Die Reisen des jungen Mr Happy. Marco Höne

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Название Die Reisen des jungen Mr Happy
Автор произведения Marco Höne
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783843806848



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auch meine Bankkarte und kopierte sie. Dann führte er mich nach draußen auf die Straße. Den Pass nahm er dabei mit, alles andere blieb im Raum. Er gestattete mir, eine Zigarette zu rauchen. Die perfekte Gelegenheit, um wegzurennen. Ob sie das wollten? Es wäre ein starkes Indiz für meine ansonsten noch nebulöse Schuld.

      »Du hast gesagt, du kennst ICHAD. Dann sagst du, du triffst niemanden. Das ist Bullshit!«

      Ein paar Tränen meldeten sich in meinen Augen. Es war so absurd.

      »Nicht ›kennen‹, kennen. Nicht persönlich kennen. Ich habe im Internet darüber gelesen und fand es interessant.«

      »Du hast dir ihre Adresse notiert. Willst du ihnen Geld bringen?«

      »Nein, ich bin nur Tourist.«

      »Bullshit!«, sagte er langsam.

      Dadurch wirkten seine Worte umso grausamer. Sie hatten mich bei den Eiern. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mir daraus einen Strick drehen würden.

      Ich wurde wieder zurückgebracht. Man gab mir ein Glas Wasser, das komisch schmeckte. Drogen?, war ein spontaner Gedanke.

      Dann betrat ein Mann den Raum, der aussah wie eine Mischung aus Mensch und Stier. Jemand, der mit einem Messer zwischen den Zähnen und einer Kalaschnikow dreißig Terroristen platt machen konnte. Auch er ließ sich erst instruieren, betrachtete alle meine Sachen, würdigte mich keines Blickes. Schließlich beugte er sich zu mir runter.

      »Es ist deine letzte Chance.«

      Ich schluckte unwillkürlich.

      »Du musst jetzt die Wahrheit sagen.«

      »Ich habe die …«

      »Nein, du hast uns Scheiße erzählt und wir wissen das.«, sagte er bestimmt.

      Ich senkte den Blick. Wieder aufsteigende Tränen. Ich drängte sie zurück. Hier entschied sich alles. Weinen bedeutete Schuld. Ich sah, wie eine Zigarette aus seiner Brusttasche zu Boden fiel.

      »Das Gesetz gibt mir das Recht, dich 48 Stunden festzuhalten, bevor du einen Richter siehst. Diese 48 Stunden verbringen wir zwei in einem kleinen Raum. Nur wir zwei, ganz alleine. Würde dir das gefallen?«

      Ich sagte nichts.

      »Ich weiß, was du bist. Du bist ein Anarchist, der den Palästinensern Geld bringen will und diese 48 Stunden werden ein großes Vergnügen für mich sein. Du wirst niemanden anrufen. Niemand sonst wird dich sehen. Nur wir zwei. Alles klar?«

      In meinem Kopf startete der Film, den er mir zeigen wollte. Ich sah mich auf einem Stuhl, eine Lampe blendete mich. Er würde über mir stehen und mir Ohrfeigen geben oder andere Schläge. Hauptsache man konnte später keine Spuren finden. Er würde mich wie ein nasses Handtuch auswringen. Mit dieser Gewissheit sagte ich:

      »Ihre Zigarette ist runtergefallen.«

      Er sah auf den Boden und hob sie auf. Dann sah er mich an und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

      Es verging noch eine Stunde. Ich wartete darauf, zu meiner Folter aufgerufen zu werden. Die Soldaten boten mir Wasser an und sagten, dass ich rauchen dürfte, aber ich lehnte alles ab. Ich hatte beschlossen, mich in mir zu vergraben und die Außenwelt abzublocken. Meine Mutter würde die deutsche Botschaft anrufen. Sie würden mich schon nicht umbringen. Ich würde ausgewiesen werden und das Abenteuer wäre beendet. Scheiß drauf.

      Wieder kam der behaarte Mann mit meinem Pass. Er führte mich nach draußen. Ein anderer Soldat folgte uns mit meinem Koffer.

      Jetzt geht es los. Jetzt komme ich in die Folterzelle.

      Zum ersten Mal erlaubte ich mir, den ganzen Gebäudekomplex zu betrachten. Überall waren Kameras und Stacheldraht. Es sah wirklich aus wie ein Gefängnis.

      »Es tut mir leid, es ist wegen der Situation.«, sagte der Mann und gab mir meinen Pass.

      Der Soldat stellte den Koffer neben mich. Dann gingen beide wieder hinein. Ich war frei. Benommen und entwürdigt stolperte ich zum Bahnhof und ahnte nicht, dass dies der erste Probierhappen von dem war, was mich in Jerusalem an Paranoia erwartete.

      Tel Aviv wirkte europäisch und zukunftsorientiert. Jerusalem hingegen dünstete nach Nahem Osten und schwerer Vergangenheit, die das Land bremst, aber an der zugleich sein Herz hängt. Insbesondere die Altstadt von Jerusalem ist Wahnsinn in kompakter Form. Armenisches Viertel, jüdisches Viertel, christliches Viertel, muslimisches Viertel – auf engstem Raum reiben sich die Weltreligionen aneinander. Händler feilschten, als ginge es um ihr letztes Hemd, Gebetsgesänge erschallten mehrmals am Tag. Auf dem Dach einer äthiopischen Kirche hatte sich eine christliche Minisiedlung niedergelassen. Über den Weg, den Jesus zu seinem Tod schritt, ging es zur Klagemauer, über der die al-Aqsa-Moschee thronte. Orthodoxe Juden murmelten Litaneien zu den Steinen. Auf dem Vorplatz der Grabeskirche von Jesus Christus fanden hin und wieder Massenschlägereien zwischen verschiedenen christlichen Konfessionsgruppen statt. In ruhigen Momenten lief ein armenischer Patriarch mit Red-Bull-Dose und Halsketten wie ein Gangsterrapper an ihnen vorüber. Mönche gingen hinter orthodoxen Juden durchs muslimische Viertel, wo alle Händler einem Touristen mit »Free Palestine«-T-Shirt applaudierten. Eine jüdische Familie siedelte auch dort und musste hinter Maschinengewehren und Stacheldraht leben. An der Altstadtmauer lebte ein Obdachloser, der entweder im Gras schlief oder wilde Predigten hielt. Niemand sah in ihm einen neuen Heiland, alle suchten nach Spuren der etablierten Verkünder.

      Das waren die Eindrücke eines halbstündigen Spazierganges. So eng war es dort. Vielleicht war es ein Blick in eine Dystopie: ein Schmelztiegel mit Zentrifugalkräften. Es gab keine schwulen Wandmalereien und keine französischen Pärchen im Liebesrausch.

      Ich bezog für die Wochen meines Praktikums Quartier im Jaffa-Gate-Hostel. Es lag in einer kleinen Gasse hinter Wäscheleinen, unter denen den ganzen Tag lang arabische Männer beim Brettspiel palaverten und Tonnen von Tabak vernichteten.

      Dieses Hostel war, wie alle in der Altstadt, ein Fels, an dem allerhand wirre Existenzen angeschwemmt wurden. Da war Hannah, eine New Yorker Jüdin, die nach ihrer Krebsdiagnose beschloss, Familie und Freunde hinter sich zu lassen, um in der Altstadt von Jerusalem langsam zu verrecken. Abends saß sie kichernd vor Cartoon-Sendungen im Fernsehraum. Ständig bestand sie darauf, mir – wann immer ich vorbeiging – eine Tasse Tee sowie Gespräche über Gott aufzuzwingen oder mir wiederholt für den Holocaust zu verzeihen. Ich bedankte mich dafür.

      An der Rezeption saß Ryan. Er war angeblich Segellehrer in den USA gewesen. Ich hörte aber auch einmal, wie er mit den Besitzern sprach und ihnen versicherte, aufgrund seiner beruflichen Erfahrung als CIA-Analyst genau bestimmen zu können, wer im Hostel ein verdeckter Spion sei. Auch ich wurde von ihm verdächtigt für den BND zu arbeiten.

      Und dann war da ein orthodoxer Jude, den ich aufgrund seiner komischen Aussprache erst für behindert hielt. Später fand ich heraus, dass er sich beinahe jedes Wochenende mit der israelischen Polizei prügelte, um zu verhindern, dass ein Bezahlparkplatz am Shabbat, dem jüdischen Ruhetag, seinen Geschäften nachging. Dabei war ihm mehrfach der Kiefer gebrochen worden.

      Mein Lieblingsgast aber war Peter. Es gab ein Schild in der Lobby, auf dem stand, dass der Konsum von Alkohol im Hostel zum sofortigen Rausschmiss führen würde. Aber jeder trank heimlich. Peter und ich trafen uns ein paar Mal in seinem winzigen Zimmer und machten zusammen eine Flasche Arak leer. Dabei erzählte er mir die Geschichte, wie er »gegen alle 10 Gebote« verstoßen hatte.

      Er hatte in Italien gelebt und war in ein Mädchen verliebt gewesen. Aber nicht nur er, sondern auch ein zweiter Verehrer. Peter arbeitete als Hilfskoch in einem Restaurant, das einem italienischen Mafiaclan gehörte. Abend für Abend, während er Spaghetti mit Meeresfrüchten zubereitete, klagte er sein Leid. Der andere Mann wollte sich nicht zurückziehen, das Mädchen keine klare Entscheidung treffen. Eines Abends fragte einer der Schläger, die dort ein- und ausgingen, ob sie sich als »Freundschaftsdienst« dieses Problems annehmen sollten? Peter hatte genau gewusst, was das hieß und nicht abgelehnt, nur geschwiegen und vielleicht sogar genickt. Der Schläger nickte ebenfalls und es folgten bange Tage des Wartens. Was würde