Название | 1 PUNKT |
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Автор произведения | Helmut Ecklkofer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944987330 |
TACT
Als ich zum ersten Mal diese Bar betrat, faszinierten mich die unzähligen Flaschen. Ich staunte über die Behändigkeit des Mannes hinter dem Tresen und seine ruhige Art. Ich war erstaunt über seine stoische Ruhe, seine Übersicht und sein Lächeln. Scheinbar blind griff er nach den wunderschönen bauchigen Flaschen, deren Farbigkeit sich im fahlen Licht deutlich abhob. Wie ein Magier entlockte er jeder einzelnen Flasche jene Einzigartigkeit. Er mixte vor meinen Augen mit einer mir unvorstellbaren Leichtigkeit. Die überschwänglichen, geradezu provozierenden Namen der Cocktails spürte ich auf meiner Zunge. Er beherrschte den Rhythmus, den Takt wie ein Dirigent, setzte an den richtigen Stellen Pausen, wechselte von piano zu mezzoforte. Er spielte gekonnt mit den Flaschen und deren Inhalt wie auch mit den illustren Gästen.
ES PRICKELT AUF MEINER HAUT
Eine eigene Welt, in der er sich wohlfühlte, tat sich vor mir auf. Eine Art Unterwelt. Es prickelt auf meiner Haut. Ich fühle Nähe, Verlust, Einsamkeit und Begehren in einer Sekunde, wenn der Alkohol sich durch den Mundraub in die Kehle und weiter in meiner Speiseröhre einätzt. Ein warmes Gefühl der Freiheit zerrt an meinen Lippen, die ausgetrocknet sich nach Liebe sehnen. Ich befeuchte die Haut mit Speichel. Meine Zunge spürt die zerrissene Oberfläche, die wie eine Mondlandschaft daliegt. Meine Nase versucht, einen Geruch wahrzunehmen. Vergeblich. Ich verirre mich im Schattenreich der Sucht. Dann tauche ich nochmals ein in die geheime Welt der Drogen. In ein Meer von Pillen und Tabletten. So überlebensgroß ist der Hauptpreis. Wie ein farbenfrohes Bilderbuch umgibt mich die Welt. Meine kleine Welt, die ich mir selbst erschaffen habe aus Perfektionismus, aus Idealismus, aus Harmonie, aus Ängsten und Träumen. Ich investiere in ein Magic Life voller Sweet Love. Eine Slide Show läuft unbemerkt im Hintergrund. Ich werfe meinen Körper in die Bilderflut. Die Wellen der Erkenntnis überspülen mich. Ich versuche, darauf zu surfen. Die Brandung der Ziellosigkeit wird vor mir sichtbar. In der Gischt der Liebe tauche ich wieder auf. Ebbe und Flut ziehen mich an, stoßen mich ab. Wie ein Apnoe-Taucher versuche ich, immer tiefer in die seelenschwarze Ungewissheit vorzudringen.
ICH FLIEGE IN DIE FERNE GALAXIE
Ich warte ungeduldig auf die Happy Hour. Mein Geschmackssinn verlässt mich nicht. Ich schmecke die Klarheit des Getränkes, mein Tastsinn erfühlt die schlanke Flasche mit der filigranen Prägung am Flaschenhals. Die Kombination aus Schmecken und Tasten, aus Riechen und Hören setzt die Grenzen eng. Erstaunlicherweise konnte ich die Zukunft antizipieren. Und ist alles auch Lichtjahre entfernt, der Mut, die Lügen, die Verzweiflung, die Ungewissheit, ich fliege in die ferne Galaxie. Es gibt kein Tabu, kein unvergesslich, ich nehme die Spur der Lügen auf. Doch was bleibt? Die flüchtigen Stoffe, die meine Nase berühren, eine Mischung aus ganz besonderen Düften. Freizügig präsentiert der Mann hinter der Bar seine neuesten Kreationen. Mit einem Monolog gespickt, erinnert mich die Szene an die unzähligen YouTube Videos, die all die Selbstdarsteller tagtäglich posten, uploaden in der Hoffnung auf Likes, Klicks der Bewunderung. Die hell ausgeleuchtete Realität steht gegen die abgrundtiefe Finsternis in den Herzen der Protagonisten. Die fragile Position des erzählenden Ichs steht im Mittelpunkt der Selbstverständlichkeit. Die omnipräsente Zurschaustellung der Intimität, der Individualität – klärt sie uns auf oder verschließt sie unsere Sicht? Geradezu harmlos stehe ich da mit meiner Weltanschauung. Ich verschränke die Arme, doch die bieten mir keinen Schutz. Es ist eine Grenzerfahrung ohne sichtbare Grenzen. Alles scheint im Fluss. Ich blicke nochmal zurück zum Barmann. Er schenkt mir sein schönstes Lächeln zum Abschied. In meinem Körper explodieren kleine Feuerwerke. Ich falle, suche Halt, alles scheint sinnlos. Bis jemand den Knopf an der PlayStation drückt. Game over.
COMING HOME
19. Februar 2017
„Falco lebt“, dringt es aus den Lautsprechern. Jedes Jahr lebt er neu. Die Magie der Unsterblichkeit. Kleine Glücksmomente lösen sich aus der Atmosphäre. Dekadenz drängt sich vor. Die Schlange wird länger. Er sieht sie vor sich, all die schönen Frauen, die ihre volle Weiblichkeit zur Schau stellen. All die Schönheiten, die in seiner Wahrnehmung Albträume auslöst. Schon wollen seine Hände nach den imaginären Hologrammen greifen, doch er greift ins Leere. Mit aller Kraft stemmt sich seine Phantasie gegen dieses Phänomen. Diese unstillbare Gier verfolgt ihn. Die Gegensätze, die er so liebt, scheinen ihn zu zerstören. Er, der Narzisst, zerbricht an seiner Selbstliebe, er erstickt an den übermächtigen Selbstzweifeln. Und immer wenn er die Geschichte erzählt, seine Geschichte, jede Einzelheit, jedes noch so kleine offenbar unwichtige Detail, dann, ja immer dann strahlen seine Augen, dann funkeln sie, wie kunstvoll geschliffene Diamanten. Er sucht einen Zeitvertreib, ein Spiel, das er jederzeit abbrechen kann. Wie wäre es, wenn er von einen auf den anderen Moment aussteigen würde?
ER BLICKT IN VIRTUELLE REALITÄTEN
Er blickt auf sein Handy. Wie lange reicht der Akku noch? Ist es eine spirituelle Sinnsuche? Besitzt er noch die Freiheit zu glauben? Das Gespür für Leben? Er blickt in virtuelle Realitäten. Tiefgründige Gespräche über den Sinn des Lebens folgen. Er fühlt sich wie eine Insel. Vielerlei Gebäude und steinerne Komplexe ragten in den Himmel, gingen ineinander über und bildeten eine gigantische Betonwüste. Schillernde Farben erreichten seine Augen. Er fühlte sich wohl in diesem Moment und mit dem Gefühl, in der alles eine gleichmäßige Einheit sein sollte, die Luft, die Sonnenstrahlen, der klare Himmel, wie unter einer riesigen Glaskuppel von etwas Unsichtbarem zusammengehalten. Sein Leben hängt an dieser Geschichte.
10. März 2017
ER HINTERFRAGT SEIN DASEIN
Eine Melodie wie aus einem Soundtrack legt sich auf seine Ohren. Geloopte Nachrichten, die wundersamen Töne aus einem Spielautomaten mischen sich mit Wortfetzen und unregelmäßigem Zischen. Akustische Muster, die so weit entfernt klingen. Höhen, Tiefen, leise, laut, Wiederholungen, die wie Heimweh klingen. Er ist wie elektrisiert von all den Eindrücken, den Masken und leblosen Gesichtern. Er durchbricht ein neues Level in einem ungleichen Spiel. Zufällige Entdeckungen werden zu spontanen Geschichten verarbeitet. Er erhebt seine Hände und die Geste wirkt wie eine schon tausend Mal ausgeführte Handlung, die Geste eines Pfarrers, der den Kelch des ewigen Bundes in die Höhe streckt, oder einer Braut, die ihren Strauß in die Höhe wirft. Die Lebenslinien treffen sich im Unendlichen und geben erst im Zusammenhang einen Sinn. Die Chiffre löst sich beinahe selbst auf. Er dreht den Zauberwürfel schnell und immer schneller. Die Farben wechseln, verschwinden und werden überdeckt von seinen flinken Fingern. In diesem Moment verlieren seine Finger den Kontakt und der Zauber ist zu Ende. Er hinterfragt sein Dasein, seine Rolle in dem Spiel. In Zeitlupe fällt er kopfüber in nichts. Hinter einer zerrissenen Dunstschicht erkennt er die Heimat. Überbelichtet, in gleißendes Sonnenlicht getaucht. Und in großen Lettern erkennt er die Schrift: COMING HOME
ESCAPE
HYSTERIE LIEGT IN DER LUFT
Digitale Strukturen umgeben Tessa. Ihre Perspektiven und ihr Denken laufen wie Programmcodes ab. Die Macht der Vernetzung dringt tief in sie ein. Sie steht an ihrem Lieblingsplatz, einem kleinen See weit außerhalb der Stadt. Die Wasserfläche gleicht einem mit schwarzem Klavierlack überzogenem Boden. Die unzähligen kleinen feinen Poren wirken wie die Haut in ihrem Gesicht. Die reale und die virtuelle Welt verschwimmen vor ihr. Doch plötzlich sieht sie ihn. Sie lässt sich von seiner Schönheit einfangen, genießt seine Bewegungen, beobachtet das Licht auf seinem Gesicht, die Art, wie er aus einer Flasche trinkt. Immer wieder verliert sie ihn aus dem Blick, immer wieder sucht sie ihn. Tessa lässt sich mitziehen von dem Unbekannten ins Unbekannte, in ein anderes Leben. Sie hört neue seltsame Töne.