Die Reisen des jungen Mr Happy. Marco Höne

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Название Die Reisen des jungen Mr Happy
Автор произведения Marco Höne
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783843806848



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rauchte, schniefte und dann gab es irgendwann einen kurzen Moment der Glückseligkeit, bevor der Rausch wieder alles zum Einsturz brachte. Und zwar dann, wenn man so taub wurde, dass man nur noch ein Promillezombie war. Die Existenz, insbesondere die pure, blieb geschmacklos.

      Auch mein Studium wurde keine Dauer-Party. Ich glitt in Sinnkrisen. War einem in der Schule noch in Aussicht gestellt worden, einmal etwas zu werden, begriff man während des Studiums, dass man nichts wird. Ich machte keine Auslandssemester oder Praktika, sondern Nachtschichten an der Tanke und begrüßte dort immer gegen etwa drei Uhr morgens den ganzen Abschaum der Gesellschaft. Immer dieselben Gesichter aus der Großraumdisco auf der Suche nach Zigarettenblättchen und Bier.

      Ein- bis zweimal die Woche schlürfte ich alleine in meiner Wohnung Tetrapack-Wein, bis ich volltrunken war. Nach Mitternacht wankte ich dann in eine Schwulenbar. Bevor ich eintrat, vergewisserte ich mich, dass mich niemand sah. Innen traf ich nur alte und kaputte Menschen. Die jungen und hübschen waren längst am Bumsen.

      Meinen ersten richtigen Job hatte ich im Bereich Public Relations. Weil da jeder Affe mit ein paar kreativen Ideen und Durchsetzungswillen akzeptiert wird, wurde mir auch das bald langweilig. Ständig dieselben Journalisten. Geschichten immer nur nach Schema F. Nach Events versackten alle an der Bar und schrien auf der Straße ihren Größenwahnsinn in den Sonnenaufgang. Das war kurz lustig, aber ich machte eine Fortbildung zum Projektmanager. Meine Hoffnung war, dass ich ständig neuen Herausforderungen begegnen würde. Keine Chance für die Langeweile.

      Doch ihr ahnt es: Enttäuschung. Letztlich ist es egal, ob du in Saudi-Arabien einen Brunnen bohrst oder für einen Bürgermeister eine Social-Media-Präsenz aufbaust. Als Projektmanager kannst du alles und nichts. Es geht immer nur um eins: Das sofort Wichtige vor dem demnächst Wichtigen zu tun. Unwichtiges gleich sein lassen. Am Ende erklärt man einen Haufen Reaktionen zu einem Masterplan. Wenn man von etwas keine Ahnung hat, schreibt man in den Projektplan entsprechenden Projektschritt und kauft jemanden mit Fachwissen ein. Ich war unnütz und überbezahlt zugleich. Merkte aber keiner, weil sich die Menschen nach Führung sehnten.

      Routinen häuften sich an, wie alte Zeitungen. Ich konnte nie ruhig sitzen. Alles war langweilig. Wenn ich einen Film sah, machte ich nebenher Sit-ups und las auf dem Handy Nachrichten. Dann war ich kurz davon abgelenkt, dass ich in meiner kleinen Box einen unnützen Tag gealtert war.

      Nun will ich es nicht zu lang halten mit den einleitenden Worten. Ich denke, ihr habt es verstanden: Das Leben war mir bereits im ersten Viertel meines Daseins öde. Die Existenz nur in ihrer Verdrängung amüsant. Was konnte mir helfen, dem Leben Interesse entgegenzubringen? Was führte dazu, dass man sich freute, morgens aufzuwachen? Antwortversuche füllen Kilometer von Bücherregalen.

      Religiöse fand ich pfiffig, weil sie den Sinn in diesem Unsinn im Jenseits verorteten. Damit nahmen sie sich den Druck, im grauen Alltag Farbe finden zu müssen. Leiden war ok, damit konnte man Credits für die Chill-Out-Lounge im Himmel sammeln. Es gelang mir trotzdem nicht, davon etwas anzunehmen. Christus, Mohammed, Buddha oder auch der Beelzebub – keiner davon fand Einlass in mein Herz.

      Viele Freunde suchten ihr Heil in Kindern oder Katzen. Kinder waren für mich aufgrund meiner (auch noch ungeouteten!) Homosexualität nicht so einfach. Haustiere hatte ich schon genügend beerdigt (drei Meerschweine und einen Hund).

      Begabte Menschen widmeten ihr Leben einem Talent. Sie rannten, sie malten, sie sangen oder traten gegen einen Ball und lebten vom Applaus. Taten ständig nur die eine Sache, auf der Jagd nach Perfektion. Das schien mir attraktiv. Meine Marktanalyse ergab leider, dass ich selbst beim Saufen noch Mittelmaß war.

      Was also sollte ich in dieser Welt mit mir anfangen? Selbstmord war mir völlig fremd. Es war ja nicht so, als hätte ich nicht noch eine Erwartung. Der Tod ist schon gewiss. Um seinen Abgang muss sich keiner Sorgen machen. Warum vorausgreifen?

      Wann immer ich meine Mutter besuchte, hielt sie mir, wohl ähnlich vom Dasein verwirrt, einen neuen Lebensratgeber unter die Nase. Absolut deprimierende Machwerke, die die Kindheitsenttäuschung für Erwachsene reproduzierten.

      Alle Bücher verkündeten, dass man alles tun und schaffen könnte, was immer man wollte: Im niedrigschwelligen Bereich mit guter Ernährung und Darmspülung; im ambitionierten Bereich mit jahrelanger, stummer Meditation im Kloster. Das Amüsante ist, dass Millionen diese Bücher lesen und davon träumen ihren Job hinzuschmeißen, während sie ins Büro fahren.

      Aber etwas verfing bei mir: Die Annahme, man könnte mehr über die Freude am Leben lernen, indem man auf Reisen ging. Reisebücher werden von Leuten auf dem Balkon mindestens so gerne gelesen wie Lebensratgeber auf dem Weg ins Büro. Viele sind auch eine Mischung. Weil man im Amazonasdschungel Schlangen gegessen hat, wisse man nun den Bäcker um die Ecke richtig zu schätzen. Als man in Afrika mit den Einheimischen getanzt habe, habe man deren Lebensmut aufgesogen (»Die sind zwar arm, aber sooo freundlich!«).

      Der deutsche Punkrocksänger Farin Urlaub beschreibt in einem Interview, wie er mittlerweile ganz entspannt bleibe, wenn er mit einer Pistole bedroht wird. Das sei schon sehr oft (»sehr sehr oft«) passiert und gehöre in Afrika zum guten Ton. Hatte er die Verunsicherung, die der unausweichliche Tod verbreitet, durch seine Abenteuer überwunden?

      Mir selbst war Urlaub bis dahin an der Nordseeküste vergönnt gewesen. Leider kann ich nicht behaupten, dass Pellworm meine Ansichten zum Leben geändert hätte. Im Gegenteil: Der örtliche Tierarzt, der im Nebenerwerb Ferienwohnungen vermietete, war nach der Besamung von Dutzenden Kühen erst (und nur kurz) glücklich, wenn er abends den Ouzo auf den Tisch stellte.

      Aber es ging bei der Idee mit dem Reisen auch nicht um eine Radtour durch die Uckermark, sondern darum, seinen Kontext radikal auf den Kopf zu stellen. Es ging um einen Kulturschock, darum, sich neu zurechtfinden zu müssen und um fehlende Frames. Es ging um die Hoffnung: Freiheit, Liebe, Abenteuer am Ende des Regenbogens!

      Ich beschloss, mein unerhörtes Privileg (Deutscher Pass, dickes Bankkonto) wahrzunehmen und ein Reisender zu werden. Ich musste mal aus meiner Box springen. Farin Urlaub wirkte immer sehr glücklich. Vielleicht weil er sehr viele Zähne hatte, aber vielleicht auch wegen der vielen Stempel in seinem Pass. Es konnte doch sein, dass mir der Horizont fehlte, um die Ordnung zu begreifen, in die ich mich nicht fügen konnte? Dann würde ich entspannt auf den Tod warten können, ohne diese Unruhe, betrogen worden zu sein.

      Ich will es vorwegnehmen. Es hat funktioniert. Ich bin jetzt wirklich Mr Happy. Gerne will ich mein Geheimnis teilen, euch mitnehmen auf die Reisen des jungen Mr Happy.

      Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.

      REISE 1:

      GUNS AND MOSES IN ISRAEL

      Idealistische Menschen wirken unangreifbar, als trügen sie eine Wahrheit in sich, die nichts erschüttern kann. Meine erste Station sollte daher eine politische sein. Ich wollte etwas haben, das meine innere Kompassnadel streng ausrichtete, und von Ideen beseelt werden, die über mein Leben hinausweisen konnten. Es musste um Fragen von Krieg und Frieden, Menschenrechten und Gerechtigkeit gehen.

      Nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt, im Einzugsbereich des Eurovision Songcontest, liegt Israel. Jenes Gebilde, das unter dem Eindruck des Holocaust den Juden als Heimstätte (wieder-)gegeben wurde. Im idealistischen Raum scheinen zwei Sichtweisen auf Israel vorzuherrschen: Die einen sehen dieses kleine Fleckchen Land als wichtige Schutzstätte der Juden. Ein Ort, an dem sie nicht Gefahr laufen, erneut Opfer eines Völkermordes zu werden. An dem sie sich selbst verteidigen können.

      Die andere Sichtweise versteht Israel als ein imperiales Projekt. Im Westen am grünen Tisch ersonnen, den arabischen Völkern aufgezwungen und durch Vertreibung der Palästinenser errichtet.

      Ein Reisetrend ist es, seinen Aufenthalt mit einem Ehrenamt zu verbinden. Ich nahm Kontakt zum Israel Comitee against House Demolitions (ICAHD) auf. Eine israelische Organisation, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt. Die perfekte Dialektik. Sie fordern eine Zweistaatenlösung und bieten Widerstand gegen die israelische Praxis, palästinensische Häuser in den besetzten Gebieten abzureißen. Angeführt wird diese Nicht-Regierungs-Organisation