Mosers Ende. Urs W. Käser

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Название Mosers Ende
Автор произведения Urs W. Käser
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967525847



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Energisch drückte sie die Türklinke nach unten.

      Aber das Zimmer war leer. Ihr Mann würde wohl irgendwo im Garten sitzen. Linda stellte sich vor den Wandspiegel, liess den Morgenmantel zu Boden gleiten und drehte sich langsam zweimal um ihre Achse. Ja, sagte sie sich, für meine siebenundvierzig mache ich doch eine durchaus gute Figur. Sie trat näher zum Spiegel. Und auch mein Gesicht ist noch passabel, wenn auch jetzt, ohne Schminke, etwas langweilig, beinahe allzu gleichmässig. Meine straffe, sonnengebräunte Haut, meine symmetrischen, dunklen Augen, meine schön gerade Nase, meine vollen Lippen, mein gut abgerundetes Kinn, mein schlanker Hals. Doch, ich gefalle mir! Linda legte sich, wieder im Morgenmantel, auf das Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

      Matthias ging ihr nicht aus dem Sinn. Wir sind ja doch immerhin fast zwanzig Jahre zusammengeblieben, da muss doch mal mehr gewesen sein? Habe ich ihn mal richtig geliebt? Ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Jedenfalls hat er mir damals mächtig imponiert. Ein durchaus gutaussehender Mann, studierter Rechtsanwalt, mit Aussicht auf eine eigene Kanzlei, redegewandt, ohne auf Angeber zu machen, zwar ohne viel Humor, aber doch mit einem gewissen spröden Charme. Und ich? Fünfundzwanzigjährige Apothekenhelferin, wohl allzu hübsch und zu sexy, um die seriösen Männer anzuziehen, war ich schon mehrmals an den Falschen geraten.

      Und dann kommt so ein Studierter und wirbt um mich. Ja, das war es, eine Werbung, ganz klassisch, mit rosaroten Nelken und dunkelroten Rosen, exquisiten Pralinen, Einladungen zum Essen, Ausfahrten im Cabriolet. Richtig verliebt war ich wohl nicht, aber geschmeichelt in allen Farben und Tönen. Die ersten Monate unserer Freundschaft waren wirklich schön. Matthias war ja ziemlich zurückhaltend, ich hätte mir ein wenig mehr den stürmischen Liebhaber gewünscht. Ich glaube nicht, dass ich damals eine allzu grosse rosarote Brille trug, aber, wie es eben ist, man lernt die schwierigeren Eigenheiten eines Menschen erst so nach und nach kennen.

      Was man am Anfang noch als zuvorkommend, korrekt, tugendhaft, gerecht und sauber tituliert, empfindet man drei Jahre später als kontrollierend, penibel, selbstgerecht und pingelig. Natürlich ging es uns materiell ganz prächtig, aber emotional hat sich immer mehr die Wüste ausgebreitet…

      Und das war beileibe nicht nur meine eigene Empfindung! Matthias hat sich wirklich extrem stark verändert, wie mir auch andere bestätigen. Wie konnte das geschehen? Ich kann es mir nicht genau erklären. Eine gewisse Überheblichkeit hatte er immer schon an sich. Als Lieblingskind seiner Eltern kommt man eben schnell zur Einsicht, man sei etwas Besseres. Aber es war wohl auch die Arbeit mit seinen Klienten, mit den Gesetzes-Paragraphen, der stete Kampf gegen den politischen Filz im Dorf, der alle Probleme unter dem Deckel hielt… Wahrscheinlich hat ihn das fertig gemacht, hat ihn so extrem intolerant werden lassen. Eigentlich hätte ich Mitleid mit ihm haben müssen. Aber er war unterdessen so unnahbar geworden, so abweisend, dass ich mich Michaels Annäherungsversuchen noch so gerne überliess… Würde es mir mit Michael genauso gehen? Ich kann es mir nicht vorstellen, er ist so vollkommen anders… Linda war eingeschlafen.

      Kurz vor acht Uhr abends fuhr ein dunkelblauer Mercedes auf den Parkplatz des Hotels Rosenlaui. Ein Mann stieg aus und ging, in der Rechten eine Aktentasche, in der Linken eine kleine Reisetasche, auf den Hoteleingang zu. Dieses lästige Familientreffen, seufzte er vor sich hin, hat mir gerade noch gefehlt. Dabei hätte ich im Amt mehr als genug zu tun. Die Baugesuche häufen sich, ebenso die Einsprachen, und überall wird meine Stellungnahme gefordert. Ich wollte ja unbedingt in den Gemeinderat gewählt werden, aber unterdessen muss ich sagen, es bedeutet mehr Bürde als Würde. Und die Bezahlung ist auch an der untersten Grenze. Und als hätte ich nicht schon genug Ärger, funkt mir jetzt noch dieser verfluchte Matthias dazwischen, mit seinem unseligen Brief… Der Mann liess sich an der Rezeption seinen Zimmerschlüssel geben, stellte aber sein Gepäck in der Bibliothek ab und ging direkt in den Speisesaal, wo die meisten Hotelgäste gerade beim Hauptgang sassen. Er steuerte auf den grossen Tisch in der Saalmitte zu, begrüsste seine Tischgenossen nur mit einem angedeuteten Winken und setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl.

      »Endlich«, rief ihm Linda Moser zu, »warum kommst du denn so spät, Samuel?« Samuel Moser, der ältere Bruder von Lindas Mann Matthias, brummte vor sich hin.

      »Ach, wie mich das ärgert, immer diese sinnlos langen Sitzungen im Gemeinderat, das ist doch eine reine Zeitverschwendung.«

      »Das kann ich verstehen«, pflichtete ihm seine Schwester Barbara bei, »und die Sitzungshonorare sind eine reine Verschleuderung von Steuergeldern.« Samuel lächelte säuerlich. Er war nicht gerade das, was man gemeinhin einen schönen Mann nennt. Etwas korpulent, mit dickem Hals und einem Ansatz von Doppelkinn, einem breiten Gesicht mit unregelmässiger Haut, flachem Schädel mit nur noch wenigen, langen, rötlichen Haaren. Er wirkte viel älter als der nur um zwei Jahre jüngere Matthias.

      Da trat Maria Manzoni an den Tisch.

      »Guten Abend und willkommen, Herr Moser. Möchten Sie noch gerne das komplette Abendmenu essen?« Samuel winkte ab.

      »Nein, nein, ich beginne mit dem Hauptgang. Und bringen Sie mir einen Dreier Merlot.« Samuel hatte plötzlich realisiert, wie hungrig er nach der langen Sitzung geworden war, und ass seinen Teller viel zu hastig leer. Gleich darauf erschien Maria schon mit dem Nachtisch. Die anderen hatten ihr Dessert schon beendet und diskutierten in Zweier- oder Dreiergrüppchen miteinander. Samuel wartete ab, bis die Gespräche am Tisch für einen Moment erloschen waren, und warf dann trocken in die Runde: »Und, habe ich recht, wenn ich ahne, dass in der Familie noch kein Verhandlungsergebnis erzielt wurde?«

      Eine bedrückende Stille entstand am Tisch. Samuels Schwestern, Susanna und Barbara, hielten sich eine Hand vor den Mund und warfen sich ängstliche Blicke zu, während Bruder Matthias nur finster vor sich hin starrte. Auch die Eingeheirateten der Familie, Michael, Linda und Bruno, wagten nichts zu sagen. Samuel blickte der Reihe nach alle in der Runde an.

      »Na, wohl alle aufs Maul gefallen, ihr Feiglinge?« Weitere Sekunden verstrichen. Plötzlich stiess die sechzehnjährige Elena Moser einen Schrei aus, erhob sich so ruckartig, dass ihr Stuhl nach hinten umkippte, und rannte schluchzend aus dem Saal hinaus. Vetter Luca und Mutter Linda eilten ihr sofort nach. Das war nun das erlösende Zeichen zum Aufbruch. Es dauerte keine Minute, und Samuel Moser war allein am Tisch zurückgeblieben. Er machte sich nicht daraus, bestellte sich einen Cognac und trank ihn in aller Ruhe genüsslich aus. Eine tolle Familie haben wir da, überlegte er grimmig vor sich hin, ein richtig explosives Gemisch! Zum Glück müssen das unsere Eltern nicht mehr erleben!

      

       Samstag, 21. Juli 2012

      Punkt acht Uhr morgens stoppte der Polizeiwagen vor dem Hotel Rosenlaui, ein junger Polizist in Uniform stieg aus und eilte zur Rezeption.

      »Ach, wie bin ich froh, dass du da bist!«, rief ihm Hotelchefin Claudia Dietrich schon von weitem entgegen.

      »Bei uns ist ja der Teufel los. Guten Morgen, Peter!« Sie schüttelte Peter Kehrli die Hand. Obwohl Claudia ziemlich gross war, wurde sie von Kehrli um einen ganzen Kopf überragt. Er mass exakt einen Meter siebenundneunzig und wirkte mit seinem dünnen Körper eher wie ein schlaksiger Jüngling als wie ein gestandener Polizist. Immerhin gaben ihm seine runde Brille und sein kurz geschnittener, dunkler Bart ein etwas männlicheres Aussehen.

      »Ich begreife das überhaupt nicht«, sagte Peter, »Onkel Matthias soll erstochen worden sein?«

      »Ja, auch wir stehen vor einem Rätsel«, erwiderte Claudia.

      »Möchtest du zuerst zu Tante Linda oder vorher den Toten sehen?«

      »Gehen wir zunächst zum Tatort«, sagte Peter, und sie stiegen gemeinsam zum Zimmer siebzehn hoch. Claudia schloss mit dem Schlüssel auf und begab sich dann wieder zur Rezeption, während Peter begann, den Toten und das Zimmer zu inspizieren. Zehn Minuten später war er schon wieder unten bei Claudia.

      »Also, liebe Claudia, wie ich schon vermutet hatte, ist dieser Fall eine Schuhnummer zu gross für unseren kleinen Meiringer Polizeiposten. Deshalb habe ich bereits telefonisch die Kriminalpolizei in Bern aufgeboten. Sie werden im Laufe des Vormittags eintreffen,