Wer hilft mir, was zu werden?. Annamarie Ryter

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Название Wer hilft mir, was zu werden?
Автор произведения Annamarie Ryter
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035504408



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Andreas (Hrsg.) (2007). Subjektorientierte Übergangsforschung: Rekonstruktion und Unterstützung biografischer Übergänge junger Erwachsener. Weinheim: Juventa.

      Stauber, Barbara & Walther, Andreas (2011). Übergänge in den Beruf. In: Hans-Uwe Otto & Hans Thiersch (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (S. 1703–1715). München: Reinhardt.

      Wettstein, Emil; Schmid, Evi & Gonon, Philipp (2014). Berufsbildung in der Schweiz. Formen, Strukturen, Akteure (2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Bern: hep.

      Wolter, Stefan C. (2014). Bildungslandschaft Schweiz: Die wichtigsten Baustellen bestehen nach wie vor. Die Volkswirtschaft, (1/2), 44–47.

      Veränderungen

      im Übergang

      Simon Zysset

      Veränderungen in der beruflichen Grundbildung in der Schweiz

      Besonderheiten des schweizerischen Berufsbildungssystems

      In der Schweiz ist das »duale« bzw. »triale« Berufsbildungssystem mit der Verbindung von betrieblicher und schulischer Bildung stark verbreitet. Im Zuge der Reformen der letzten Jahre haben sich allerdings die Formen beruflicher Bildung ausdifferenziert (vgl. Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Rund zwei Drittel der Jugendlichen in der Schweiz absolvieren eine berufliche Grundbildung.

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      Abbildung 1: Berufsbildungssystem. Quelle: SBFI 2014, S. 5

      Anders als in den allgemeinbildenden Schulen (Gymnasien, Fach- und Diplommittelschulen) und den vollschulischen Angeboten der beruflichen Grundbildung (z. B. Handels- und Informatikschulen) wird die betriebliche Grundbildung stark durch die Ausbildungsbetriebe in der Wirtschaft oder in der öffentlichen Verwaltung und im Non-Profit-Sektor geprägt. Die Wirtschaftsbetriebe haben – anders als alle anderen Bildungsanbieter auf der Sekundarstufe II – keinen staatlichen Leistungsauftrag, keinen Ausbildungszwang und werden dafür auch nicht direkt entschädigt, es sei denn insofern, als sich die Ausbildung von Lernenden für viele Betriebe durchaus lohnt (Strupler & Wolter, 2012).

      Ähnlich wie der Arbeitsmarkt funktioniert auch der Lehrstellenmarkt: Im Wettbewerb suchen die Akteure einen passenden Partner, der einen möglichst großen »Nutzen« verspricht. Die kantonalen Berufsbildungsämter haben dabei eine hoheitlich-qualitätssichernde Funktion und beeinflussen den Markt nur bei Bedarf (vgl. unten). Gerade diese Wirtschafts- und Arbeitsmarktnähe gilt als großer Vorteil. Von der Wirtschaft und den Berufsbildungsbehörden wird die duale Berufsbildung als entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz und die vergleichsweise geringe Jugendarbeitslosigkeit beurteilt (Maurer, 2013; WBF, 2013). Gleichzeitig wirken Ansprüche, Dynamiken und Probleme der Wirtschaft direkt auf die Berufsbildung zurück.

      Lehrstellenmarkt

      Ausbildungsbetriebe und Jugendliche stellen die beiden Hauptakteure dar und bestimmen Angebot und Nachfrage. Über die Jugendlichen beeinflussen auch Eltern, Schule und Berufsberatung den Lehrstellenmarkt. Über die Berufe und Betriebe nehmen die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) Einfluss. Gesetzliche Rahmenbedingungen (Berufsbildungsgesetz BBG, Arbeitsgesetz ArG), Auflagen der Behörden, ökonomische Rentabilität, Bedarfe des Arbeitsmarktes und gesellschaftliche Faktoren wie beispielsweise Prestige beeinflussen ebenfalls die Entscheidungen der beiden Hauptakteure. Daneben wird der Lehrstellenmarkt von drei kaum direkt beeinflussbaren Faktoren geprägt, der demografischen Entwicklung, strukturellen Veränderungen und konjunkturellen Schwankungen.

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      Abbildung 2: Faktoren, die den Lehrstellenmarkt beeinflussen. Quelle: BFI (2014), S. 11, ergänzt

      Anders als vor einigen Jahren läuft die demografische Entwicklung aktuell zugunsten der Jugendlichen: Es gibt für einige Jahre weniger Schulabgänger/innen. Die sinkende Nachfrage kann erfahrungsgemäß aber auch zu einem sinkenden Angebot auf dem Lehrstellenmarkt führen. Auch die konjunkturellen Schwankungen wirken auf den Lehrstellenmarkt – allerdings abgeschwächt und verzögert. Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung lässt manche Unternehmungen zögern, einen Lehrvertrag zu unterzeichnen, der für zwei bis vier Jahre bindend gilt. Und schließlich wird der Lehrstellenmarkt stark von den strukturellen Veränderungen der Wirtschaft beeinflusst: So führten und führen neue Technologien, Rationalisierungsprozesse, die zunehmende Verlagerung von Arbeit in den Dienstleistungssektor, aber auch die Auslagerung einfacher Arbeiten nach Osteuropa oder in Schwellenländer sowie die Globalisierung der Märkte zu Veränderungen der Arbeit, der Anforderungen und zur Abnahme einfacherer Tätigkeiten.

      Keinen direkten Einfluss auf den Lehrstellenmarkt haben die Berufsfachschulen, sie entscheiden nicht über eine Lehrstellenbesetzung. Allerdings beeinflussen sie durch ihre Anforderungen und die Qualität der Ausbildung den Bildungserfolg der Jugendlichen.

      Im Lehrstellenmarkt kann es – wie in jedem Markt – zu Angebots- und Nachfragelücken respektive -überschüssen kommen. Deshalb und um die Härte der Marktlogik für die potenziellen »Verlierer« unter den Jugendlichen zu mildern, greift der Staat – genauer: greifen die kantonalen Berufsbildungsämter – in den Lehrstellenmarkt ein. Da dabei die Jugendlichen ungleich stärker unterstützt werden als die Betriebe, kann das staatliche Engagement als Ausgleich des Marktnachteils der (benachteiligten) Jugendlichen betrachtet werden – wobei natürlich auch die Lehrbetriebe von den geförderten Kompetenzen der Jugendlichen und den Vermittlungsdienstleistungen profitieren (vgl. unten).

      Neuere Entwicklungen der Berufsbildung und Folgen für die berufliche Integration

      Die beschleunigten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen seit den 1990er-Jahren erforderten eine Reform der beruflichen Grundbildung und damit eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen (vgl. dazu etwa Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Im seit 2004 gültigen Berufsbildungsgesetz (BBG) sind u. a. folgende Ziele und Neuerungen festgehalten:

      •Es wird eine Qualitätssteigerung der beruflichen Bildung angestrebt.

      •Die Ausbildungen werden systematisiert, standardisiert und laufend aktualisiert.

      •Die zweijährigen Grundbildungen mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) ersetzen die bisherigen Anlehren.

      •Alle drei- und vierjährigen Grundbildungen schließen mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) ab.

      •Die Durchlässigkeit zwischen den Niveaus und Bildungsstufen wird erhöht. »Geschlechtsneutralere« Berufe und Ausbildungen werden angestrebt.

      •Der Bund engagiert sich finanziell stärker.

      •Finanzen für berufsintegrierende und lehrstellenfördernde Maßnahmen werden bereitgestellt.

      •Eine Profilierung und Standardisierung auf internationaler Ebene (Kopenhagen-Prozess) wird angepeilt.

      Insbesondere die ersten drei Punkte – und mutmaßlich auch der letzte – führten bei der Reform vieler Berufe zu höheren Anforderungen für Lernende und Betriebe. Die oben skizzierten Veränderungen führten gleichzeitig dazu, dass immer mehr Jugendliche eine Berufsausbildung anstrebten. Wer noch vor dreißig oder vierzig Jahren nach der obligatorischen Schule direkt in den Arbeitsmarkt übertreten wollte, fand in der Regel auch als Ungelernte/r eine feste Stelle. Da heute fast alle beruflichen Tätigkeiten erhöhte Anforderungen stellen, ist die nachobligatorische Ausbildung aber zur sozialen Norm für alle Jugendlichen geworden (Schaffner, 2008). Eine Berufsausbildung wird als zentral erachtet, um mit den rasanten Entwicklungen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt mithalten zu können, genügend zu verdienen und das Risiko der Arbeitslosigkeit zu verringern. Gleichzeitig gelangten um die Jahrtausendwende geburtenstarke Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt,