Mostkost. Klaus Ranzenberger

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Название Mostkost
Автор произведения Klaus Ranzenberger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783702580834



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wann man d’ Kinder fortschickt, da lernen s’ lauter Blödsinn!“

      Ein altes Spiel zwischen Vater und Sohn. Je mehr der eine den bodenständigen, grantelnden Innviertler gibt, umso mehr fällt der andere ins Weltmännische.

      „Aber, ich bitt dich, Vater, ein bisserl mehr Contenance vor der geschätzten Kundschaft.“

      Dabei hält er den Kopf etwas schief, aber leider auch das Tablett. Sodass sich eines der Biergläser selbstständig macht und zu Boden kracht. Worauf der junge Egger augenblicklich in seine Muttersprache zurückfällt.

      „Zefix, ein so ein Schmarrn ein blöder, Resi, geh her und nimm an Fetzen mit! Himmelherrschaftnochamal, a so a Sauerei!“

      Noch mehr als das verschüttete Bier und die Scherben ärgert ihn dabei freilich die Schadenfreude der Stammtischler. Die lachen ihn jetzt natürlich aus und geben Wortspenden ab wie „Anfängerpech“ oder „Na, das musst halt noch üben“. Und als ob das noch nicht genug wäre, kommt jetzt auch noch die zu Hilfe gerufene Resi, bewaffnet mit Kübel und Putzlappen und schimpft ihn wie einen Schulbuben.

      „Ja, sag, was hast den schon wieder ang’stellt? Und ich kann’s wieder z’ammwischen. Zwei linke Händ’, der Bub, schon als Kind!“

      Jetzt ist die Autorität als Chef und Gastgeber dahin, der junge Wirt versucht, das Thema zu wechseln.

      „Ist ja nicht so schlimm, macht ja keine Rotweinflecken, gell? Apropos Getränk. Ich hab grad gestern den heurigen Most vom Birnbacher reingekriegt. Da lad ich euch jetzt alle auf eine Kostprobe ein.“ Das wirkt. Das Missgeschick ist vergessen, es gibt etwas gratis. Kommt nämlich nicht so oft vor.

      „Nicht schlecht“, sagt der Onkel Franz nach einem Schluck vom jungen Birnenmost. Und, um den Spender doch noch ein bisserl zu ärgern, „was meinst, Albert, da müss ma gleich einmal hin die Woche. Soll auch eine sehr gute Jause dort geben, in der Mostschänke. Und gar nicht teuer.“

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      „Zwei Halbe Most und zweimal die große Jause, Karin, sei so gut.“ Der Albert hat es übernommen, die Bestellung bei der Frau Birnbacher zu machen. Er kennt sie von früher, noch aus der Schulzeit, wie er dem Onkel Franz noch auf dem Heimweg vom Egger-Wirt erzählt hat. Überhaupt führt er sich ein bisserl auf wie ein Fremdenführer. Erklärt seinem Freund Verschiedenes über die Mostschänke, deren Besitzer und über Obstanbau an sich. Der Onkel mag das eigentlich nicht, er bestellt sich seine Jause gern selbst und braucht als Einheimischer auch keine Erklärungen. Andererseits war er tatsächlich schon ewig nicht mehr hier. Der Betrieb an sich gefällt ihm zwar schon, aber dessen Lage ist es wohl, die ihn nicht so hierhergezogen hat in den letzten Jahren. Von da, wo die beiden sitzen, an der Hauswand des urigen Bauernhäusls, unter einem großen Kastanienbaum, hat man zwar einen wunderbaren Ausblick auf die Streuobstwiese vom Birnbacher, aber sobald man den Kopf dreht, bricht das Idyll. Schaut man nach rechts, sieht man hinter einem schmalen Rapsfeld die Rückwand eines riesigen Supermarktes, der von vorne schon nicht schön ist. Linkerhand, hinter einer weiteren Obstwiese und dem Grundstück vom Haslinger, erhebt sich eine mit Wellblech verkleidete Messehalle. Hier, vor den Toren der Bezirkshauptstadt am Inn, gab es noch in den Siebzigerjahren eine Vielzahl kleiner Bauern. Ausgedehnte Wiesen und Äcker erstreckten sich damals hier, heute sind der Birnbacher und der Haslinger die Letzten, die ihre Gründe noch nicht an die Immobilienentwickler der großen Handelsketten verkauft haben.

      „Zweimal Most und Jause, bitt’schön.“ Nicht gerade überfreundlich sagt die Wirtin das, als sie den beiden das Bestellte serviert. Auch ihr Gesichtsausdruck ist alles andere als fröhlich und ohne jede weitere Konversation mit ihren zurzeit noch einzigen Gästen an diesem Abend macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet wieder im Haus. „Charmant, deine Schulfreundin“, sagt der Onkel Franz darauf auch zum Albert, „gar so gut befreundet seid’s anscheinend nicht, was?“

      „Ich weiß auch nicht, was’ hat. Sonst ist sie eigentlich recht gesellig.“

      „Was ja auch nicht schad’t, wenn man ein Wirtshaus hat.“

      „Aber die Jausen schmeckt und der Most auch. Prost, Franzl.“

      Die beiden machen sich über Bauernbrot, Geselchtes, kalten Braten und Käse her. Die Brettln sind mehr als reichlich bestückt, das verlangt nach weiteren Begleitgetränken. Mittlerweile sind auch andere Gäste eingetroffen, die Wirtin hat nun alle Hände voll zu tun. Die Mostschänke ist ein Familienbetrieb und die Familie Birnbacher besteht halt nur aus zwei Personen. Während ihr Mann drinnen einschenkt und die wenigen kalten Speisen herrichtet, die angeboten werden, ist sie es, die Bestellungen an die Tische bringt, abräumt und sich dabei mit den Gästen unterhält. Normalerweise. Heute ist sie einsilbig und reserviert, und zwar zu allen gleich. Liegt’s also doch nicht am Albert.

      Der versierte Mosttrinker wird’s wissen, wenn man drei oder gar mehr so Krügerl – jedes fasst einen halben Liter – zu sich genommen hat, spürt man nicht nur die Umdrehungen, die der Landessäure innewohnen, es treibt einen auch mehr als einmal auf das stille Örtchen. Und wer jetzt glaubt, es wäre reine Frauensache, dieses gern zu zweit aufzusuchen, der irrt. Auch der männliche Innviertler neigt ab einem gewissen Grad der Gemütlichkeit zu derartigem Verhalten. So stehen sie nun also nebeneinander am blechernen Urinal, der Onkel Franz und der Albert. Und beklagen angesichts des doch sehr improvisierten Verschlags auf der Rückseite der Schänke eine gewisse Geschlechter-Ungerechtigkeit. Die Damentoilette, weiß der Albert aus zweiter Hand zu berichten, ist im Haus und weit schöner und komfortabler.

      „Aber gut durchlüftet ist es wenigstens“, merkt er an.

      Die Bretterwand, an der die Blechrinne befestigt ist, reicht nämlich nicht bis hinauf zum Wellblechdach, sondern lässt in Augenhöhe einen breiten Spalt frei, durch den die beiden bei ihrer Verrichtung freie Sicht auf den Hintereingang des Hauses haben.

      Und eben dieser öffnet sich nun gerade äußerst schwungvoll. Heraus kommt die Birnbacherin, gefolgt von ihrem Mann. Und die Szene, die nun zu beobachten ist, ist keine angenehme. Worum es genau geht, können der Onkel und der Albert nicht immer verstehen, die Stimmen der Wirtsleute kommen oft nur in Form eines Zischens bei ihren Ohren an. Es klingt paradox, aber man könnte sagen, die beiden schreien sich im Flüsterton an. Dem Onkel ist das unangenehm. Er belauscht nicht gern fremde Leute. Was geht’s mich an, denkt er sich und möchte das Klohäusl am liebsten verlassen. Doch dann würde man hineinplatzen in den Streit, das würde das Ganze noch peinlicher machen. Also bleiben sie stehen und verhalten sich leise.

      Wohl oder übel werden sie dadurch Zeugen eines Streitgespräches, welches von heftigem Gestikulieren begleitet wird. Lediglich einzelne Wörter sind daraus verständlich zu entnehmen, worum es geht, bleibt schleierhaft. Zweimal meint der Onkel Franz „verkaufen“ zu hören, von „Russen“ ist die Rede und das Wort „Supermarkt“ fällt. Einen Reim können sich die unfreiwilligen Zuhörer nicht darauf machen, klar ist einzig, dass die Wirtsleute über irgendetwas offensichtlich vehement verschiedener Meinung sind. Und worüber wohl auch keine Einigung erzielt werden kann. Denn als Sepp Birnbacher nach einer abfälligen Handbewegung wieder im Haus verschwindet und die Tür hinter sich ins Schloss krachen lässt, bleibt seine Frau zurück und bricht in Tränen aus. Nachdem sie sich wieder halbwegs gefasst hat, strafft sie sich und verlässt ebenfalls die Bühne. Zurück bleiben zwei etwas peinlich berührte Herren, die nach ein paar Minuten taktischer Wartezeit an ihren Tisch zurückkehren, um bei einer nun noch grantigeren Wirtin ihre Zeche zu begleichen.

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      Auf dem Nachhauseweg haben der Onkel Franz und der Albert noch versucht, ihre Beobachtung zu analysieren. Was aufgrund der vier Krügerl Most, die ein jeder zu sich genommen hat, nicht von scharfer Logik allein geprägt war. Aus selbigem Grund haben sie dabei ihre Räder auch geschoben auf dem schmalen Weg, der durch das kleine Waldstück führt, welches hinter der Schänke liegt. Am Hof vom Haslinger vorbei erstreckt es sich bis zum Beginn jener Ansiedlung, in der der Onkel wohnt. Dort hat er ein kleines Häuschen, das vom Albert steht ein paar Straßen weiter. Mittlerweile ist die kleine Ortschaft aufgrund