Geist & Leben 4/2018. Echter

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Название Geist & Leben 4/2018
Автор произведения Echter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063764



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vertraut der Verheißung, dass alles gut ist und wird. Tim und Sue Moldoon formulieren es so: „Es ist, wie wenn man in der Nacht Auto fährt: Man sieht nur so weit, wie das Licht der Lampen leuchtet (…). Aber es reicht aus, um weiterzufahren.“4 Der Glaube ist eine feste Zuversicht auf das, was man hofft und ein Überzeugtsein von Dingen, die man noch nicht sieht. (Hebr 11,1) Manchmal erlebt eine Familie außergewöhnliche Momente, wenn Dinge passieren, die man sich erhoffte. Dann wieder muss man die Zähne zusammen beißen und nach vorne blicken, auch wenn man keine Lust dazu hat: Wenn die Arbeit drängt, die Kinder streiten und niemand die Glühbirnen am Gang austauscht.

      Wer dann die Situation dramatisiert, ist keine Hilfe. Es ist wie beim Pilgern: Ein großer Teil des Weges verläuft im Flachland, ohne Sicht auf große Berge oder spektakuläre Täler. Aber es gibt die kleinen Freuden des Gehens auf ein Ziel hin. Der stete Blick auf das Ziel (das unser Ursprung und zugleich Nahrung ist) gibt die Richtung vor und ermöglicht das Wissen: Es ist nicht sinnlos. Bereits jetzt sind wir vom Reich Gottes umgeben. Wir erleben nicht eine Serie von zusammenhanglosen Ereignissen. Gott lädt uns ein, gemeinsam mit ihm eine Welt zu bauen, wie sie sein sollte, eine Welt der Liebe – beginnend bei unserer Familie: „Glaube ist (…) die Perspektive zu wechseln: Die Welt ist kein Theaterstück, wo sich dein Leben darstellt: Es ist eine stete Einladung, gemeinsam mit Gott zu arbeiten.“5

       Regel 2 (ähnlich der ersten): In unseren Handlungen kontemplativ sein.

      Um Gott zu vertrauen, muss man ihn zuerst kennen. Das bedeutet, ihm Zeit zu schenken, um die persönliche Beziehung zu ihm zu nähren. Ignatianische Spiritualität will Menschen in Bewegung bringen, dass sie Gott erfahren und kennenlernen, wie Jesus ihn kennenlernte; dass sie sich in Gott verlieben, damit alles im Leben von dieser Liebe getragen und alles im Licht der Liebe gesehen wird. Ohne Vertrautheit mit Gott lässt sich diese Vision nur schwer aufrechterhalten. Mit Büchern und Konferenzen erreichen wir vielleicht eine Doktrin, aber nur eine regelmäßige Glaubenspraxis führt zur Freundschaft mit Gott.

      Das ignatianische „Gott in allen Dingen finden“ meint, in unseren Handlungen kontemplativ sein. Stille und Ruhe sind wesentlich für ein Leben mit Tiefgang. Aber die meisten Menschen leben in einem sehr umtriebigen, lauten Umfeld. Ist nicht Gott in dieser und in keiner anderen Welt Mensch geworden? Im Leben der Familie geht es oft um die kleinen, einfachen Dinge: nach den Kindern Ordnung zu machen, zu verhindern, dass sie streiten, einen Film zu genießen, Zeit zu haben, um sich der leidenden Welt zu widmen. Das ist das Leben, hier ist Gott zu suchen und zu finden. Karl Rahner betrachtete die „Familie als Ort der Präsenz Gottes“: „Das weltliche Leben, ehrlich und ohne Zurückhaltungen gelebt, ist bereits ein spirituelles Element (…). Wer sich der Welt wahrhaftig in Liebe hingibt, findet in derselben Welt das Kreuz Christi und die Unergründbarkeit Gottes, und braucht sie nicht mehr wie eine Zauberformel zu behandeln (…). Diese weltlichen Tugenden offenbaren sich demjenigen dann eines Tages als das größte Geheimnis, das Gott selbst ist.“6

      Um kontemplativ leben und handeln zu können, ist – so die Pädagogik des hl. Ignatius – das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit (Examen) eine große Hilfe. Es wäre wichtig, das Examen als Begegnung mit Gott so zu gestalten, dass sie uns immer selbstverständlicher, ja zur alltäglichen Gewohnheit wird. José A. García führt aus: „Wenn ein Mensch Tag für Tag ausdrücklich vor Gott steht und den Lauf seines Lebens zurückspult und sich demütig-vertrauensvoll fragt: ‚Wie hast du mich in meinem Leben in dieser konkreten Zeit begleitet, wie habe ich dich aufgenommen und dir geantwortet?‘“, integriert dieser Mensch diese Perspektive nach und nach in sein Leben: „Indem man sich diese Frage immer wieder retrospektiv stellt, stellt man sie auch automatisch nach vorne. So wird diese Frage Teil des eigenen Lebens, stets neu aktualisiert.“7

      Um für diese Übung Zeit zu finden, müsste man ein wenig kreativ sein. Und was unsere Kinder und Jugendlichen betrifft: Derzeit gibt es in vielen Jesuitengymnasien die Praxis der täglichen Gewissensüberprüfung und es gibt dazu viele Adaptierungen für Kinder.

       Regel 3: Die Familie ist ein Weg, der zu Gott führt (Familie als Berufung).

      Diese Regel spricht eine der häufigsten Versuchungen an, uns vom gewählten Weg zu entfernen. Ein Aphorismus bringt diese auf den Punkt: „Das Gras im Garten des Nachbarn ist immer grüner.“ Wir denken, dass wir besser kontemplativ im Handeln sein könnten, wenn wir uns für einen anderen Weg entschieden hätten:

      „Wenn ich in einem Orden wäre, hätte ich kein Problem, Zeit für das Gebet zu finden oder spiritueller und intellektueller zu sein.“ Das stimmt so nicht, da Ordensleute dieselben Probleme haben. Darüber hinaus ist dieser Gedanke insofern eine radikale Versuchung, als er das Wesen unserer Berufung (als eines persönlichen Gerufenseins) leugnet, denn nur in der Familie finden wir unsere wirkliche Chance zu wachsen. Wir sind für eine Zukunft berufen, nämlich das zu werden, was wir noch nicht sind. Wir erkennen eine tiefe Sehnsucht in uns, daran zu arbeiten, diese Berufung Realität werden zu lassen. Im Falle der Berufung zur Familie wird der Ruf als Paar, mit dem Auftrag, um uns herum mehr Leben zu schaffen, beantwortet.

      Während wir unsere Berufung leben, erfahren unsere tiefsten Wünsche eine Klärung: durch Lebensumstände, durch Nachdenken und durch Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Wir erkennen jene, die wertvoller sind, weil sie uns zu einem Leben in größerer Fülle einladen. So bearbeiten wir alles, was uns geschieht. Nach einer Metapher von James Martin können wir unser Leben betrachten wie ein Bildhauer, der vor einer Skulptur steht. Das Leben und die Berufung – sie werden so „herausgemeißelt“, bis die Figur entsteht, zu der du berufen bist, persönlich, als Partner(in) und als Familie. Manchmal sehen wir nur die Stücke, die der Bildhauer wegnimmt. Der Glaube hilft uns, tiefer zu sehen, bis wir uns selbst so erkennen, wie uns der Bildhauer erdacht hat (vgl. 1 Kor 12,13).

      Man darf nicht erschrecken, wenn man in sich selbst widersprüchliche, im christlichen Sinn wenig vorzeigbare Wünsche vorfindet. Ignatianische Pädagogik widmet sich diesem Punkt: zu erkennen, was unsere höheren Wünsche sind – und welche keine höhere Aufmerksamkeit verdienen. Für Ignatius genügt es, mit Demut zu erkennen, dass alles, was wir in uns erkennen, oft nur das Verlangen ist, diesen höheren Bestrebungen zu folgen, die aber in uns noch nicht wirksam geworden sind. Indem wir prüfen, klären und unterscheiden, wo der Ruf Gottes in diesen unseren Wünschen ist, bilden wir den Horizont unserer Berufung. Wir können erkennen, wo wir hingehen wollen.

       Regel 4: Kein Hindernis sein

      Dieser Ausdruck verweist auf das ignatianische Konzept von Mission. „Wählen“ und „dienen“ – diese beiden Verben haben das Projekt christlichen Lebens im Blick. Dabei reicht es nicht, Dinge zu tun; es geht darum, die „Dinge Gottes“ zu tun, das „Reich zu erschaffen“. Dafür ist es zunächst wichtig zu wissen: Gott geht uns immer voraus. Er leistet die Vorarbeit. An uns liegt es, zu antworten und zu dienen: „in allem lieben und dienen“, als Antwort darauf, was Er in unseren Familien und in der Welt vollbringt.

      Dies anzuerkennen führt dazu, uns in dieser Mission zu wissen – ohne sie uns anzueignen. Sie ist nie „unsere“ Mission, sondern wir sind gemeinsam in der Mission des/der Anderen. Dies braucht einen Raum der Großzügigkeit und Selbsthingabe. Es ist keine Mission „für“ uns. Nach Ignatius soll man an der Mission Gottes mit Demut, Einfachheit und Weisheit mitwirken, indem man nicht „stört“. Das bedeutet, ein(e) Vermittler(in) der Liebe Gottes zu sein und sich selbst nicht zwischen Gott und die Welt zu stellen. Nicht die Selbstverwirklichung ist vorrangig, sondern „aus unserer eigenen Liebe, unserem Wollen und unserem Interesse auszubrechen“ (GÜ 189). Denn so sehen wir jene, denen wir dienen, als Geschöpfe Gottes und geraten weniger in Versuchung, sie leicht für unsere eigenen Zwecke zu gebrauchen. Obwohl er sehr bekannt ist, möchte ich hier einen Text aus Der Prophet von Khalil Gibran zitieren, in dem er sehr gut erklärt, wie wir mit unseren Kindern leben sollen:

      „Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

       Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

       Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,

       Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.