Mostkost. Klaus Ranzenberger

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Название Mostkost
Автор произведения Klaus Ranzenberger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783702580834



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Da hab ich mir was eingebrockt, denkt er sich, selber schuld. Um seinen tadellosen körperlichen Zustand unter Beweis zu stellen und so die Bedenken seiner Frau im Keim zu ersticken, hat er nämlich aktiv angeboten, ihr bei der Gartenarbeit zu assistieren. Nicht, dass er sonst nicht helfen würde, meist aber erst nach Aufforderung. Und so steht er nun in Gummistiefeln am Gartenzaun, um das dort befindliche Gemüsebeet für die Neubepflanzung vorzubereiten. Und das heißt, Unkraut samt hartnäckigen Wurzeln entfernen und die Erde umgraben, beides schweißtreibende Arbeiten. Die er aber gern auf sich nimmt, wenn er die Tante damit nur von diesem Schmarrn von wegen Arztbesuch, gesunder Ernährung und alkoholfreiem Weißbier abbringen kann. Weil so ganz ist er sich dann doch nicht sicher, ob sie ihn damit nur ein bisserl sekkieren wollte oder ob er mit weiteren Vorschlägen dieser Art zu rechnen hat. Drum legt er sich jetzt so ins Zeug, ganz nach dem Motto: Jetzt schau dir an, liebe Frau, wie gut ich noch beieinander bin, fast wie ein Junger. Pumperlg’sund und bei tadelloser Kondition, was braucht’s da einen Doktor oder gar eine Schmalkost!

      Die Tante, sonst immer selbst kaum zu bremsen bei der Gartenarbeit, lässt es heute etwas ruhiger angehen. Lehnt gemütlich mit verschränkten Armen an der Gartensäule und dirigiert ihren ungewohnt fleißigen Gehilfen mit Anweisungen wie: „Schau, Franzl, da hinten, der Löwenzahn muss auch noch weg“, oder, „Rechts a bisserl tiefer umgraben bitte, da sollen d’ Erdäpfl hin“. Dazwischen wechselt sie auch immer wieder ein paar Sätze mit der Nachbarin. Die ist grad beim Teppichklopfen und hält mit ihr über den Gartenzaun hinweg das, was man heute neudeutsch „Smalltalk“ nennt. Wenn ihm seine Frau dabei ab und zu den Rücken zukehrt, nutzt der Onkel Franz die Gelegenheit, sich unauffällig zu strecken und kurz zu verschnaufen. Und eben dabei sieht und hört er jetzt – zu seiner Überraschung – dieses schwarze amerikanische Auto von neulich, das mit dem protzigen Adler auf der Haube, langsam seine Wohnstraße hinunterfahren. Ob der mich sucht?, kommt ihm ganz kurz in den Sinn, ein leichtes Kribbeln wandert seinen Nacken hinauf. Vor seinem geistigen Auge taucht dabei die Szene mit dem Messer auf. Aber nein, Blödsinn, beruhigt er sich, der kann uns nicht gesehen haben. Hat nicht einmal in unsere Richtung geschaut, außerdem sind wir leise gewesen. Und besonders hell war’s auch nicht mehr.

      Aber eine andere Idee kommt ihm. Nämlich die, dass das jetzt die Gelegenheit ist, ganz beiläufig herauszufinden, wer der Bursche überhaupt ist. Schon seine Frau kennt die meisten Leute aus der Gegend, aber die Nachbarin, die ist ein wandelndes Lexikon, was Gesichter und Namen und die dazugehörigen Geschichten betrifft. Kennt jeden, sieht alles, weiß alles. Oder glaubt zumindest, alles zu wissen. Sie ist das, was man im Innviertel umgangssprachlich als „Quadratratschen“ bezeichnet. Ein Umstand, der den Onkel schon des Öfteren geärgert hat, aber jetzt kommt er ihm gelegen. Er unterbricht seine Arbeit nun ganz offiziell und schaut, wie die beiden Frauen, dem auffälligen Auto hinterher.

      „Da schau her“, sagt er, „is der Zirkus in der Stadt?“ Und zur Nachbarin gewandt: „Wer war jetzt das, kennst du den?“

      Da ist er bei der Teppichklopferin an der richtigen Adresse. Die kommt nun ganz an den Zaun heran und beginnt einen längeren Monolog.

      „Der? Was, das weißt du nicht? Das war der Kirov Ludwig. Seine Mutter, die kennst bestimmt, die Anneliese. So eine Blondg’färbte. Sitzt draußen im Supermarkt an der Kassa. Ihr Mann ist schon länger weg, der ist ihr davon. Hat s’ mit’m Kind sitzen lassen. Der Bub war dann schon in der Schul eine Pfeifen, hat nix zusammen’bracht. Lehre abgebrochen, Gelegenheitsjobs, sowas halt. Aber wie er sich dann selbstständig gemacht hat, der Wickerl, da ist es aufwärts gegangen. Immobilien, Anlageberatung, Import-Export, sowas halt. Keine schlechte Karriere für so einen Banater-Bub.“

      Der letzte Satz reizt den Onkel zur Gegenrede, er mag solche Vorurteile nicht. Aber er schluckt den Impuls hinunter, um die Informationsquelle nicht zum Versiegen zu bringen. Hier ist scheinbar etwas zu erfahren.

      „Banater, aha. Woher?“

      „Aus’m Rumänischen glaub ich. Donauschwaben halt. Aber schon sein Großvater ist als junger Bursch da zu uns her’kommen. Da hinten in der Siedlung wohnt der heut noch und züchtet Hasen. Komischer Kauz. Aber der Bub ist in Ordnung. Kennt sich aus mit’m Geld. Hat mir erst neulich meine Versicherungen optimiert. Solltet ihr auch einmal machen lassen, zahlt sich aus. Wart, irgendwo hab ich noch das Karterl.“

      Sie kramt in den Taschen ihrer Kleiderschürze herum und fördert nach einigem Suchen tatsächlich eine etwas verwuzelte Visitenkarte zutage. Gibt sie dem Onkel, der sie aufmerksam in Augenschein nimmt. Schwarz ist das Ding, mit einem roten Stern drauf. Der wiederum flankiert wird von goldenen Flügeln. Dann der Name: „Boris Kirov“. Darunter: „Immobilien – Anlageberatung – Import/Export“. Dazu Adresse und Mobilnummer.

      „Ich hab mir gedacht, der heißt Ludwig? Wieso jetzt Boris?“

      „Ja, weißt, das ist so eine Spinnerei von dem Wickerl.“ Die Nachbarin ist tatsächlich bestens informiert. „Schon als Bub hat er immer behauptet, dass er ein Russe wär. Wenn sie ihn sekkiert haben von wegen Banater und so. Kinder können halt bös sein, gell.“

      Du musst grad reden, denkt sich der Onkel Franz.

      „Naja, wahrscheinlich hat er gedacht, vor so einem Russen, da hätten s’ mehr Respekt. Hat man ja früher wirklich geglaubt, dass er recht wild und gefährlich ist, der Russ’ an sich. Hat sich damals sogar einen russischen Akzent angewöhnt, der Kirov Wickerl, den hat er heut noch. Bisserl seltsam. Aber mit Geldgeschäften, da kennt er sich aus. Ruf ihn doch einmal an, dass er sich eure Finanzen anschaut, das zahlt sich aus, glaub’s mir.“

      Ja, genau, soweit kommt’s noch, denkt sich der Onkel. Nach allem, was ich gesehen hab, ist der nicht so harmlos, wie du glaubst, dieser Kirov. Die Karte steckt er trotzdem ein. Da wird er schau’n, der Albert, was ich rausgefunden hab, sagt er im Stillen zu sich selbst. Und darauf laut zu seiner Gattin: „So, genug Bauernhof für heut, jetzt mag ich eine Jause und ein Weißbier. Aber ein echtes!“

       4

      „Ich hab mir gedacht, das geht uns nix an?“

      Diese Frage stellt der Albert dem Onkel Franz, während die beiden ihre Räder durch den Buchenwald schieben. Der hat ihm nämlich gerade berichtet, was er von der Nachbarin erfahren hat, und man war sich daraufhin einig, dass es nicht schaden könnte, noch einmal beim Birnbacher auf einen Most einzukehren.

      „Ja, na eh, eigentlich. Aber interessant wär’s schon, was da los ist, bei den zwei Bauern.“

      Der Onkel besteht nach wie vor darauf, nicht neugierig zu sein und – ganz im Gegenteil zum Albert – keine Lust auf irgendwelche Detektiv-Spielereien zu haben. Er will’s halt nur wissen. Zuvor, nach ihrer abendlichen Beobachtung, hatten die beiden Freunde noch darüber beratschlagt, ob man nicht den Hausleitner informieren müsste über das, was man gesehen hat. Sind aber dann zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was man zu berichten hätte, noch deutlich zu dünn wäre, um damit zur Polizei zu laufen. Ein Streit zweier Eheleute, worum es ging, keine Ahnung, und die abendliche Auseinandersetzung des Nachbarbauern mit dem Kirov, Inhalt ebenfalls unbekannt. Gut, das Messer, aber seid ihr euch da schon sicher? Könnt es nicht was anderes gewesen sein. Ich mein, auf die Entfernung? Was, mit einem Fernglas? Was macht jetzt ihr auf d’Nacht im Wald mit einem …

      Nachdem sie diese Fragen, die der Hausleitner ihnen wahrscheinlich so oder so ähnlich stellen würde, im Geist durchgespielt haben, ist klar: Zur Polizei, wenn überhaupt, dann erst, sobald es was Handfestes zu berichten gibt.

      Der Spazierweg durch den Wald führt entlang an einem kleinen Bachlauf, vorbei an zwei Fischweihern und dem sogenannten „Hexenhäusl“. Ein abbruchreifes kleines Haus mit leeren Fensterhöhlen und grob mit Brettern zugenagelten Türen. Der hintere hölzerne Anbau der Ruine hängt merkwürdig schief am Mauerwerk dran und wird wahrscheinlich nach dem nächsten Sturm ganz in sich zusammenkrachen. Vor Jahrzehnten hat hier die alte Frau Gramberger gewohnt, eine Kriegswitwe. Schon damals hat das Haus von den Kindern des Ortes seinen Spitznamen bekommen und die Frau Gramberger war die Hexe. Man muss zugeben, sie hat wirklich so ausgeschaut. Eine schwarze Katze hat sie auch gehabt, und ständig war sie mit einem