Название | 1 PUNKT |
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Автор произведения | Helmut Ecklkofer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944987330 |
C-CODE
WORTTÜRME BAUEN SICH VOR IHM AUF
ABGEHOBEN VON DER REALEN WELT
Langsam tippt er das Passwort ein. Seine Finger tanzen über die Tastatur. Nicht immer im gleichen Rhythmus. Er fühlt sich in diesem Augenblick wie ein berühmter Pianist, der große Konzertsäle füllt. Inmitten einer elitären Gesellschaft, die frenetisch Beifall klatscht. Es ist, als ob seine Finger mit den Buchstaben sprechen. Worttürme bauen sich vor ihm auf. Text, nichts als Text. Tim ist programmiert auf Leben. Auf Überleben. In seinem Herz tickt eine Zeitbombe. Alle 60 Sekunden eine Detonation. 1440 Mal täglich. Seine Drogen 0.1.010001, Bits und Bytes. Seine Geschichte erzählt er in Millionen Zeilen undurchdringbarer Quellcodes, die über den dunklen Bildschirm huschen wie kleine Lichtpunkte im Universum. Tims Tastsinn erfühlt die Leerstellen auf seiner inneren Landkarte. Er rast mit Überschallgeschwindigkeit an einer Zeitinsel vorbei. Künstliche Intelligenzen begleiten Tim auf seiner Reise, die er wie in Trance weiter fortsetzt. Dunkle Algorithmen kreuzen die Umlaufbahn seiner Gedanken. Der Sinn von Sprache wird zur Sinnsuche. Wörter zerfallen zu Sternenstaub. Sätze verglühen im Sonnensturm. Geschichten verirren sich in der unendlichen Weite des Andromeda-Nebels. Metadaten reihen sich auf, wie schimmernde kostbare Südseeperlen auf der Perlenkette. Künstliche Intelligenz nimmt den Raum neben ihm ein. Computerviren infizieren alle Lebewesen. Schläft er? Träumt er? Er ist gefangen zwischen Lust und Langeweile. Ist es noch der selbe Himmel, der unter seinen Füßen verglüht? Von Milliarden Funkspitzen durchbohrt, unsichtbar durchtrennt, von Daten überfüllt, von Gigabytes überladen? Tims Hirnströme verlassen die Atmosphäre und verbinden sich mit all dem Datenmüll zu einer neuen Galaxie. Tag und Nacht teilen sich das Firmament. Die Gravitation ist außerhalb jeglicher Reichweite. Er blickt gedankenverloren auf seinen ultraflachen Bildschirm und sieht in hungernde Kinderaugen. Er sieht in das Paradies mit Hindernissen, das im Algorithmus der Zeit dahin schwebt. Abgehoben von der realen Welt. Abgekoppelt wie das Raumschiff Voyageur. Sein Herz klopft, das Leben kommt dazwischen. Tim schnappt nach Luft. Dieses unsichtbare Element, das ihm sein Überleben sichert. Ein letzter Atemzug…
THE UNPREDICTABILITY OF HAPPINESS
EIN SPIEL AUF LEBEN UND TOD
DIE EKSTASE IST FÖRMLICH SPÜRBAR
Schlaftrunken bringt Kimberley ihren makellosen Körper aus dem Bett. Sie dirigiert ihn vorbei an ihrem strahlend kaschmirweißen Traum aus Kleidern und Schuhen. Sie erinnert sich nicht an die letzte Nacht. Trotz ihres fotografischen Gedächtnisses hat sie keinerlei Erinnerung. Wo war sie und mit wem? Ihr Mund ist trocken wie Mondstaub. Über die Treppe gelangt sie in das offene Wohnzimmer. Es ist ein strahlender Sommertag. Das Sonnenlicht blendet sie, wie der Lichtbogen beim Schweißen von Stahlteilen. „After the Love has gone“ von Earth Wind and Fire schallt aus unsichtbaren Lautsprechern. Die Musik bringt ihre Erinnerung an den gestrigen Abend wieder zurück. Da war dieser gut aussehende Mann mit den grauen Schläfen und dem Dreitagesbart. Er lächelte ihr zu. Seine blauen Augen strahlten wie Bergkristalle. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Nach schier endlosen Augenblicken sprach er sie an. Hätte sie da nur im Entferntesten erahnt, dass er ein absoluter Psychopath mit einem ausgeprägten Borderline-Syndrom ist. Ja, sie fand ihn im ersten Moment sehr interessant, vielleicht begehrenswert. Es war ein Spiel. Ein Spiel auf Leben und Tod. Er war unberechenbar, das wusste Kimberley. Könnte sie doch Gedanken lesen. Der Tag war noch jung und hatte doch seine Klarheit verloren. Dichte Wolken ziehen vorbei. Das Glück schien so nah und dann die nackte Angst. Sie konnte im Traum manchmal fliegen. Sie geht ihre skurrilen Geistesblitze nochmals durch. War alles nur Einbildung oder die harte Realität? Sie denkt darüber nach, dass man im Leben keinen Einfluss hat, zu wem man sich hingezogen fühlt, man kann sich hinterher einfach nur wundern. Er gab vor, Broker an der Wallstreet zu sein. Dann hat sie kein Wort mehr verstanden und ihn auch kurzzeitig nicht mehr gesehen. Er ist vom künstlichen silbernen Nebel auf der tennisplatzgroßen Tanzfläche verschlungen worden. Sie tanzen zwischen 100 äußerst jungen Skeletten mit teuren Markenklamotten auf ihrer Haut, die sich hinter ihren Designerbrillen verstecken, überwiegend weiblich. Die Musik des DJ mit Wahlheimat Mallorca dröhnt aus meterhohen Blackboxen. Irrwitzige Remixe laufen auf und ab. Funk, Soul und Groove wechseln sich mit Deep House ab und ergeben ein sich immer schneller drehendes Klangkarusell. Er dreht an den imaginären Reglern. Klangkaskaden fallen auf die sich immer schneller drehenden Figuren herab. Grelle Scheinwerfer tauchen alles in ein mystisches, unwirkliches Licht. Hände suchen irgendwo Halt in der aus Bewegung, Musik und süßlichem Duft bestehenden undurchsichtigen Bühne. Die Ekstase ist förmlich spürbar und überträgt sich auf die glatten schmucklosen Betonwände, deren unspektakuläres Grau alles zu verschlucken sucht. Die Bässe vibrieren in den Knochen, das Herz schlägt im 6/8 Rhythmus, wie nach der erfolgreichen Behandlung mit dem Defibrillator. Champagner spritzt wie Weihwasser auf die unheiligen Körper. Das Stroboskobgewitter wirkt dabei wie die Taube des Heiligen Geistes, der auf alle herniederfällt. Das Dickicht aus Körpern, Stimmen, Rauch und Musikfetzen lockert sich von Minute zu Minute. Da erscheint er wieder, der unsichtbare Fremde. Kimberley zögert eine Sekunde. Wägt ab und dann…
START
Seit langer Zeit hört er seine innere Stimme. Das Band im Kassettenrekorder ist auf Anfang gespult. Nun drückt Milan die Starttaste. M. verlässt das Haus schon lange nicht mehr. Das Versprechen vom admiralblauen Himmel liegt lange zurück. Der Tanz ins Licht. Die Welt da draußen ist eine einzige Show. Überbelichtet, das Negativ vom Positiv. Eine skurrile Welt, voll von scheinbarem Gold und kitschigem Plüsch. M. hat allmählich seinen Rhythmus gefunden, nicht zu schnell und nicht zu langsam.
Er balanciert auf dem Schwebebalken in eine neue Zukunft. Er versucht, allen Ballast abzuwerfen. Jeder Tag wird fein säuberlich eingeteilt in 24 gleiche Teile. Der Zeitraster nimmt seine Gedanken, seine Seele, seine Erinnerungen, seine Phantasie, seine Sehnsüchte, seine Freiheit auf. Zeitlos begrüßt er den Morgen, den Tag und die Nacht. Er schwimmt in einem Meer von Zeit – er taucht ab in die UHRzeit – er verschwendet seine LEBENSzeit – er erlebt die EISzeit, die FREIzeit. Er gerät in ein Labyrinth, das für ihn undurchsichtig, ja undurchdringbar ist.
Wie kam ich jetzt darauf? Ach ja, Lotterie des Lebens. M. ist überrascht von seiner irrwitzigen Comedy-Show. Er fühlt sich wie in einem Horror-Zirkus inmitten wilder Bestien. Zwischen Sex und Lametta, Freiheit und Abgrund. Er ahnt nur die Bilder von der Vergänglichkeit. In homöopathischen Dosen werden ihm die Worte verabreicht.
KALT FÜHLT SICH ALLES AN
M. riecht den Duft des Regens. Die Regentropfen prallen auf die feuchte Erde und katapultieren die Moleküle in seine Nase. Die Tropfen zerstäuben schlagartig und bilden kleine Wasserwolken. Nun steht er da, als stiller Held mit Herzkammerflimmern. Was für ein Genuss es doch war, beschützt zu sein. Beschützt in sich selbst. In seiner Liebe, in seiner Euphorie. M. wähnte in jedem Tropfen eine Gefahr.