Название | Die Reisen des jungen Mr Happy |
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Автор произведения | Marco Höne |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843806848 |
Desto mehr Scheiße ich sah, desto ausufernder wurden meine abendlichen Trinkgelage. Ich scherte mich nicht um Wochentage. Ich soff mich allabendlich durch die Straßen von Jerusalem.
Auch dort nur die dunklen Widersprüche. Einmal wurde mir am Tresen damit gedroht, erschossen zu werden, da ich behauptet hatte, Menschenrechte müssten auch für Palästinenser gelten: »Arabs have no human rights!« Direkt in der Nähe der Kneipe war vor zwei Jahren ein Bus »geplatzt«.
In einer anderen Kneipe erklärte mir eine aus England emigrierte Jüdin wiederum, dass die Deutschen aufhören müssten, sich wegen des Holocausts schuldig zu fühlen, um endlich Kritik an Israel zu üben. Israel bräuchte Kritik. Sie plädierte für einen demokratischen, multiethnischen Gesamtstaat. Ich erinnerte mich an die Überlebende aus Theresienstadt, die ich auf einer Klassenfahrt in Tschechien treffen durfte. Auch 60 Jahre nach den furchtbaren Ereignissen hatte sie angefangen zu weinen, als sie erzählte, wie die SS ihre Eltern erschossen hatte. Auch Yad Vashem habe ich besucht und mich gefragt, ob jemals in spontaner Raserei deutsche Besucher an diesem Ort totgeprügelt wurden und wenn nein, warum eigentlich nicht? Ich kenne mein Familienalbum. Mein Urgroßvater posierte stolz in Naziuniform. Er trug diese Uniform, weil er Karriere machen wollte. Drei Generationen später erschien es mir zunehmend falsch, mir überhaupt eine Meinung zu erlauben. Eine eigene Meinung hatten die Deutschen gar nicht verdient. Verdient hätten wir es, bis heute überall auf der Welt angespuckt zu werden.
Es gab in Jerusalem zwar keine Schwulenbar, aber in einer dunklen Nebensraße gab es eine Kneipe (»הפינה« = die Ecke), die jeden Montag eine Transvesie-Show veransaltete. Ein Funke in der erdrückend-religiösen Heteroherrschaft. Der Abend dort endete, indem ich angegriffen wurde, als ich vor die Tür trat. Fanatiker hatten im Schatten einer Mülltonne auf ein einsames Opfer gewartet. Ich konnte mich soweit wehren, dass es glimpflich ausging und ich kurz später in einer russischen Kneipe saß, die komplett mit Putinbildern ausgeschmückt war. Ich überredete den Barkeeper, dessen Arme von Narben überzogen waren, Black Metal zu spielen. So saß ich, nachdem ich für meine Homosexualität angegriffen worden war, unweit des Todesortes von Jesus und hörte satanische Musik, während alle um mich herum damit beschäftigt waren, sich das Leben zur Hölle zu machen. Das war die Spiritualität des Saufens: Ein Schrei zum Himmel und ein Absurz ins Fegefeuer. Ich meinte, den Hass spüren zu können, wie er in dicken Adern durch die Straßen pulsierte. Wie Vampire saugten die Menschen davon.
Ein paar Mal war ich mit dem Zug für Tagesausflüge in andere Städte gefahren. Und jedes Mal war der Zug fast leer gewesen, als er ab- oder einfuhr. Die Stadt scheint für die Hardcore-Extremisten zu sein und die wollen auch nicht mehr raus aus ihrer Zelle.
Meine Pro-Palästina-Haltung war auf ihrem Höhepunkt. Insbesondere nervte mich die ständige Angst. Viele Israelis waren nie in den besetzten Gebieten gewesen und wenn, dann nur als Soldaten. Sie wussten nichts über die Zustände dort. Jeff Halper hatte mir den Eindruck vermittelt, dass man einfach nur die Hand ausstrecken müsse und dann würde sie ergriffen. Also fuhr ich nach Ramallah. Die Kapitale dieser bärtigen Steinzeitmenschen, die angeblich nichts anderes im Sinn hätten, als einen zweiten Holocaust anzuzetteln.
Der erste Eindruck, den man auf der Fahrt dorthin bekommt, wird durch die Mauer vermittelt. Die Mauer war einfach nur Gewalt. Sie zerriss das Land. An ihr strandeten die Schicksale wie Plastikmüll am Strand. Der Checkpoint wirkte wie ein notdürftig mit Stacheldraht verhangenes Loch. Ich saß in einem arabischen Bus. Der einzige Weiße weit und breit.
Ramallah wirkte auf den ersten Blick wie Jerusalem. Die gleiche Bauweise, das gleiche Katzenproblem. Alles schrie, stank, wuselte kreuz und quer. Etwas überfordert ging ich in ein Lebensmittelgeschäft und bemerkte zerknirscht, dass es kein Bier zu kaufen gab. Als ich dann aber den Besitzer fragte, wie ich zu Arafats Grab käme, wurde mir wieder eine überschwängliche Gastfreundschaft zuteil. In der Folge kümmerten er, ein Taxifahrer sowie ein paar Soldaten sich mit wahnsinniger Freude darum, dass ich mein Ziel fand. Niemand versuchte mich zu betrügen oder war misstrauisch. Die Ehrengardisten am Grab waren dankbar, dass ich ein Foto von ihnen schießen wollte. Ich ging händeschüttelnd durch die Straßen. Überall grüßten mich die Leute und feierten meine Anwesenheit. Die wilde Stimmung voller Herzlichkeit riss mich mit. Obwohl Ramadan war, konnte ich problemlos ein paar Falafel bekommen und bestellte zwei Portionen, weil ich den Verkäufer sexy fand. Am Shabbat in Jerusalem wäre ich dafür geköpft worden. Auf der Straße sah man vollverschleierte Frauen und metrosexuelle Männer sowie alle Facetten dazwischen. Zwar wird es dort in den nächsten zehn Jahren keinen Gay-Pride geben, dennoch war der direkte Vergleich mit Jerusalem beschämend. Ramallah schien bunter und herzlicher als der Moloch am Ölberg.
Der Rückweg zog mich wieder runter. Erst lebensfrohe Straßen, dann die volle Härte aus Beton, Stahl und Stacheldraht am Checkpoint. Man wartete in einem kameraüberwachten Stahlkäfig, bevor man bei Israelis hinter Panzerglas vorstellig werden durfte.
Am Abend fragte ich Elias, ob er nicht wütend sei.
»Du bist hier geboren, aber ein Mensch zweiter Klasse.«
Elias kassierte einen Kunden ab, ich öffnete mein Bier und setzte mich wie gewohnt in eine Ecke des Ladens.
»Du verstehst nicht, was es heißt, hier geboren zu sein. Ich bin im Flüchtlingslager Schufat aufgewachsen. Ich wohne da noch immer, habe aber einen blauen Schein zum Passieren.«
Er wedelte mit einem blauen Papier in der Luft.
»Ich kann meine Familie versorgen. Ansonsten ist alles immer dasselbe. Stiefel, die dich treten, Zäune, durch die du seit deiner Geburt blickst.«
Ich sah mich bestätigt: »Genau, wie schaffst du es, hier einfach alle zu bedienen, als würde dir kein Leid angetan?«
»Es ist dir egal, wenn du hier lebst. Du bist wie eine Kakerlake, die sich ihren Weg sucht und – Inshallah – einen Weg findet, zu überleben.«
Nachdenklich und angetrunken ging ich später an der Grabeskirche vorbei, in der die Christen wie zugedröhnte Fixer herumsaßen. Auch sie konzentrierten sich nur auf sich und darauf, wie sie die nächste Dosis Gott bekommen konnten.
Ich wurde besessen davon, die angeblich gefährlichen Gebiete zu besuchen und beschloss, ins Flüchtlingslager Schufat zu fahren. Dass sogar die arabischen Busfahrer mich anguckten, als sei ich lebensmüde, ignorierte ich. Als ich dann kurz nach dem Checkpoint ausstieg, bereit, einmal mehr von der Wahrheit zu kosten, empfing mich allerdings eine ganz andere Stimmung. Keine Lebensfreude, sondern grimmige Wut. Hier spürte man jahrzehntelange Hoffnungslosigkeit und Erniedrigung. Die Kinder grüßten mich mit »Shalom« und ich hatte den Instinkt, so zu tun, als würde ich nicht verstehen. Ich fürchtete, sie wollten mich als Juden enttarnen, um mich dann zu massakrieren.
Ihr zweitliebstes Hobby war, gegen alle Autos auf dem Weg aus dem Flüchtlingslager zu treten. Ein müder Frust. Das Leben ist ein Glücksspiel und die meisten werden schon bei der Geburt betrogen. Die Kinder hier hatten das früh verstanden.
An die Wände waren Totenköpfe gesprüht und ich befürchtete, sie waren eine Warnung. Auch die grünen Fahnen der Islamisten waren zu sehen. Ich war froh, mich nie außerhalb des Sichtbereiches des israelischen Wachturms begeben zu haben und ging schnell dorthin zurück. Schlüpfte mit meinem deutschen Pass schnell durch die Kontrollen, während Araber in Käfigen saßen, und atmete erleichtert durch. Ich genoss das Gefühl von Sicherheit wie ein Glas Wasser in der Wüste.
Es kam der letzte Tag meines Praktikums. Jeff und die meisten anderen waren irgendwo im Wüstenstaub und taten, was sie für richtig hielten. Nur Meir war im Büro. Er saß als Ratsherr im Jerusalemer