Название | Wer hilft mir, was zu werden? |
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Автор произведения | Annamarie Ryter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035504408 |
Darüber hinaus ist der Lehrstellenmarkt kleinräumig und stark segmentiert. Er wird nicht nur von makroökomischen Faktoren wie der Konjunktur beeinflusst, sondern auch von lokalen und regionalen Wirtschafts- und Betriebsstrukturen, die wiederum einen Einfluss darauf haben, welche Lehrstellen in welchen Berufsfeldern angeboten werden. Nach wie vor ist die Berufsbildung in der Schweiz auch stark geschlechtsspezifisch segregiert, das heißt, der größte Teil der Lehrberufe wird entweder hauptsächlich von Frauen oder hauptsächlich von Männern erlernt (vgl. BFS, 2011).
Was die Bedeutung der schulischen Vorleistungen angeht, so hat Meyer (2006) gezeigt, dass zwischen dem Leistungsausweis am Ende der Sekundarstufe I und dem Anforderungsniveau der beruflichen Grundbildung ein deutlicher Zusammenhang besteht. Allerdings gibt es in der Schweiz – auch innerhalb der Kantone – keine standardisierten Leistungsausweise am Ende der Sekundarstufe I, was die Anbieter beruflicher Grundbildung vor erhebliche Beurteilungs- und Vergleichbarkeitsprobleme stellt. Ein Ausdruck davon sind standardisierte Tests wie »Multicheck«, »basic-check«, »kompass« o. Ä., welche Berufsbildungsanwärterinnen und -anwärter heute in vielen Fällen ihren Bewerbungsunterlagen beilegen müssen. Vor diesem Hintergrund wird der Schultyp, den die Bewerberinnen und Bewerber auf Sekundarstufe I besucht haben, häufig als approximatives Leistungskriterium beigezogen.
Über die schulischen Leistungen hinaus spielen am Übergang in die berufliche Grundbildung auch arbeitsmarktrelevante Selbstkompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Auftreten oder Kommunikationsfähigkeit eine Rolle. Als Einflussfaktor werden auch die sogenannte individuelle Ausbildungsbereitschaft bzw. Ausbildungsreife stark diskutiert. In der Wissenschaft wird jedoch die Unschärfe des Begriffs kritisiert, die eine zuverlässige empirische Überprüfung erschwert (vgl. Eberhard, 2006).
Insgesamt führen die genannten Faktoren dazu, dass die Übergänge in die berufliche Grundbildung für viele Schulabgängerinnen und -abgänger mit erheblichen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten verbunden sind. Die Vielzahl der Allokationskriterien sowie die Kleinräumigkeit und Unübersichtlichkeit der Übergangsstrukturen führen zu einer starken Personalisierung der Selektions- bzw. Allokationsentscheide. Wie zahlreiche Studien nachweisen, gewinnen dadurch zugeschriebene, nicht beeinflussbare Merkmale wie die soziale Herkunft oder der Migrationhintergrund an Bedeutung für das Gelingen des Übergangs.
Funktionen von Brückenangeboten
Vor dem oben skizzierten Hintergrund der Komplexität der Schnittstelle zwischen den Sekundarstufen I und II müssen die Brückenangebote oder Zwischenlösungen eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. Meyer (2003) hat folgende Hauptfunktionen vorgeschlagen:
•Kompensationsfunktion: Jugendliche, die eine Zwischenlösung besuchen, haben gemäß dieser Zuschreibung schulische, sprachliche oder andere Defizite, die einen direkten Einstieg in eine zertifizierende nachobligatorische Ausbildung verunmöglichen und die es zu beheben gilt.
•Orientierungsfunktion: Zwischenlösungen sollen Entscheidungs-, Orientierungs- und Einstiegshilfe für die nachobligatorische Ausbildungslaufbahn bieten.
•Systemische Pufferfunktion: Gemäß dieser Funktion nehmen Brückenangebote Jugendliche auf, die zwar bereit und in der Lage wären, direkt in eine Sek-II-Ausbildung einzusteigen, für die aber keine Ausbildungsplätze bereitstehen (»Warteschlange«).
Im bildungspolitischen Diskurs wurde und wird vor allem die erstgenannte Funktion – Beheben von individuellen Defiziten – stark in den Vordergrund gerückt. So definierte das BBT um die Jahrtausendwende die Klientel der Brückenangebote folgendermaßen:
»Dabei handelt es sich hauptsächlich um Migrantinnen und Migranten sowie Jugendliche mit schulischen Defiziten oder Schwierigkeiten. […] Schwierigkeiten, einen ihren Möglichkeiten entsprechenden Ausbildungsplatz in der Berufsbildung zu finden, hat zurzeit eine große Anzahl Jugendlicher mit größeren und kleineren Sprach- und Bildungsdefiziten sowie Lernbehinderungen aller Art.« (BBT, 2000, S. 5)
Wohl räumt inzwischen auch die Bildungspolitik ein, dass zwischen Brückenangeboten und Lehrstellenknappheit ein Zusammenhang besteht. So stellt Galliker (2011, S. 4) im Nahtstellen-Schlussbericht der EDK fest: »Die Übertrittsquote in die beruflichen Grundbildungen hängt maßgeblich vom Lehrstellenangebot ab.«
Als Grundlage für die Diskussion um die Ausgestaltung und Zukunft der Brückenangebote wird jedoch immer wieder auf Artikel 12 des geltenden Berufsbildungsgesetzes (BBG, 2002) zurückgegriffen, der festhält: »Die Kantone ergreifen Maßnahmen, die Personen mit individuellen Bildungsdefiziten am Ende der obligatorischen Schulzeit auf die berufliche Grundbildung vorbereiten.« 42
Die »erste Schwelle« im Lichte der TREE-Daten
Wie bewältigen Jugendliche in der Schweiz den kritischen Übergang an der komplexen ersten Schwelle? Welche Rolle spielen dabei die Zwischenlösungen bzw. Brückenangebote? In welchem Ausmaß erfüllen sie die verschiedenen Funktionen, die ihnen das Bildungssystem zuweist? Die Daten von TREE 13 erlauben eine lückenlose, detaillierte Analyse von individuellen nachobligatorischen Ausbildungs- und Erwerbsverläufen. Sie bieten sich deshalb in besonderem Maße als empirische Grundlage zur Klärung der oben angesprochenen Fragen an.
Die Längsschnittstudie TREE
TREE ist eine Längsschnittuntersuchung einer Stichprobe von über 6000 Jugendlichen, die im Jahr 2000 an der ersten PISA-Studie teilgenommen und danach die obligatorische Schule verlassen haben. Die Stichprobe ist national und sprachregional repräsentativ für die Schulabgängerinnen und -abgänger des Schuljahres 1999/2000. Die Probanden und Probandinnen der Stichprobe wurde zwischen 2001 und 2010 insgesamt achtmal durch TREE nachbefragt. TREE verfügt für sie somit über detaillierte Verlaufs- und Kontextdaten der ersten zehn Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule. Eine weitere Befragung im Jahr 2014 ist in Vorbereitung (vgl. TREE, 2013).
TREE zeigt zunächst, dass zwischen den Ausbildungsgängen, die das Bildungssystem formell vorsieht, und den tatsächlichen Ausbildungsverläufen der Jugendlichen eine große Kluft besteht: Nur gut die Hälfte aller Schulabgängerinnen und -abgänger bewältigen die erste Schwelle und die Sekundarstufe II so, wie es die Organigramme des Schweizer Bildungssystems vorsehen. Die Übergänge und Ausbildungsverläufe der anderen knappen Hälfte sind geprägt von Brüchen, Umwegen und Diskontinuitäten, zu denen auch der indirekte, verzögerte Einstieg in Sek-II-Ausbildungen über Zwischenlösungen bzw. Brückenangebote gehört (Keller, Hupka-Brunner & Meyer, 2010). Mehrere Analysen der TREE-Daten legen nahe, dass diese Brüche und Diskontinuitäten einen eigenständigen Risikofaktor für vorzeitigen Ausbildungsabbruch bilden.
Einflüsse auf Chancen beim Übertritt
Auf der Basis der TREE-Daten hat Meyer (2003, S. 103 ff.) folgendes Profil der Absolvierenden von Brückenangeboten entworfen: