Herzschweißen. Conny Bischofberger

Читать онлайн.
Название Herzschweißen
Автор произведения Conny Bischofberger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014639



Скачать книгу

Schritten, die kalte Luft fraß sich in ihre Lunge.

      Auf ihrer kurzen Strecke begegnete sie zwei Ratten, die den Weg zum Wasser kreuzten, und einem schwarzen Raben, der sie neugierig anstarrte. Es war 6.45 Uhr. Auf dem Rückweg würde sie frisches Grahambrot mitnehmen, dafür klebte immer ein Fünfeuroschein in ihrem BH. Grahambrot erinnerte sie an ihre Bandscheibenoperation vor sechs Jahren. An den Morgenschmerz, der damals wochenlang ihr Begleiter war. Durch Bewegung wurde er immer schwächer und schließlich besiegte sie ihn. Danach gab es in der Klinik Grahambrot mit Butter und Honig und Malzkaffee.

      Beim Aufgang zur Brücke sah sie Brigitte mit ihrem Beagle »Giovanni«. Brigitte spielte die lustige Alte in einer TV-Vorabend-Serie, verkörperte den Prototyp Frau jenseits der 50, die noch Spaß an Sex hat. Privat sah das anders aus.

      »Hey!«, rief Isabella und drosselte das Tempo, Brigitte winkte ihr zu. Die beiden Frauen gingen ein Stück des Weges gemeinsam.

      »Du siehst gut aus«, sagte Brigitte und musterte Isabella von der Seite. »Irgendwie verändert.«

      Isabella erschrak. Sie war innerlich aufgewühlt, aber konnte man das äußerlich wirklich sehen?

      »Ich habe eine Konversation mit einem Mann begonnen«, sagte Isabella. »Hab ihm ein E-Mail geschrieben, und er hat sofort geantwortet.«

      Brigitte horchte auf. »Ich bewundere deinen Mut«, sagte diese starke, erfolgreiche Frau, »ich glaube, ich könnte das nicht.«

      »Es war ein innerer Impuls«, erklärte Isabella. »Ich bereue es mittlerweile schon fast.«

      Dann erzählte Brigitte von einem Regisseur. Sie sei aber nicht sicher, ob ihre Gefühle für ihn auf Gegenseitigkeit beruhen würden. Außerdem sei der Typ verheiratet.

      Isabella hatte dieses Argument schon so oft gehört. Und nie verstanden. Ihrer Ansicht nach konnte man sich mit jedem Menschen unverbindlich treffen und austauschen, unabhängig von dessen Geschlecht oder Beziehungsstatus. Alles andere würde ja bedeuten, dass der Austausch mit einem Hintergedanken stattfände. Der Hoffnung oder Absicht, eine romantische oder sexuelle Beziehung einzugehen. Isabella schien es logisch, dass am Anfang höchstens Interesse stehen konnte. Gefühle kamen erst später, mitunter auch gar nicht.

      »Ist es nicht unehrenhaft, ihm zu schreiben?«, fragte Brigitte leise.

      »Unehrenhaft?« Isabella sah in den sich klärenden Morgenhimmel. »Was soll daran unehrenhaft sein? Lerne ihn doch erst einmal kennen!«

      Und dann hielt sie ein zorniges Plädoyer über Frauen, die sich viel zu viele Gedanken machen. Über das, was Männer über sie denken, über Fesseln und Konventionen, über Freiheit und Emanzipation, »sogar über Ehefrauen, die wir gar nicht kennen, machen wir uns Gedanken«, ließ Isabella ihrem Ärger Luft. »Und wer macht sich bitte Gedanken über uns?«

      Brigitte lachte. »Du hast mich ermuntert«, meinte sie, »vielleicht frage ich ihn, ob er Lust hat, einen Kaffee mit mir zu trinken.«

      Auf dem Rückweg in ihre Wohnung überlegte Isabella, was Christoph Regner jetzt wohl gerade machte. Ob er Kaffee oder Tee trank zum Frühstück? Wo er wohnte und wie. Wahrscheinlich fuhr er mit der U-Bahn ins Büro. Sie fragte sich, nicht das erste Mal, warum er ihr am 6. Dezember schon frohe Weihnachten gewünscht hatte.

      Isabella verspürte große Lust, ihm zu schreiben, entschloss sich aber, diesem Verlangen nicht nachzugeben.

      7

      An Interview-Tagen war Isabella trotz jahrzehntelanger Routine und perfekter Vorbereitung noch immer aufgeregt. Sie stellte sich den Worst Case vor, dass sie zu spät kommen, ihren Interviewpartner vor den Kopf stoßen würde, wichtige Aspekte übersehen haben könnte, dass sie ihrem Gegenüber sprachlich unterlegen wäre, dass sie sich von seiner Sympathie davontragen ließe, dass das Ergebnis blamabel sei, in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm losbrechen würde und ihr Herausgeber sich zu keiner Bemerkung hinreißen ließe. Es gab so einen Spruch in der Redaktion. Ned gschimpft is gnua g’lobt – kein Tadel bedeutet bereits Lob, das einzige Lob.

      All diese schrecklichen Vorstellungen endeten jeweils damit, dass sie zu sich selbst sprach: »Du hast das hunderte Male gemacht und es ist fast immer gut ausgegangen. Sehr gut sogar. Es gibt keinen Grund, dass es diesmal anders sein sollte. Du weißt genau, wie es geht. Deine Gesprächspartner vertrauen dir. Sie öffnen sich und erzählen dir Dinge, die besonders sind. So, und jetzt lässt du deine Angst los.«

      Isabella stellte sich Angst blau vor und atmete die blaue Luft wie einen schweren Seufzer aus. Dann atmete sie frische, goldene Luft ein. Ihr Körper entspannte sich, sie spürte Respekt und Demut, auch vor sich selbst. Eine Haltung, die jedes Gespräch von Grund auf veränderte.

      Die Schreckensvorstellungen waren nicht gänzlich unbegründet. Immer noch quälten sie die Erinnerungen an ein Interview, das ihr damals, knapp vor ihrem dreißigsten Geburtstag, völlig misslungen war. Jeanne Moreau, die Isabellas Meinung nach das französische Kino des 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Künstlerin geprägt hatte und noch dazu ihre Lieblingsschauspielerin war, sagte vor einem Wien-Besuch zwei Interview-Anfragen zu. Eine Zusage betraf Isabellas Tageszeitung.

      Sie war so stolz, diesen Termin wahrnehmen zu dürfen, dass sie vollkommen unvorbereitet nach Paris flog. In der AUA-Maschine blätterte sie noch in der Biografie Die verwegene Jeanne Moreau. »Wenn andere Schauspielerinnen das gewisse Etwas hatten, so hatte die Moreau das gewisse Alles«, stand auf der Rückseite.

      Verwegen war auch Isabellas Unprofessionalität. Auf der Fahrt vom Flughafen Charles de Gaulles in die Innenstadt zog sie im Taxi ihre Lippen nach und überlegte, was ihr Fotograf wohl für ein Typ Mensch sein würde. Besonders phlegmatische und hyperaktive Fotografen machten Isabella wahnsinnig. Ihr eigenes Phlegma fiel ihr nicht auf.

      In der Rue de l’Université empfing Jeanne Moreau an diesem Juninachmittag um 17 Uhr Isabella und Michel, die Journalistin aus Wien und ihren Pariser Fotografen. Sie sprach – welche Überraschung – französisch. Daran hatte Isabella gar nicht gedacht. Und ihr Sony-Aufnahmegerät hatte sie auch vergessen.

      Das Interview – nein, ihr Gestammel verdiente diese Bezeichnung wahrlich nicht – wurde zu einem Desaster. Jeanne Moreau weigerte sich, wie viele Franzosen, wenn man ihre Sprache nicht spricht, ins Englische zu wechseln. Isabella wusste, dass Michel ihre einzige Rettung war. Er berichtete ihr später, was die zunehmend unwillig werdende Moreau auf ihre Fragen geantwortet hatte.

      Damals schämte sich Isabella so sehr, dass sie stundenlang weinte. Aber es war auch ein Schlüsselmoment für ihre spätere Karriere. Ihr wurde bewusst, dass Interviewführung nichts war, was einfach so gelang. Sondern eine ganz eigene Disziplin des Journalismus, mit zahlreichen Regeln und noch mehr Fallstricken. Diese Regeln eines Formats, das viele für die Königsdisziplin des Journalismus hielten, wollte sie sich akribisch aneignen und zur Perfektion führen.

      Isabella stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und massierte Birkenöl in die Dellen ihrer Oberschenkel. Es war 11 Uhr, der Termin mit Paulo Coelho war in vier Stunden. Sollte sie den schwarzen Hosenanzug von Max Mara tragen oder das rote Jil-Sander-Sakko? Dazu konnte sie auch Jeans kombinieren, das sah nicht so übertrieben elegant aus. Sie entschied sich schließlich für ein grünes Wollkleid mit Stiefeln. Im Sommer trug sie meist Weiß oder Gelb. Gelb war ihre Lieblingsfarbe. Gelb wie die Sonne und die Maisfelder im August.

      Isabella föhnte ihre Haare, rollte die Strähnen um ihren Finger und steckte sie mit Clips fest. Das gab natürliche Locken. Sie trug Make-up auf, dazu ein bisschen Erdpuder, braunen Lidschatten und roten Lippenstift. Sie mochte die Fältchenlandschaft um ihre Augen und den Mund, nichts schlimmer als botoxgeglättete Gesichter.

      Dann setzte sie sich an den Tisch in der Küche, vor sich ein paar Blätter Papier. Sie dachte an Paulo Coelho, führte sich seine Lebensleistung vor Augen, und versetzte sich dann in die Lage ihrer Leserinnen und Leser. Was wollten sie vom »König der Sinnsuche« wissen? Es spielte überhaupt keine Rolle, ob sie selbst die Romane von Coelho gerne las oder sie für Kitsch hielt. Sie war immer Anwältin ihres Publikums, musste jene Fragen stellen, die sich auch