Название | Wer hilft mir, was zu werden? |
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Автор произведения | Annamarie Ryter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035504408 |
Eine durchzogene Bilanz weisen die Brückenangebote auch hinsichtlich des zweiten Beurteilungskriteriums auf, des erfolgreichen Abschlusses einer zertifizierenden Ausbildung auf Sekundarstufe II. Hier zeigt sich aufgrund der TREE-Analysen, dass Diskontinuitäten des Ausbildungsverlaufs ein eigenständiger Risikofaktor dafür sind, dass Ausbildungen frühzeitig abgebrochen oder gar nicht angefangen werden. Zu diesen Diskontinuitäten gehören auch die Brückenangebote. Im Vergleich zu den Direkteinstiegen in zertifizierende Sek-II-Ausbildungen wirken diese leicht chancenmindernd, das heißt, das Risiko von Brückenangebotsabsolventinnen und -absolventen, ohne nachobligatorischen Ausbildungsabschluss zu bleiben, ist laut TREE leicht erhöht.
Anders präsentiert sich die Bilanz, wenn man als Vergleichsgruppe nicht die Direkteinsteiger, sondern diejenigen beizieht, die nach Austritt aus der obligatorischen Schule über keinerlei Anschlusslösung verfügen. Im Vergleich zu dieser Gruppe erweist sich das Durchlaufen eines Brückenangebots als signifikanter Schutzfaktor gegen Ausbildungslosigkeit.
Ausblick auf Veränderungen am Übergang in die Berufsbildung
Was hat sich an der kritischen Schnittstelle zwischen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II im vergangenen Jahrzehnt verändert?
Durch die Stabilisierung der Lehrstellensituation und die demografische Entspannung hat sich erstens der jahrelange ausgeprägte Nachfrageüberhang im Bereich der beruflichen Grundbildung etwas entschärft.
Mit Blick auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund als ausgeprägte Zielgruppe der Brückenangebote zeichnen sich zweitens Verschiebungen ab, die sich in den kommenden Jahren noch akzentuieren dürften: Zum einen gehen die Anteile der »kritischen« Migrationsgruppen, etwa aus den Balkanländern, der Türkei und Portugal, zurück, die bisher in den Brückenangeboten stark übervertreten waren (vgl. etwa BFS-Publikationsreihe »Schülerinnen, Schüler und Studierende«). Demografisch stark im Vormarsch sind dagegen Jugendliche aus sozioökonomisch gut gestellten Elternhäusern, deren gut gebildete Eltern in den letzten Jahren aus dem EU-Raum eingewandert sind. Diese dürften sich allerdings mehrheitlich eher im Gymnasialbereich bemerkbar machen als im Bereich der Brückenangebote. Insgesamt dürfte sich somit die implizite Funktion der Brückenangebote als Auffangbecken von bildungsfernen Migrantinnen und Migranten eher abschwächen. Es steht demnach zu erwarten, dass in Zukunft eher bildungsferne »Einheimische« und junge Migrantinnen und Migranten aus dem außereuropäischen Raum vermehrt in Brückenangeboten anzutreffen sein werden.
Drittens haben sich die Brückenangebote im vergangenen Jahrzehnt bezüglich Institutionalisierung, funktionaler Differenzierung und Professionalisierung konsolidiert und weiterentwickelt. Davon zeugt auch das vorliegende Buch. Dies kommt zum einen zweifellos den Jugendlichen zugute, die diese Angebote durchlaufen. Zum anderen könnte die institutionelle Festigung auch Anlass und Gelegenheit sein, die Rolle der Brückenangebote innerhalb des Bildungssystems aktiver und gestaltender wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Trägerschaften der Brückenangebote handeln mit anderen involvierten Akteuren des Bildungssystems, insbesondere der Sekundarstufe I und der beruflichen Grundbildung, vermehrt aktiv und selbstbewusst die Modalitäten aus, nach denen die erste Schwelle organisiert und gestaltet werden soll.
Verhandlungsgegenstände
Auf der Basis der Ergebnisse des vorliegenden Beitrags drängen sich etwa folgende Punkte als »Verhandlungsgegenstände« auf:
•Die Durchlässigkeit in den Sekundarstufen I und II muss insgesamt größer werden. Die heute ausgeprägte horizontale und vertikale Segmentation und Segregation führt dazu, dass die Übergangsprozesse kleinräumig, unübersichtlich, zum Teil außerordentlich langwierig, sozial hochgradig selektiv und in etlichen Fällen mit dem Risiko behaftet sind, dass Jugendliche letztlich ohne nachobligatorische Ausbildungsabschluss bleiben.
•Die Beurteilungsgerechtigkeit und -qualität schulischer Leistungen muss besser werden. Es geht auf Dauer nicht an, dass Ausbildungsplätze auf Sekundarstufe II aufgrund von schulfremden Instrumenten wie Multicheck usw. und des besuchten Oberstufen-Schultyps vergeben werden. Ein Schritt in die richtige Richtung sind etwa standardisierte Monitoring-Instrumente wie die geplanten HarmoS-Tests 15 oder PISA, die längerfristig indirekt einen systematisierenden und harmonisierenden Effekt haben dürften. Aber auch die direkten schulischen Beurteilungsinstrumente bedürfen einer vermehrten Harmonisierung und Standardisierung (z. B. klassen- und schulübergreifende Vergleichsarbeiten). Außerdem sollten die Lehrkräfte noch vermehrt bezüglich Beurteilungsungerechtigkeit aufgrund von Schülermerkmalen wie Geschlecht, sozialer Herkunft oder Migrationsherkunft sensibilisiert werden.
•Wünschbar wäre ein Abbau der funktionalen Redundanzen zwischen den Angeboten des Bildungssystems einerseits und den an Jugendliche gerichteten arbeitsmarktlichen Maßnahmen (Motivationssemester u. ä.).
•Schließlich sollten Brückenangebote auch vermehrt direkt qualifizierend angelegt sein. Ein Beispiel dafür wäre das (bereits bestehende) Angebot von gewissen Fachmittelschulen, dass ein zehntes Schuljahr als erstes FMS-Ausbildungsjahr angerechnet werden kann.
Literatur
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BBG (2002). Bundesgesetz über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz) vom 13. Dezember 2002 (Stand am 1. Januar 2013). SR 412.10.
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BBT (2000). Thesen zur Berufsbildungsforschung und Organisation des Leistungsbereichs. Bericht der Projektgruppe applikationsorientierte Berufsbildungsforschung des BBT. Bern: Bundesamt für Berufsbildung und Technologie.
BFS (jährlich). Schülerinnen, Schüler und Studierende. Neuenburg: Bundesamt für Statistik.
BFS (2011). Statistik der beruflichen Grundbildung 2010. Neuenburg: Bundesamt für Statistik.
BFS & TREE (Hrsg.) (2003). Bildungsmonitoring Schweiz. Wege in die nachobligatorische Ausbildung. Die ersten zwei Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule. Zwischenergebnisse des Jugendlängsschnitts TREE. Neuenburg: Bundesamt für Statistik.
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Galliker, Robert (2011). Projekt Nahtstelle: Schlussbericht. Bern: Generalsekretariat EDK.
Hupka-Brunner, Sandra; Meyer, Thomas; Stalder, Barbara E. & Keller, Anita (2011). PISA-Kompetenzen und Übergangswege: Ergebnisse aus der Schweizer TREE-Studie. In: Elisabeth M. Krekel & Tilly Lex (Hrsg.), Neue Jugend? Neue Ausbildung? Beiträge aus der Jugend- und Bildungsforschung (S. 175–190). Bielefeld: