Название | Geist & Leben 4/2018 |
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Автор произведения | Echter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429063764 |
Das Johannesevangelium wiederum erzählt in nur gerade 19 Versen ganz verdichtet, wie Jesus einer Frau begegnet, die bereits mit dem sechsten Mann zusammenlebt. (Joh 4,7–26) Ihrer Sexualkraft ist offensichtlich die Beziehungs- und Bindungsfähigkeit abhanden gekommen. Daher ist sie auch sozial ausgegrenzt. Sie kommt in der Mittagshitze allein zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen, was Frauen sonst normalerweise gemeinsam am Morgen und Abend tun. Als Jesus ihr in Aussicht stellt, dass in ihrem Inneren eine geistige Quelle sprudeln könnte, will sie diese sofort haben. Ihre Sehnsucht ist groß. Da aber fragt Jesus sie nach ihrem Intimleben. Sie wird gleichsam auf die Couch gelegt und muss erzählen. Sie sagt nicht alles, doch was sie sagt, ist in „Wahrheit“ gesagt, wie Jesus hervorhebt. Diese Aussprache in Zweisamkeit ist Voraussetzung für ihre Heilung. Sie wird ihre erotisch-sexuelle Strebekraft nicht weiter von Mann zu Mann schweifen lassen, sondern richtet sich spirituell-religiös aus. So beginnt sie mit Jesus über interreligiöse und Glaubensfragen zu sprechen: Wo muss man anbeten, in Jerusalem oder auf dem Garizim? Auch hier geht es um „Geist und Wahrheit“ und um Gebet. Dabei wird ihr klar: Vor ihr steht in Jesus die „persönliche“ wie „allgemeine“ Wahrheit, der siebte Mann wie der von Gott Gesalbte. Er sagt zu ihr: „Ich bin es, ich der mit dir spricht.“ (Joh 4,26)
Die Frau findet durch ihn zu Wahrhaftigkeit im Leben und findet zugleich Antworten auf ihre Glaubensfragen. Auch in dieser Erzählung sind die Zahlen symbolisch zu lesen. Die Frau findet im siebten Mann ihre Fülle. Dass es um eine Liebesbeziehung geht, wird durch die Szene am Brunnen expliziert. Seit Rebekka, die Frau für Isaak, am Brunnen gefunden wurde (Gen 24), besteht der literarische Topos der Liebesbegegnung am Brunnen in der hebräischen Literatur. In Joh 4 ist die Bewegung vom Erotisch-Sexuellen auf das Erotisch-Spirituelle hin eindeutig, wobei es bis zuletzt um eine innige Beziehung zwischen Jesus und der Frau geht. Jesus zeigt sich in diesem Text zugleich als Therapeut, welcher der Frau hilft, über ihr sexuelles Leben zu sprechen, und als spiritueller Begleiter, der existenzielle Glaubensfragen anspricht. Wie an mehreren Stellen im Johannesevangelium erweist sich das Wasser als Heilmittel, wenn es im Sinne Jesu, des neuen Jakob geistlich erfasst wird.7
Treue im Dienste sexueller Reifung
In beiden biblischen Texten geht es darum, Beziehungen wiederherzustellen, sei es unter Menschen, sei es mit Gott. Bekanntlich sehen Judentum wie Christentum die Ehe als Rahmen für sexuelle Beziehungen, auch wenn ihre Ausformungen unterschiedlich sind. Gemäß röm.-kath. Lehre und Kirchenrecht dient die Ehe nicht mehr nur der Zeugung von Kindern. Sie steht auch im Dienst sexuell gelebter Liebe.8 Auf das frei gesprochene Ja-Wort wird deshalb viel Wert gelegt, ebenso auf die Treue. Für die Frage nach persönlicher sexueller und spiritueller Entwicklung ist beides fundamental: die Partnerschaft auf Augenhöhe aus freiem Konsens und das treue Zueinanderstehen in „guten wie in schlechten Tagen“, wie es im Eheschließungsritus heißt. Die Institution der Ehe soll Rahmen und Schutz sein, die den unumgänglich lustvollen, aber auch konfliktreichen inneren Wachstumsprozess eines Paares ermöglicht. Sie hilft in Ernüchterung und Krise nach der idealisierenden Verliebtheitsphase und gibt Halt, so dass auch gegenseitig die Abgründe und dunklen Seiten angenommen werden können. Jede Idealisierung aber schadet der Ehe. Es geht nicht ohne Umwege. Versöhnung gehört auch nach Untreue immer dazu. So will die Ehe ein heilsamer Rahmen sein, um täglich aneinander zu wachsen, auch was die Sexualität betrifft. Die Sehnsucht nach erfüllter Liebe lässt ein Paar auch in der Ehe über sich hinaus auf eine Gottesbeziehung hin wachsen. So kann die Beziehung von Mann und Frau auf die Beziehung mit Gott verweisen bzw. die Liebe Gottes zum Menschen erst vergegenwärtigen. Daher spricht die Kirche vom Ehesakrament. Die gelebte Ehe stellt also einen spirituellen Übungsweg dar. Treue steht letztlich im Dienst einer ganzheitlichen, erotisch-sexuellen, spirituellen und persönlichen Reifung des Ichs am Du, am mitmenschlichen wie am göttlichen Du. Das Christentum ist eine Beziehungsreligion. In Beziehung tritt der Mensch aber immer mit seiner ganzen Leiblichkeit und seinem Begehren, aus sich herauszutreten, sich hinzugeben und einem ebenso offenen Gegenüber zu begegnen. Zu dieser Schöpfungswirklichkeit der Beziehung gehört Erotik und Sexualität. Im Wachsen der Beziehungswirklichkeit zwischen zwei liebenden Menschen und im Sich-Hingeben ohne sich zu verlieren, scheint die Beziehung zur Transzendenz und zu Gott durch. Die Beziehung zu Christus und die Liebesbeziehung mit Gott stellen aus christlicher Perspektive zudem den metaphysischen Horizont und den asymptotischen Punkt für menschliches Beziehungsstreben dar.
Die Sehnsucht nach der absoluten Liebe
In allen religiösen Traditionen aber gibt es Menschen, deren erotisch-sexuelles Begehren primär geistig-geistlichen Ausdruck sucht und sich spirituell äußern will. Die sexuell gelebte Beziehung tritt dann ganz hinter die Sehnsucht nach der absoluten Liebe und der letzten Transzendenz zurück. Diese ist so zentral und dominant, dass zwischenmenschliche Sexualität wenig Attraktivität ausstrahlt. Besteht die Klippe der Paarbeziehungen darin, im Körperlich-Triebhaften oder in vitaler Selbstbehauptung steckenzubleiben, so jene der vergeistigten erotischsexuellen Strebekraft im Verachten und Ablehnen des Leiblichen als Ganzes. Verdrängte Sexualität kann sich aber als blinde Kraft und Gewalt zurückmelden oder sogar pathologische Formen annehmen. Regredierende religiöse Persönlichkeiten und von der sexuellen Lust gerittene Philosophen hat die Geschichte immer wieder gesehen. Wo die geistig-spirituelle Beziehung mit Gott oder der transzendenten Welt jedoch in einer geglückten Form zur absoluten Liebe gelingt, mag das Sexuelle ganz in den Hintergrund rücken, weil es in die geistige Beziehung eingebunden ist. Das Begehren findet seine Form in religiöser Ekstase sowie in der Intimität und Liebe zu Gott und der geistigen Wirklichkeit. Diese wird durch sinnlich erfahrbare Symbole, ritualisierten Vollzug und gestaltete Leiblichkeit erlebt. Das Erotische und Leibliche spielt dabei oft eine zentrale Rolle und findet auf dem spirituellen Weg Ausdruck in Gebet und Meditation, Gottesdienst und Liturgie, Kunst, Musik und Gesang. Eine zölibatäre Lebensform, wie sie zum Beispiel das Ordens- und Mönchsleben in verschiedenen religiösen Traditionen darstellt, setzt die Pflege einer intensiven transzendenten Beziehung voraus. Sie nährt sich aus einer kontemplativen und ästhetischen Kultur, die in Gemeinschaft gepflegt sein will. Dass die sexuellen Ausdrucks- und die spirituell-religiösen Kulturformen sich überlagern und durchdringen, ist offensichtlich. Dies hat mit der Einheit der vital-geistig-spirituellen Strebekraft im Menschen zu tun, die sich auf ein menschliches Gegenüber als geistiges Wesen und auf Gott ausrichtet, aber auch die Zuneigung zu anderen Geschöpfen, Dingen und zu sich selbst einschließt.9
Gottesliebe und erotische Liebe
Die Bibel beschreibt das Verhältnis des Volkes Israel zu Gott, von dem kein Bild gemacht werden darf, nicht umsonst als Liebesbeziehung. Die Sprache ist dabei erotisch-sexuell, wenn Hosea von „menschlichen Fesseln“ und „Banden der Liebe“ spricht (Hos 11,4), durch die Gott sich mit seinem Volk verbindet. Gott sehnt sich wie ein eifersüchtiger Liebhaber nach seinem Volk. Wie ein roter Faden zieht sich dann der Vorwurf der Unzucht und der sexuellen Untreue Israels gegenüber seinem