verändert, denkt Rebecca. Er hat einen unsichtbaren Pakt geschlossen. Manchmal vergisst er alles. Sogar sich selbst. Dann ist er in seiner kleinen dunklen Welt alleine. Es ist fast, als ob er übersinnliche Fähigkeiten besitzt. Doch oft sind seine Träume wie Folter. Moderne Gehirnwäsche.
ER TREIBT IM LUFTLEEREN RAUM
Und doch hat er das Gefühl, alles schon einmal geträumt zu haben. Die endlosen Tage, die endlosen sternenklaren Nächte, in denen er die Sternzeichen deutete, den Großen Wagen, der direkt auf das gestauchte W der Kassiopeia zusteuerte. Auf der breiten Milchstraße war auch noch für den Kleinen Wagen Platz, der gefährlich nah am Großen Bären vorbeizog. Er schwenkt seinen imaginären Zauberstab wie David Copperfield in seinen besten Zeiten. Er lässt alles um sich verschwinden. Den Himmel, die Erde, das Universum, die fernen Galaxien, und übrig bleiben nur die Erinnerungen, die Sehnsüchte, die Träume. Nachzulesen ist alles in dem geheimnisvollen Buch. Die Schwerkraft scheint außer Kraft zu sein und Peter wirkt wie telepathisch auf Rebecca. Er betritt das Gebäude und rennt wie ein Actionheld die Treppe hinauf. Er ist in einem Labyrinth aus Gängen und Türen, aus Entscheidungen und Prioritäten gefangen. Er fragt sich, wo er falsch abgebogen war. Er treibt im luftleeren Raum und seine Lebensuhr tickt unaufhaltsam. Es ist die Nähe, die er schon fast vergessen hat. Früher als all die anderen sah er Bilder von Ereignissen, die noch nicht geschehen waren.