Название | Wer hilft mir, was zu werden? |
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Автор произведения | Annamarie Ryter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035504408 |
Der Kernauftrag der Brückenangebote besteht darin, Jugendliche, die bereits viele schwierige Schul- und/oder Berufsfindungsprozesse durchgemacht haben, an eine für sie geeignete Anschlusslösung heranzuführen. Ein hohes Engagement der Fachpersonen ist für den Erfolg von Zwischenlösungen unabdingbar, denn die Arbeit an der Schnittstelle wird von Politik, Wirtschaft und meist auch von den Beteiligten selbst als sehr anspruchsvoll beurteilt. Sie werden häufig konfrontiert mit schwierigen Situationen der Lernenden, zugleich scheinen die Anforderungen der Berufswelt weiter zu steigen. Lehrpersonen, die sich auf diese anspruchsvolle Aufgabe einlassen, empfinden diese in der Regel als motivierend. Der Ansporn kann sich jedoch schnell in ein Gefühl von »quälendem« Stress verwandeln, zum Beispiel wenn der bildungspolitische Druck so groß wird, dass die Qualität der Arbeit ausschließlich an der Vermittlungsquote gemessen wird. Da sich, abgesehen von dieser Quote, wenig anderes messen lässt, außerdem die bildungspolitischen Ziele – die Simon Zysset in seinem Artikel beschreibt – den Fokus stark auf die Nahtstelle I lenken, ist der Druck auf die Brückenangebote gegenwärtig enorm. Das kann für Lehrpersonen, die sich mit großem Engagement für die Anliegen von wenig privilegierten Jugendlichen einsetzen, eine sehr hohe Belastung sein. Hier gilt es, Sorge zu tragen, dass Lehrpersonen (und im weiteren Sinn auch die Schulen selbst) sich vom Anspruch abgrenzen, die Verantwortung für den Erfolg der einzelnen Jugendlichen allein zu tragen. Die oft spürbare Ambivalenz im Zusammenhang mit Brückenangeboten wirkt sich auch auf das Selbstverständnis von Lehr- und Beratungspersonen aus. Häufig reagieren sie defensiv, wenn »Außenstehende« ihre Arbeit in den Fokus nehmen.
Weil das Hilfssystem an dieser Nahtstelle in den letzten Jahren stetig ausgebaut wurde, stellt zudem die Koordination eine komplexe Aufgabe dar und verlangt von den Beteiligten ein hohes Maß an Souveränität und Flexibilität. Die große Herausforderung für Lehrpersonen der Brückenangebote liegt darin, sich ständig flexibel und bedarfsgerecht auszurichten und in jedem Schuljahr die Beziehung zu den Jugendlichen von Grund auf neu aufzubauen, sodass eine individuelle und zielführende Begleitung möglich ist.
Damit Brückenangebote sich kontinuierlich weiterentwickeln, agil bleiben und sich effektiv und bedarfsgerecht auf die Jugendlichen einlassen können, sind geeignete Rahmenbedingungen und das Vertrauen sowie der Rückhalt der zuständigen staatlichen Stellen erforderlich.
Übergangsangebote am Einstieg in die berufliche Grundbildung in der Schweiz
Brücke oder »Knirschstelle« im Bildungssystem?
Thomas Meyer
In der Schweiz können heute – je nach Schätzmethode und Referenzjahr – zwischen einem Sechstel und einem Viertel aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger nicht damit rechnen, nach Austritt aus der obligatorischen Schule direkt in eine zertifizierende nachobligatorische Ausbildung der Sekundarstufe II 9 einzusteigen (vgl. etwa Babel, Gaillard & Strübi, 2012; BBT [Lehrstellenbarometer], 1999 ff.; Meyer, 2003). Sie finden sich in einer Vielzahl von sogenannten Brückenangeboten oder Zwischenlösungen wieder: Berufsvorbereitungsjahre, Motivationssemester, Vorlehren, aber auch Sprachaufenthalte, Au-pair-Stellen mit (sprach-)schulischen Elementen, Praktika u. v. m.
Mit Blick auf die Bedeutung und Vielfalt dieser indirekten Übergänge an der sogenannten ersten Schwelle 10 umreißt der vorliegende Beitrag die Strukturen und Funktionslogiken des Bildungssystems, in die Brückenangebote oder Zwischenlösungen eingebettet sind. Anhand von Ergebnissen der Jugendlängsschnittuntersuchung TREE (Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben) wird aufgezeigt, wie sich dieser strukturelle Kontext auf die individuellen Bildungsverläufe der betroffenen Jugendlichen – und mithin auf deren Ausbildungs- und Lebenschancen – auswirkt.
»Zwischenlösungen« als Spiegel einer komplexen Übergangsmechanik
Die Schweiz gehört im internationalen Vergleich zu denjenigen Ländern, deren Bildungssysteme hochgradig selektiv, segregiert und segmentiert sind. Bereits nach dem fünften oder sechsten Primarschuljahr treten die meisten Schülerinnen und Schüler in der Schweiz in gegliederte Oberstufen (Sekundarstufe I) über. In den meisten Kantonen ist die Sekundarstufe I zwei- bis dreigliedrig organisiert, mit einem Oberstufenzug, dessen Schüler »Grundanforderungen« genügen, und einem bis zwei Zügen, deren Schüler »erweiterte Anforderungen« erfüllen.
Zuweisungen erfolgen meist auf der Grundlage von aufwendigen, von Kanton zu Kanton unterschiedlich angelegten Übertrittsverfahren. Die Lehrpläne und Stundentafeln der einzelnen Stufen unterscheiden sich substanziell voneinander, sodass sich im Laufe von drei bis vier Jahren Schulbesuch auf dieser Stufe erhebliche Lerndifferenziale kumulieren.
Selektions- und Segregationsmechanismen auf der Sekundarstufe I
Die Selektions- und Segregationsmechanismen auf der Sekundarstufe I zielen auf Unterrichtsformen in möglichst leistungshomogenen Abteilungen ab. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen stellen jedoch infrage, dass dieses Ziel erreicht wird. Kronig (2007) etwa moniert, dass die Leistungs(entwicklungs)prognosen, die den Zuteilungsentscheiden bei den Übertrittsverfahren zugrunde liegen, nur am oberen und am unteren Rand des Leistungsspektrums befriedigend sind – also bei den sehr starken und den sehr schwachen Schülerinnen und Schülern. Bei der großen Mehrheit der Schülerschaft im mittleren Leistungsbereich, so Kronig weiter, bewege sich der Zuteilungsentscheid in einer »meritokratischen Grauzone«, die zahlreiche Fehlentscheide bei der Zuweisung in Kauf nehme. Meyer (2009) betont, dass die Führung von leistungsgetrennten Zügen auf der Oberstufe einer faktischen Bildungsrationierung gleichkomme, im Rahmen deren den Schülerinnen und Schülern in Oberstufenzügen »mit Grundanforderungen« systematisch Lerngelegenheiten vorenthalten werden. Internationale Forschungsbefunde legen außerdem nahe, dass Bildungssysteme wie das schweizerische mit starker und früher Selektion der Tendenz nach mehr Bildungsverliererinnen und -verlierer schaffen und den Einfluss sozialer Herkunft auf den Bildungserfolg verstärken (vgl. etwa Quenzel & Hurrelman, 2010).
Gut dokumentiert ist die soziale Selektivität solcher Systeme. Eine ganze Reihe von Studien zeigen, dass bei den Übertrittsverfahren zwischen Primarstufe und Sekundarstufe I individuelle Merkmale von Schülerinnen und Schülern wie Geschlecht, Migrationshintergrund oder soziale Herkunft auch dann eine bedeutsame Rolle spielen, wenn die schulische Leistung statistisch kontrolliert wird (vgl. Moser & Rhyn, 1996; Neuenschwander, 2009).
Seit den 1990er-Jahren wurden zwar in vielen Kantonen Maßnahmen ergriffen, um die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Zügen der Sekundarstufe I zu erhöhen. Die (spärlich) verfügbaren publizierten Daten zeigen jedoch, dass diese »Passerellen« in der Regel nur sehr schwach frequentiert werden. Für die große Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler ist der Zuteilungsentscheid am Ende der Primarstufe irreversibel.
Die Zuteilung zu einem bestimmten Schultyp der Sekundarstufe I strukturiert in hohem Maße vor, welche Ausbildungswege den Jugendlichen nach Verlassen der obligatorischen Schule offenstehen. So hat die TREE-Studie bereits 2003 gezeigt, dass die Ausbildungschancen von Schülern und Schülerinnen aus Oberstufenzügen mit »Grundanforderungen« (Sek C-, Realoder Oberschüler/innen) auch dann stark eingeschränkt bleiben, wenn sie gleich gute Leistungen erbringen wie ihre Kameradinnen und Kameraden in den Oberstufenzügen mit »erweiterten Anforderungen« (BFS & TREE, 2003).
Fortsetzung der Segmentations- und Segregationsmechanismen auf der Sekundarstufe II
Die beschriebenen Prozesse der