Herzschweißen. Conny Bischofberger

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Название Herzschweißen
Автор произведения Conny Bischofberger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014639



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einer Art Dramaturgie. Eine Einstiegsfrage, um die Stimmung zu lockern. Empathische und kritische Fragen in Wellenbewegungen. Die gewagteste Frage am Schluss. Sonst konnte es passieren, dass die Stimmung kippte.

      Das Allerwichtigste: Sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das fiel Isabella nicht schwer, weil sie in Wahrheit ein scheuer, tief in ihrem Innersten auch ein unsicherer Mensch war. Eine gute Interviewerin nimmt sich zurück, erklärte sie den Studenten ihrer Interview-Seminare gerne, sie hört lieber zu als zu reden, ihr Instrument sind die Fragen. Darüber hinaus registriert sie auch, was nicht gesprochen wird.

      Sie erfasst die sogenannte Metaebene. Isabella erzählte dazu gerne die Geschichte von der Fliege. Stellt euch vor, dass ihr aus der Perspektive einer Fliege, die an der Decke des Zimmers sitzt, das Gespräch verfolgt, das unter euch stattfindet. Was sieht die Fliege? Die Körperhaltungen, die Blicke, die Sprechpausen, den Ausdruck der Gesichter, das Spiel der Hände. Die Fliege versteht nicht, was gesprochen wird, dennoch nimmt sie wahr, was die beiden Gesprächspartner ausdrücken.

      Als sie um 14.45 Uhr ihren Mini im Regierungsviertel parkte und fünf Minuten später die »Blu Style« betrat, fühlte Isabella sich gut. Bereit, sich einem fremden Menschen in kürzester Zeit emotional zu nähern, darüber zu schreiben, um sich dann genauso schnell wieder von ihm zu entfernen.

      Das Interview verlief angenehm und professionell. Paulo Coelho gefiel ihr ehrliches Interesse und ihre akribische Vorbereitung. Mit der Frage nach der »geheimen Formel« seines Erfolgs hatte sie etwas in ihm berührt. Noch während sie seinen Worten lauschte, tauchten bereits die herausgehobenen Zitate des gedruckten Interviews vor ihrem inneren Auge auf.

      Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet.

      Ich schreibe nicht gern in der Einsamkeit. Ich brauche Geräusche um mich herum, Geschäftigkeit. Ja keine Stille! Meine Bücher entstehen mitten aus dem Leben heraus.

      Und Glück, meinte Coelho, sei langweilig.

      Besser hätte es nicht laufen können. Als der Schriftsteller sich verabschiedete und zurück in seine Suite ging, bestellte Isabella noch zwei Espressi für sich und ihren Fotografen. Die Lampe in Form eines Filmscheinwerfers tauchte die Bar in ein zartes, mattes Licht.

      Über die weihnachtlich geschmückte Herrengasse brach der Abend herein. Als Isabella zu ihrem Auto ging, fühlte sie sich beschwingt und hungrig. Beim Ausparken hörte sie ein lautes Knirschen. Oh mein Gott, dachte sie, hab‘ ich jetzt wirklich dieses Angeber-Auto vor mir gerammt?

      Im silbergrauen Aston Martin saß ein Mann und telefonierte bei laufendem Motor. Er drehte sich um und gestikulierte mit der rechten Hand. Sollte wohl »Sind Sie verrückt geworden?« heißen.

      Schließlich kletterte er aus dem Sportwagen und näherte sich mit langsamen Schritten. Er warf Isabella einen feindseligen Blick zu. Sie saß noch immer seelenruhig am Steuer ihres Minis und kramte geschäftig in ihrer Handtasche herum.

      »Prinz!«, stellte sich der Typ mit dem 150.000-Euro-Wagen vor.

      »Mahler, angenehm. Leider kann ich im Moment weder Führerschein noch Zulassungspapiere finden …« Isabellas Finger fischten Lippenstifte, Notizhefte, Schlüssel, Nagelfeilen und Pfefferminz-Lutschbonbons aus der Tasche.

      Prinz seufzte. Zu seinem Ärger gesellte sich offenbar eine gewisse Verwunderung. Vielleicht war er irritiert darüber, dass diese Frau nicht einmal wissen wollte, wie schlimm der Schaden an seinem Auto war. Ja, dass sie nicht einmal die Kratzer an ihrem Mini, den er sicher komisch fand, zu interessieren schienen.

      »Tut mir leid, das mit dem Buserer«, sagte Isabella. Buserer. Auch so ein Wiener Ausdruck der liebevollen Verharmlosung. Wie Pantscherl für Affäre, oder safteln, wenn eine Wunde nicht aufhörte zu bluten.

      »Ja, mir auch«, erwiderte Prinz, der einen Unfallbericht in der Hand hielt, »ich hoffe, Sie sind gut versichert.«

      Schließlich schob Isabella eine Visitenkarte durchs offene Fenster, registrierte seine dunkelblonden Haare, die grünen Augen. »Füllen Sie das doch bitte für uns beide aus«, bat sie, dann startete sie ihren Wagen und fuhr davon.

      Prinz schaute ihr ungläubig nach. Im Rückspiegel sah Isabella, dass er winkte.

      8

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 17. Dezember, 22:09 Uhr

      Liebe Frau Mahler,

      Ihr Interview mit Paulo Coelho in der Hotelbar, ich hab’s verschlungen. Gefoltert zu werden, in der Psychiatrie zu landen, als ehemaliger Drogenabhängiger 135 Millionen Bücher zu verkaufen, was für eine Vita! Ich mag den Satz, den Sie ihm entlockt haben: »Glücklich zu sein ist langweilig wie ein Sonntagnachmittag.«

      Wie ist es, so vielen spannenden Menschen so nahe zu kommen?

      Alles Liebe

      Christoph R.

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Mittwoch, 18. Dezember, 10:10 Uhr

      Lieber Herr Regner,

      es ist schön und unheimlich zugleich. Ein fremder Mensch sitzt mir gegenüber, wir schaffen eine vorübergehende Atmosphäre des Vertrauens, er öffnet sich mir und somit einem Millionenpublikum. Wir befinden uns in einem Raum, der spontane Nähe zulässt. Aber schon eine Sekunde nach dem Gespräch sind wir wieder Fremde.

      Wie wird es sein, Ihnen in 33 Tagen gegenüberzusitzen? Ich kann nicht glauben, dass ich einem Termin in so weiter Ferne zugestimmt habe, nur weil ich kindischerweise schöne Zahlen lieber mag als unzusammenhängende. Ich werde jetzt immer neugieriger, wie sich alle Puzzleteilchen, die nach dem Fernsehauftritt einfach so entstanden sind, zum Menschen zusammensetzen, dem ich bald begegnen werde.

      Wobei, »bald« sehen wir uns ja nicht … Aber Warten hat auch etwas Zauberhaftes, wie ein Abschied und ein Neubeginn.

      Geduldige Grüße

      Isabella M.

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Mittwoch, 18. Dezember, 22:17 Uhr

      Liebe Frau Mahler,

      ich freu mich und bin neugierig. Wie fließen die Bilder, die mein Kopf zu malen begonnen hat, mit der Unmittelbarkeit der Begegnung zusammen? Ich mag es, Menschen zu begegnen.

      Wenn ich ein Buch zu lesen beginne und ich merke, es bindet mich, die Spannung steigt. Was kommt auf Seite 20, 33, 45? Kommt noch eine E-Mail, was wird geschrieben, was schreibe ich …?

      Leben ist Begegnung …

      Alles Liebe

      Christoph R.

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Donnerstag, 19. Dezember, 13:40 Uhr

      Lieber Herr Regner,

      ja, was wird geschrieben? Von mir zum Beispiel das Wort »zugestimmt«, dabei war dieser zeitferne Termin allein meine grandiose Idee. Haha!

      Ich habe Ihnen von der vertrauensvollen Atmosphäre geschrieben, von einem Raum, der Nähe zulässt. So geht es mir, wenn ich Ihre Nachrichten lese. Nicht auf das Medium reduziert zu sein, nicht auf doppeltem Boden zu stehen, einfach nur als Person wahrgenommen zu werden, tut so gut. Ich mag unsere leise, von Respekt getragene Unterhaltung.

      In diesen Raum tauche ich gerne ein. Es fühlt sich da so ruhig an, wie wenn ich auf dem Hochstand in meinem ungarischen Garten sitze, vor mir nur die Schafherde und der Horizont. Oder auf der Alpe meiner Verwandten im Bregenzerwald, wenn die Nebelschwaden sich über die Berge legen und der Kachelofen langsam warm wird. Vielleicht sind das aber auch alles nur Projektionen.

      Das ist übrigens unser 22. Mail. Aber bei Ihnen ist Mail ja weiblich – die Mail. Und Sie verwenden die gendersensible Sprache.

      Liebe