Herzschweißen. Conny Bischofberger

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Название Herzschweißen
Автор произведения Conny Bischofberger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014639



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you’ve got us feeling alright.

      Es war 16 Uhr, als sie in der Löwengasse ausstieg und ihre Wohnung betrat. Ihre Söhne waren gekommen, sie hatten Freunde mitgebracht, tranken Bier und schmückten die Nordmanntanne mit Kugeln, Strohsternen, Engeln und Lichterketten. »Hey Mum!«, riefen die großen Kinder und schlossen Mama in ihre Arme. Es gab nichts Schöneres als eine feste Umarmung ihrer Söhne, den zwei wichtigsten Wesen in Isabellas Kosmos.

      Sie musste, nein, sie wollte auch noch die Kolumne für den 24. Dezember schreiben, den Text würde sie von zuhause aus durchgeben. Es war ein großes Privileg, dass sie überall schreiben konnte. Im Büro, zuhause, im Zug, im Flugzeug oder im Park. Alles, was sie dafür brauchte, war ein Notebook und ein WLAN, notfalls genügten aber auch Bleistift und Notizblock. Sollte es tatsächlich einmal keine Internetverbindung geben, konnte man einen Text auch im 21. Jahrhundert immer noch telefonisch durchgeben.

      Alles andere war in ihrem Kopf. Die Ideen und Zugänge. Die Gabe, sich in neue Problematiken, Situationen und Menschen hineinzuversetzen. Empfinden und nachempfinden.

      Schließlich führte sie die Politik, die Kinder und den Heiligen Abend in Gedanken zueinander und schrieb: »Wenn die Kinder wie Zugvögel aus allen Himmelsrichtungen nach Hause fliegen, dann ist Heiliger Abend. Zuhause ist dort, wo die Menschen und Tiere sind, die man liebt. Zuhause ist Wärme und Nähe. Wie kalt sich elektronische Schneeflocken und Küsse dagegen anfühlen.«

      Dachte sie auch beim Schreiben schon an ihn?

      »Stille Nacht. Da schweigt die Politik, da versammeln sich auch der Bundespräsident, die Parteichefinnen und -chefs«, da würde sie wieder viele Leserbriefe von erbosten Gender-Gegnern bekommen, »die Funktionäre und Abgeordneten mit ihren Familien unter dem Christbaum.«

      Sie überlegte, wie Regner, der sich vom Antikapitalismus angesprochen fühlte, wohl Weihnachten feiern würde. Sicher nicht im katholischen Sinn.

      »Wie gut es tut, leisezutreten nach diesem schrillen, lauten Jahr, die kostbaren Momente der Stille zu finden. Vor allem den Kindern tut das gut. Rituale und Traditionen rund um das Weihnachtsfest geben kleinen und großen Kindern ein lebenslanges Gefühl von Geborgenheit. Die große, chaotische Welt kommt in Ordnung.«

      Isabella genoss den Flow, den der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi als Zustand definierte, in dem Menschen voll in ihrer Aufgabe aufgehen, Raum und Zeit vergessen und nur noch tun. So fühlte sie sich, wenn sie schrieb. Im Flow formulierte sie die Pointe.

      »Denkt in der Politik eigentlich irgendwer an die Kinder, Familien und Freunde der Politikerinnen und Politiker? Daran, dass mediale Hinrichtungen, Dauerbeschuss und Häme, Angriffe und Spott, Kritik, und sei sie noch so notwendig und berechtigt, immer auch die Menschen im nahen Umfeld treffen und verletzen können? Deshalb, nicht nur am Heiligen Abend: Egal, was Politiker sagen, tun wollen oder wirklich tun, welche Fehler sie machen, beim Urteil sollte immer auch an die Kinder gedacht werden. In diesem Sinne, Ihnen allen Frohe Weihnachten!«

      12

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 08:04 Uhr

      Liebe Frau Mahler,

      Weihnachten … Ja, so fühlt sich Weihnachten an. Der Text ist gefühlvoll, echt und klar. Eine politische Herausforderung, die allerdings bei vielen Playern in diesem Geschäft eine substanzielle Wesensänderung voraussetzen würde. Bei manchen stellt die Intelligenz schon eine fast unüberwindbare Hürde dar. Und vielen fehlt die Demut. Aber es gibt auch kluge Köpfe. Meine 25. Mail an Sie …

      Alles Liebe

      Christoph R.

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 08:27 Uhr

      Lieber Herr Regner,

      wie würden Sie Demut definieren? Es ist ja nicht nur die Steigerungsform von Bescheidenheit. Ich finde, es ist ein schwieriges Wort …

      Isabella M.

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 08:38 Uhr

      Demut als innere Haltung zur Überwindung meines Narzissmus. Der Versuch, das Leben als Geschenk anzunehmen und nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Respektvoll mit den Menschen, den Tieren und der Umwelt umzugehen. Ich erhöhe mich nicht, stelle mich nicht über andere. Tiere sind Lebewesen, kein Produktionsfaktor. Die Umwelt ist unsere Lebensgrundlage. Demut ist eine Herausforderung, Tag für Tag. Demut lohnt sich …

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 08:47 Uhr

      Das Leben ist wirklich ein Geschenk, Demut sehr angebracht. Für mich bedeutet es, mich als Teil von etwas zu verstehen, das größer ist als ich. Von diesem »Größeren« hoffe ich insgeheim auch, beschützt zu sein.

      We are searchlights, we can see in the dark …

      We are rockets, pointed up at the stars …

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 08:50 Uhr

      Pink?

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 08:52 Uhr

      Pink, right. We are billions of beautiful hearts …

      Sie sollten mich sehen, ich tippe mit blauen Fingern, gefärbt vom Rotkraut. Wir sind zwölf Personen am Abend.

      Sind Ihre Zugvögel auch da?

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 10:11 Uhr

      Liebe Frau Mahler,

      wir sind zu zehnt.

      Meine Frau bereitet auch gerade Rotkraut zu.

      Alles Liebe

      Christoph R.

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 10:25 Uhr

      Wie schön!

      Ich weiß noch immer nicht Ihren Geburtstag …

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 10:27 Uhr

      Der Tag, an dem der Krieg zu Ende ging …

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 10:29 Uhr

      Henry Dunant wurde auch am 8. Mai geboren. Dann werden Sie nächstes Jahr am 5. November 21.000 Tage gelebt haben …

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 11:24 Uhr

      So zahlenverliebt …

      21.000 – so alt fühle ich mich noch gar nicht.

      Von: Isabella Mahler

      An: Christoph Regner

      Dienstag, 24. Dezember, 11:34 Uhr

      Uns trennen in Wahrheit nur 352 Tage.

      Von: Christoph Regner

      An: Isabella Mahler

      Dienstag, 24. Dezember, 17:50 Uhr

      Das ist nur ein Hauch …

      Frohe Weihnacht!

      Alles Liebe

      Christoph R.