Mosers Ende. Urs W. Käser

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Название Mosers Ende
Автор произведения Urs W. Käser
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967525847



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aber gerne Linda und Elena sehen.«

      Als Peter Kehrli die Türe zu Zimmer vierunddreissig öffnete, stiess Linda einen Schrei aus.

      »Endlich, Peter, wie schön, dass du hier bist!« Sie sprang auf, umarmte ihren Neffen und wisperte: »Ist das doch furchtbar! Du weisst ja, wie Matthias und ich zueinander standen, aber trotzdem... Wer kann denn so etwas getan haben?« In diesem Moment kam Tochter Elena aus dem Bad zurück. Auch sie umarmte ihren Cousin, dem sie nicht einmal bis zu den Schultern reichte.

      »Wurde er wirklich… erstochen?«, fragte sie mit zittriger Stimme.

      »Es sieht ganz so aus«, erwiderte Peter, »aber sonst wissen wir noch gar nichts. Für mich ist es unbegreiflich, was da passiert ist. Aber bald wird die Kriminalpolizei aus Bern eintreffen und euch dann sicher auch befragen. Und Matthias werden sie zur Obduktion mitnehmen müssen, um die genaue Todesursache abzuklären.«

      »Was sollen wir denn jetzt machen, bis die hier sind?«, fragte Linda. Peter überlegte kurz.

      »Habt ihr schon gefrühstückt?« Beide Frauen schüttelten den Kopf.

      »Dann hole ich euch jetzt etwas vom Buffet. Oder möchtet ihr doch lieber mit den anderen Hotelgästen zusammen frühstücken?« Wiederum Kopfschütteln. Peter wandte sich zum Gehen, da fragte ihn Linda noch: »Sind eigentlich die übrigen Familienmitglieder schon orientiert?«

      »Oh, das weiss ich auch nicht. Ich werde Claudia fragen.«

      Als Peter gegangen war, nahm Linda ihre Tochter in die Arme. Lange standen sie so, eng umschlungen, mitten im Zimmer, und wiegten sich sanft hin und her. Schliesslich lösten sie sich voneinander, nahmen die beiden alten, runden Holzstühle und setzten sich vor die offenstehende Balkontüre. Elena hatte Tränen in den Augen.

      »Armer Papa, jetzt bist du tot, kommst nie, nie wieder. Weisst du, Mama, ich schäme mich so!«

      »Aber warum denn, mein Herz?«

      »Ich müsste doch jetzt wahnsinnig traurig sein. Den eigenen Vater zu verlieren! Aber irgendwie spüre ich nichts. Es ist einfach leer in mir. Das kann doch nicht normal sein!« Linda drückte ihrer Tochter die Hand.

      »Das kann ich gut verstehen. Bitte mache dir keine Vorwürfe, lass es einfach zu, wie es ist. Vielleicht kommt die Trauer erst viel später, vielleicht auch gar nie. Meine liebste Elena, wir brauchen uns ja nichts vorzumachen. Matthias war ein äusserst spezieller Mensch und hat sich immer mehr in eine Richtung entwickelt, die wir beide nicht verstehen konnten. Ich wünsche mir jetzt vor allem, dass wir zwei ganz fest zusammenhalten in dieser Zeit.« Elena schaute ihrer Mutter in die Augen.

      »Mama, ich habe dich so gern!« Ein Weinkrampf schüttelte Elena, sie sank auf die Knie und legte Linda ihren Kopf in den Schoss. Sie liess sich willig über die Haare streichen und beruhigte sich allmählich.

      Es klopfte, und Peter trat mit einem grossen Tablett ein. Er stellte es auf dem kleinen, runden Tisch ab und holte dann aus dem Flur noch einen dritten Stuhl für sich selbst. Er setzte sich und sagte dann: »Unterdessen hat Daniel Dietrich unsere ganze Familie, und ebenso die übrigen Gäste, über Matthias‘ Tod orientiert. Niemand darf das Hotel verlassen, bis die Kriminalpolizei mit den Untersuchungen und Befragungen fertig ist.« Die beiden Frauen nickten nur. Eine ganze Weile sassen die drei dann stumm beisammen, in ihre Gedanken versunken, nippten an ihrem Kaffee und kauten auf ihrem Brötchen herum. Schliesslich schenkte Peter Kaffee nach und schaute dann auf die Uhr.

      »Oh, schon halb zehn. Ich nehme an, die Leute aus Bern werden jeden Moment eintreffen, da gehe ich jetzt wohl besser nach unten. Bleibt doch bitte hier im Zimmer, ich komme euch dann holen.« Mit einer kurzen Umarmung verabschiedete er sich.

      Peter Kehrli traf Claudia Dietrich vor der Hotelrezeption.

      »Du, Claudia, ich nehme an, die Leute aus Bern werden bald hier sein. Hättest du uns irgendwo ein ruhiges Zimmer für die Befragungen? Und, ehm, vielleicht auch Kaffee dazu?« Claudia lächelte.

      »Natürlich, lieber Peter. Wenn du schon an einem Samstag arbeiten musst, sollst du es gemütlich haben. Hier, siehst du, unser zweites Büro könnt ihr gerne benutzen, und den Kaffee bestelle ich gleich.« Kaum war Peter in das Büro getreten, klingelte die Hausglocke, und Claudia ging nachsehen. Kurz darauf klopfte es, und im Türrahmen erschien ein mittelgrosser, leicht korpulenter Mann um die fünfzig, in Jeans und kariertem Hemd, mit nicht allzu gepflegten, graumelierten Haaren und einem Dreitagebart. Als er den Meiringer Polizisten erblickte, überzog ein breites Grinsen sein rundliches Gesicht.

      »Schau mal an, der Peter Kehrli, grüss dich! Was habt ihr denn angestellt hier oben? Es freut mich sehr, wieder mal im hintersten Oberland tätig zu werden. Auch wenn ich zugebe, es hätte mir gestern Freitag besser gepasst als jetzt am Wochenende, hahaha.« Kriminalkommissar Rolf Ramseier, immer noch im Türrahmen stehend, lachte schallend laut. Dann drehte er sich um und führte eine junge Frau herein.

      »Übrigens, das ist meine Assistentin, Anna Burger. Sie hat soeben ihre Ausbildung zur Kriminalkommissarin abgeschlossen. Anna ist ein kluges Köpfchen, und wenn ich nicht aufpasse, wird sie mir bald meine Stelle streitig machen, hahaha!«

      Peter Kehrli hatte kein Wort von dem mitbekommen, was Rolf Ramseier soeben gesagt hatte. Wie gebannt war sein Blick auf dem Gesicht der Frau vor ihm hängen geblieben. Wie wunderschöne dunkle Augen sie doch hatte, welch zartes Lächeln um die Lippen, wie schön die dunkelbraunen Haare das gleichmässige Gesicht umrahmten! Auch sie war in Zivil gekommen, trug schwarze Jeans und eine kurzärmlige pinkfarbene Bluse. Jetzt streckte sie ihm lächelnd die Hand entgegen.

      »Guten Tag, ich bin die Anna.«

      »Hm«, stotterte Peter, während ihm das Blut heiss ins Gesicht schoss, »freut mich, Sie, hm, pardon, dich, kennenzulernen. Hm, ja, Peter heisse ich.« Was ist denn nur los mit mir, fragte sich Peter entsetzt, so ein furchtbar peinlicher Anfang ist mir noch gar nie passiert, sonst bin ich doch nicht dermassen leicht aus der Ruhe zu bringen… Wenn ich mich doch nur ins nächste Mauseloch verkriechen könnte... Aber nein, jetzt muss ich erst recht durchhalten!

      »Können wir jetzt zum Tatort gehen?«, fragte Rolf Ramseier, schon leicht ungeduldig.

      »Natürlich, sofort«, erwiderte Peter, führte die beiden zum Zimmer siebzehn und entfernte das Siegel an der Türe. Der tote Mann lag noch genauso da wie vorher.

      »Hier ist das Opfer«, sagte Peter, »aber vom Tötungswerkzeug, wir vermuten einem Messer, fehlt bis jetzt jede Spur.«

      »Wir suchen natürlich überall nach Spuren«, erwiderte Rolf.

      »Und, sag mal, wurde eigentlich etwas gestohlen?« Peter bekam erneut einen heissen Kopf.

      »Hm, das wissen wir noch gar nicht. Die Frau des Verstorbenen, die den Toten gefunden hat, ging danach ins Zimmer ihrer Tochter zum Schlafen, und ich habe sie noch nicht befragen können. Und übrigens wäre das sowieso etwas heikel für mich, sie ist nämlich meine Tante.«

      »So etwas war ja zu erwarten«, frotzelte Rolf grinsend, »im Oberland sind doch alle irgendwie miteinander verwandt. Dann machen wir es doch so: Zuerst nehmen wir hier die Spuren auf und packen den Toten ein, und dann holst du, Peter, die Frau, und Anna befragt sie.« Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete Rolf den grossen Koffer, den sie mitgebracht hatten, und packte das für die Spurensicherung benötigte Material aus. Während Anna das Zimmer nach Spuren absuchte, machte Rolf unzählige Fotos vom Tatort. Erst am Schluss untersuchten beide vorsichtig den toten Mann und wickelten ihn danach in ein grosses weisses Tuch ein.

      »Wie wollt ihr eigentlich vorgehen«, fragte Rolf, »um die Tatwaffe zu finden?« Anna überlegte einen Moment.

      »Was könnte der Täter damit gemacht haben? Gereinigt und bei sich behalten? Dann könnten wir wahrscheinlich immer noch Reste von Blut nachweisen. Aber wir müssten vielleicht sämtliche Räume durchsuchen, um das Ding zu finden, eine Heidenarbeit. Oder hat er das Messer irgendwo entsorgt? Mitten in der Nacht keine einfache Aufgabe, wenn man kein Risiko eingehen will, entdeckt zu werden. Vermutlich wird es dann nicht allzu weit weg sein, aber in dieser unübersichtlichen Landschaft trotzdem