Название | Wer hilft mir, was zu werden? |
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Автор произведения | Annamarie Ryter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035504408 |
Der erfolgreiche Übertritt ist aber auch eine kritische Phase im Leben eines jungen Menschen. In der Regel stehen Jugendliche (und ihre Eltern) dabei vor vielen Optionen. Eignung und Neigung der Jugendlichen sind dabei nur zwei Aspekte. Viele Gesichtspunkte müssen gleichzeitig abgewogen werden, was einiges an Information und Hilfestellungen voraussetzt. Hinzu kommt, dass Jugendliche in der Adoleszenzphase mit unterschiedlichen persönlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Was im Moment der Entscheidung für sie wichtig ist, muss sich nicht unbedingt mit dem decken, was Eltern, Lehrpersonen, Berufsberater oder weitere Bezugspersonen denken. Was Erwachsene für sinnvoll erachten, passt oft nicht zur Präferenzordnung und entspricht nicht der Entscheidungsreife der Jugendlichen. Hinzu kommen Wertvorstellungen von Eltern, was für ihr Kind das Richtige und Gute ist, um im Leben erfolgreich zu sein. Solche Werte werden unter anderem vom Stand der Informationen über Bildungsmöglichkeiten, Statusfragen und eigenen biografischen Erfahrungen geprägt. Sie bilden nicht immer ab, was für die Jugendlichen im Moment der Berufswahl angesichts der neuen Möglichkeiten im Bildungssystem das Beste wäre, um den Pfad des »Lernens am Erfolg« einschlagen zu können.
In der Schweiz absolvieren zwei Drittel der Jugendlichen eine berufliche Grundbildung (Berufslehre). Die Leistungen, die diese Jugendlichen im Hinblick auf eine Berufswahlentscheidung erbringen, werden bis heute unterschätzt. Allzu oft werden negative Effekte, wie beispielsweise zigfach erfolglose Lehrstellenbewerbungen, Knappheit von beliebten Lehrberufen oder Lehrabbrüche aufgrund von falschen Entscheidungen thematisiert. Dabei zeigen Jugendliche gerade beim Eintritt in den Lehrstellenmarkt, verglichen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der allgemeinbildenden Schulwege, eine sehr hohe individuelle Regulationsfähigkeit. Dass der Übergang aufgrund der vielfältigen »Matching«-Prozesse zwischen aktuellen Präferenzordnungen von Jugendlichen bzw. ihren Eltern, Angeboten auf dem Lehrstellenmarkt und Anforderungen von Arbeitgebern nicht immer auf Anhieb gelingen kann, dürfte nachvollziehbar sein und legitimiert eine Professionalisierung der Begleitung und Information.
Wie die Beiträge in diesem Buch zeigen, wird heute sehr viel mehr als früher an Unterstützung für alle Beteiligten geleistet. Die Schweiz steht in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich gut da. Viele Länder kennen weder berufliche Vorbereitungsangebote, noch verfügen sie über ein derart vielfältiges berufspraktisches und allgemeinbildendes Angebot auf der Sekundarstufe II. Hinzu kommt, dass das Schweizer Bildungssystem mit dem Leitmotiv »Kein Abschluss ohne Anschluss« das Auf- und Umsteigen für alle Lernenden und Studierenden auf der gesamten Skala der Begabungen ein Leben lang erleichtert.
Seit die Berufsintegration vermehrt wissenschaftlich untersucht wird, gelingt es, die heutigen Schwachstellen und Herausforderungen zu erkennen und zu thematisieren. Im vorliegenden Buch werden solche Erkenntnisse zur Diskussion gestellt. Die breite Auslegeordnung zu den Veränderungen im Übergang, zu den Anforderungen an die Professionalität, aber auch zu Arbeitsprinzipien und Methoden erachte ich als äußerst wertvoll. Ich hoffe, dass die Beiträge einen breiten Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis auslösen und kommenden Generationen von Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen, Berufsberatenden und weiteren Professionellen als Denkanstöße dienen.
Ursula Renold
Präsidentin des Fachhochschulrates der FHNW
Leiterin Forschungsbereich Bildungssysteme an der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich
Literatur
Eurostat (2009). Youth in Europe. A statistical portrait. Luxemburg: Publications Office of the Eureopean Union.
ILO (2013). Global employment trends for youth 2013. A generation at risk. Genf: International Labour Office.
Klieme, Eckhard; Avenarius, Hermann; Baethge, Marin; Döbert, Hans; Hetmeier, Heinz-Werner; Meister-Scheufelen, Gisela; Rauschenbach, Thomas & Wolter, Andrä (2006). Grundkonzeption der Bildungsberichterstattung in Deutschland. In: Heinz-Hermann Krüger, Thomas Rauschenbach & Uwe Sander (Hrsg.), Bildungs- und Sozialberichterstattung (S. 129–145). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Beiheft 6).
OECD (2010). Off to a Good Start? Jobs for Youth. Paris: OECD.
Von der Berufswahl zur Berufsintegration
Dorothee Schaffner und Annamarie Ryter
Dieser Sammelband lanciert eine Diskussion zur professionellen Begleitung von Jugendlichen bei der Berufsintegration mit dem Fokus auf den Schweizer Kontext. Er nimmt zentrale Fragen eines Handlungsfeldes auf, das sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt hat. Der Einbezug von Beiträgen aus Deutschland dient dabei der Anregung und Erweiterung der Diskussion. Im Fokus stehen der Übergang von der Schule in die Berufsbildung und der in die Erwerbsarbeit. Dieser zweifache Übergang ist sowohl aus individueller als auch aus gesellschaftlicher Perspektive sehr sensibel. Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung ist unter gegenwärtigen Bedingungen eine zentrale Voraussetzung für die berufliche Integration, die soziale Positionierung und Teilhabe sowie die gesellschaftliche Sicherheit und Entwicklung.
Der Vorbereitung und Begleitung der beruflichen Orientierung, der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder der Schulwahl kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Berufliche Orientierung etablierte sich in der Schweiz bis Mitte der 1980er-Jahre in fast allen kantonalen Lehrplänen der Sekundarstufe I. Die Unterstützung der Jugendlichen erfolgte in der Regel in Zusammenarbeit von Schule, Eltern sowie Berufs- und Studienberatung. Während die Verantwortung der Schule in der Vermittlung von Informationen über das Berufsbildungsangebot und dessen Anforderungen sowie in der Förderung von Bewerbungskompetenzen bestand, lag die Hauptverantwortung für den Berufswahlentscheid und die Suche nach einem Ausbildungsplatz bei den Jugendlichen selbst und ihren Eltern. Die Kooperation mit der Berufsberatung beschränkte sich meist auf einen punktuellen Einbezug im schulischen Berufswahlunterricht und bei Bedarf auf individuelle Beratung. Ein kleiner Prozentsatz nutzte zur intensiveren Unterstützung ein weiteres »Berufswahljahr« (»zehntes Schuljahr«). Dieses Arrangement zur Vorbereitung auf den Übergang von der Volksschule in die Ausbildung genügte ab Mitte der 1990er-Jahre kaum mehr, um die Berufsintegration der Jugendlichen zu erreichen (Schaffner, 2008). Die berufliche Orientierung und die Suche nach einem Ausbildungsplatz wurde für viele Jugendliche, deren Eltern und Lehrkräfte zu einer neuen Herausforderung.
Veränderungen im Übergang in die Erwerbsarbeit und Reformbedarf
Tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen führten seit den 1990er-Jahren auch in der Schweiz zu umfassenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. Die Globalisierung der Märkte, wachsende Mobilität, neue Technologien und die Rationalisierung der Produktion trugen zum Wandel der Arbeitsgesellschaft bei: von einer produktionsorientierten Industriegesellschaft zu einer wissensbasierten Informations- oder Dienstleistungsgesellschaft (vgl. Köck & Stein, 2010, S. 12). Dabei sollten lebenslanges Lernen und Bildung sowie Flexibilität die Anschlussfähigkeit in einem sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt garantieren. Da in der Schweiz die duale Berufsbildung – mit der Kombination der Ausbildungsorte Berufsschule und Betrieb – vorherrscht, war der Übergang von der Schule zur Erwerbsarbeit von diesen weitreichenden Veränderungen maßgeblich betroffen. Viele Berufe waren plötzlich veraltet und fielen weg, die Schaffung neuer und die Anpassung bestehender Ausbildungen dauerte lange. Hinzu kamen konjunkturelle Schwankungen, was zu einem breiten Abbau von Ausbildungsplätzen beitrug. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach solchen Plätzen durch geburtenstarke Jahrgänge bis 2008, was zu einem erhöhten Wettbewerb um Lehrstellen beitrug. Die generell gestiegene Bedeutung beruflicher Qualifikationen und der Bedarf an einer inhaltlichen Anpassung der Ausbildungen erforderten eine Reform des Berufsbildungssystems, die Ende der 1990er-Jahre ihren Anfang nahm (vgl. dazu Maurer & Gonon, 2013).
Vor diesem Hintergrund stellten sich im Übergang größere gesellschaftspolitische und individuelle Herausforderungen: Angesichts der wirtschaftlichen