Название | Meine zwei Leben |
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Автор произведения | Martina Prewein |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990011195 |
Sascha ist okay, rede ich mir ein. Er hat einen guten Charakter. Ich hoffe, ich täusche mich nicht in ihm. Denn ich habe mich ja schon so oft in Männern getäuscht.
Meinen ersten Freund lernte ich mit 17 kennen. Er war zwei Jahre älter als ich, hatte brünette Haare, wunderschöne braune Augen, eine tolle Figur. Ich verliebte mich in ihn sofort, als ich ihn in einem Restaurant am Strand von Barcelona kennenlernte. Jahrelang war ich mit ihm zusammen.
Ich hätte schon von Beginn unserer Beziehung an begreifen müssen, dass er mich nicht liebte. Weil er sich weigerte, mich seiner Familie vorzustellen. Weil er mich nur zu sich nachhause mitnahm, wenn niemand da war. Weil er lieber auf Partys ging, als mit mir alleine Zeit zu verbringen.
Doch ich übersah alle Warnsignale und gab mich meinen Träumen hin. In meiner Vorstellung blieb mein Freund ein Mann, der es ernst mit mir meinte, der mich nach Abschluss meines Studiums heiraten und Kinder mit mir haben würde.
Dann stand ich da, mit meinem Diplom in der Hand, und ich sagte zu ihm, dass unsere Zukunft jetzt beginnen könne. Er verstand nicht, wovon ich sprach. Ich erklärte ihm, was passieren sollte. Ich redete von einer Hochzeit in Weiß und davon, dass wir uns schnell eine eigene kleine Bleibe suchen sollten. Davon, dass es nun an der Zeit wäre, seine Familie kennenzulernen und dass meine Eltern ihn sicherlich als Schwiegersohn akzeptieren würden. Esti, da hast du aber gehörig etwas missverstanden, meinte er, und machte mit mir Schluss.
Mein Vater und meine Mutter hatten leider Recht behalten. Sie hatten viel früher als ich begriffen, dass mein Freund nie an einer ernsthaften Verbindung mit mir interessiert war. Weil er aus einer besseren sozialen Schicht als ich stammte und das Leben nur als ein einziges großes Spiel sah. Aber ich hatte ihre Überzeugungsversuche abgewehrt, so lange Zeit, und mich weiter meinen Illusionen hingegeben. Bis ich die Rechnung präsentiert bekam.
Nach dem Ende der Beziehung fiel ich in ein tiefes seelisches Loch. Ich konnte kaum noch schlafen oder essen, ich verlor mich total. Da passierte es zum ersten Mal in meinem Leben. Etwas Fremdes, etwas Böses übernahm die Kontrolle über mich. Es war, als würde ein Regisseur in meinem Gehirn Platz nehmen und damit beginnen, meine Gedanken zu steuern.
Ich überlegte, meinen Ex-Freund umzubringen, die Bremsschläuche seines Autos oder die Therme in seiner Wohnung zu manipulieren. Immer, wenn ich solche Ideen hatte, war es, als würde ich in meinem eigenen Auto am Beifahrersitz angeschnallt sitzen, während jemand anderer den Wagen lenkte. Letztendlich schaffte ich es, einen Fuß aufs Bremspedal zu setzen und es ganz fest durchzudrücken. Ich tat meinem Ex-Freund nichts an. Es gelang mir, meine Vernichtungsfantasien zu bezwingen. Und ich war froh, als meine Eltern mich fragten: Esti, willst du den Sommer in Deutschland verbringen und dort bei einer Gastfamilie als Au-Pair-Mädchen arbeiten? Du weißt, wir haben Freunde in Bayern, sie würden dich mit offenen Armen empfangen. Meine Familie hatte offensichtlich begriffen, dass ich Ablenkung brauchte. Ja, natürlich möchte ich für eine Weile weg aus Spanien. Wann geht der nächste Flug nach München?
2
Die erste Zeit in Deutschland ging es mir gar nicht gut. Der Regisseur in meinem Kopf war zwar völlig verschwunden, meine Traurigkeit aber nicht. Ich liebte diesen Mann, der mich so schrecklich enttäuscht hatte, einfach noch immer.
In diesem Zustand lernte ich Holger kennen. Nach meinem Au-Pair-Job hatte ich meinen Auslands-Aufenthalt ein bisschen verlängert, ich arbeitete nun in einem Eissalon in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Nürnberg. Irgendwann, an einem wunderschönen Sommermorgen, stand er vor mir an der Theke. Holger, ein Verkäufer von Kühlgeräten, ein großer, blonder Mann, der auf gewisse Weise meinem Ex-Freund ähnlich sah, um 14 Jahre älter als ich. Ich war damals 22, er 36.
Holger sah mich mit bewunderndem Blick an, und er machte mir Komplimente. Natürlich sagte ich ja, als er mich um ein Rendezvous bat. Und natürlich sagte ich ja, als er mich ein paar Wochen später schon fragte, ob ich seine Frau werden wollte. Esti, redete ich mir ein, da ist endlich ein Mann in dein Leben getreten, der dich nicht nur ausnutzen will. Sein Antrag kann nichts anderes bedeuten, als dass er es ernst mit dir meint und dich aufrichtig mag. Und die Liebe zu ihm wird schon noch kommen, dachte ich mir.
Holger wirkte vertrauenswürdig auf mich. Esti, du wirst es gut bei ihm haben, er wird dich vor allem Bösen auf dieser Welt beschützen, bis in alle Ewigkeit. Esti, er will bis zur Hochzeitsnacht nicht mit dir schlafen, das ist romantisch.
Ich erzählte Holger von meinem Wunsch nach einer Trauung in Weiß. Nein, mein Kleines, sagte er, das ist nicht möglich, ich bin ein Hare-Krishna-Anhänger. Bitte akzeptiere meinen Glauben genauso, wie ich deinen akzeptiere.
Die standesamtliche Zeremonie fand in kleinem Rahmen statt, nur ein paar von Holgers Freunden waren da, unsere Familien kamen nicht, weil sie unsere Entscheidung für überstürzt hielten. Ich weinte still in mich hinein, als wir einander die Eheringe an die Finger steckten. Niemand merkte meine Verzweiflung. Längst hatte ich mir die Fähigkeit angeeignet, besonders stark zu scheinen, wenn ich mich ganz schwach fühlte. Ich setzte mein Poker-Gesicht auf, lächelte und hielt mich aufrecht. Ich tanzte. Nur das Essen fiel mir schwer. Von unserer Hochzeitstorte bekam ich kaum einen Bissen runter. Ich ahnte, dass ich einen fürchterlichen Fehler gemacht hatte. Aber ich zwang mich, ganz fest daran zu glauben: Alles wird wunderbar.
Nichts wurde wunderbar. Bald ging es los. Esti, du bist so dumm. Esti, du kriegst gar nichts auf die Reihe. Esti, du bist unerotisch, nimm ein paar Kilo zu. Als Holger anfing, mich so zu behandeln, hätte ich mich sofort von ihm trennen müssen. Ich tat es nicht, weil ich eine Scheidung nicht mit meinem Glauben vereinbaren konnte. Weil ich meinen Eltern meinen Fehler nicht eingestehen wollte. Weil ich hoffte, Holger würde wieder zu dem Prinzen werden, als den ich ihn kennengelernt hatte. Weil ich ihn mittlerweile doch schon liebte.
Bald zogen wir nach Berlin, in seine Heimatstadt. Ich nahm wieder eine Stelle in einem Eissalon an. Holger arbeitete unregelmäßig bei diversen Firmen. Ich verdiente als Kellnerin gutes Geld. Holger nahm es mir immer sofort ab. Du bist zu jung und zu naiv, um es ordentlich zu verwalten, sagte er.
Manchmal lehnte ich mich gegen ihn auf, doch nur in Gedanken. Ich überlegte, nach Spanien zu meinen Eltern zurückzukehren. Holger ahnte offenbar etwas von meinen Befreiungsfantasien. Er nahm mir meine Papiere weg.
3
Dann war Holger wieder nett zu mir. 2005, nachdem er zum wiederholten Mal seinen Job verloren hatte, erklärte er mir freudestrahlend: Esti, ich weiß, was dein größter Wunsch ist, du hast schon so oft darüber geredet, und jetzt werden wir ihn uns gemeinsam erfüllen. Wir werden nach Wien ziehen, dort einen Eissalon eröffnen und eine Familie gründen. Ich jubelte, ich war glücklich.
Wien war immer schon meine Traumstadt gewesen, von Jugend an hatte sie mich magisch angezogen. Ich kannte sie zwar nur aus Fotobänden, aber die Bilder von den engen Gassen mit Kopfsteinpflaster, dem Stephansdom und dem Prater mit dem Riesenrad faszinierten mich einfach. An einem Ort zu leben, an dem die Zeit ein bisschen stehengeblieben zu sein schien, müsste wundervoll sein, dachte ich.
Esti, bald bist du dort und wirst deiner Leidenschaft nachgehen können. Eis herstellen, neue Sorten kreieren, in deinem eigenen Geschäft. Esti, das klingt doch fabelhaft.
Die Suche nach einem geeigneten Lokal dauerte nicht lange. Holger und ich setzten uns vor den Computer, studierten auf österreichischen Immobilienseiten die Angebote und fanden schnell in Meidling, einem Außenbezirk von Wien, ein Geschäft zur Pacht, das „Venus“ hieß. Nicht zu teuer, nicht allzu groß. Die Fotos, die wir davon im Internet sahen, gefielen uns. Was uns auch noch positiv schien: Zu dem Eissalon gehörte ein Lager in einem Nachbarhaus, das wir bei Bedarf anmieten könnten. Eine Dusche und eine Toilette waren darin, der Raum würde sich ganz einfach zu einer Wohnung umfunktionieren lassen. Ohne viel zu überlegen, riefen wir den Anbieter an und schlossen einen Vertrag ab.
Ein paar Wochen später kamen wir in Meidling an. Ich war sofort verliebt in das Lokal. Es sah mit seinen dunkelroten Leder-Sitzgarnituren und seinen Tischen aus echtem