Eva sieht rot. Liza Cody

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Название Eva sieht rot
Автор произведения Liza Cody
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783867548861



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Letztes Jahr hat es eine Kleine aus Leeds erwischt. Und im März die nächste Kollegin. Und jetzt Dawn. Das macht drei Tote.«

      »Ich kann zählen«, sagte ich.

      »Aber die Bullen nicht«, sagte die Fremde. »Drei ›Schlampen‹ sind für die nicht halb so viel wert wie eine einzige ›anständige‹ Frau. Von denen haben wir keine Hilfe zu erwarten. Also müssen wir uns selber helfen.«

      »Genau«, sagte Crystal. »Als sie darüber geredet haben, musste ich die ganze Zeit daran denken, wie gut es gewesen wäre, wenn Dawn Ahnung von Selbstverteidigung gehabt hätte. Sie wurde andauernd durch die Mangel gedreht. Und da habe ich an dich gedacht und an deine Catcherei. Du könntest es ihnen beibringen.«

      Ich starrte sie mit offenem Mund an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, es war so eine hirnverbrannte Idee. Ich sollte diesen Weibern Unterricht geben?

      »Sie haben Geld«, sagte Crystal. »Sie können zahlen.«

      Natürlich hatten sie Geld. Ich konnte mir bloß nicht vorstellen, dass sie es für etwas Sinnvolles ausgeben würden. Und dann war da noch etwas. Frauen, die sich ihre Brötchen im Liegen verdienen, sind meistens nicht die allerkräftigsten.

      »Und?«, fragte die Fremde.

      »Klappe. Ich überlege.«

      »Hoffentlich brauchst du nicht die ganze Nacht dafür.«

      »Wer bist du überhaupt?«

      »Du kannst Bella zu mir sagen«, sagte sie. »Und ob du es nun wissen willst oder nicht, ich habe einen kleinen Jungen und einen alten Großvater zu versorgen, und es kommt nicht viel Kohle dabei rum, wenn ich mir hier vor deinem Tor die Beine in den Bauch stehe, während du dir lang und breit deinen Holzkopf kratzt.«

      »Okay, super«, sagte ich grinsend. »Dann zieh doch ab. Mach dich vom Acker. Geh und lass dir den Popo anwärmen, und wenn du schon mal dabei bist, kannst du dir auch gleich noch deinen Holzkopf einschlagen lassen.«

      »Du machst also mit?«, sagte Bella. »Ach, ist ja auch egal. Pass auf, ich mach es dir ein bisschen leichter. Ich sehe doch, dass das Denken nicht gerade deine starke Seite ist. Wenn du mitmachen willst, kommst du morgen Mittag ins Full Moon. Wenn nicht, kannst du mir mal im Mondschein begegnen. Klar?«

      Damit drehte sie sich um und dampfte ab. Sie sah genauso aus wie das, was sie war. Und ich dachte, wie soll ich so einer Tussi in dem engen Röckchen und mit den hohen Absätzen das Kämpfen beibringen?

      »Selbstverteidigung?«, sagte ich zu Crystal. »Die kann doch kaum laufen. Wozu soll ich ihr beibringen, wie man schlägt und tritt, wenn sie sich so bescheuert anzieht?«

      Crystal und ich sahen Bella nach, wie sie von einer Straßenlaterne zur anderen stöckelte, bis sie schließlich am unteren Ende der Mandala Street um die Ecke verschwand.

      Crystal seufzte. Sie hatte Jeans und ein T-Shirt an. Anständige Klamotten, genau wie ich. Aber auf Crystal würden sowieso keine geilen Freier fliegen. Sie hat ein Gesicht wie ein Affe, und sie schminkt sich nicht.

      Sie sagte: »Kann ich reinkommen, Eva? Ich weiß nicht, wohin. In meinem Zimmer riecht es noch so nach Dawn.«

      Ich konnte sie doch nicht zum Teufel jagen, oder? Du kannst mich ruhig einen sentimentalen Trottel schimpfen, aber ich konnte sie nicht einfach vor dem Tor stehen lassen, so elend, wie sie war.

      »Du musst versprechen, dass du nicht heulst«, sagte ich, während ich aufschloss. »Ich kann Geflenne nicht ausstehen.«

      »Ich flenne nicht«, sagte sie. »Ich bin wütend.«

      Das hörte sich schon besser an. Also ließ ich sie rein und nahm sie auf einen Tee in meinen Hänger mit.

      Crystal ist genauso wenig eine Heulsuse wie ich. Aber sie wollte reden. Das stört mich nicht. Ich höre gern Geschichten.

      »Du hast Dawn nie gemocht«, sagte sie, als wir unsere Teebecher in der Hand hatten.

      »Sie hat mich nie gemocht«, sagte ich. »Es wäre was anderes, wenn sie uns an dem Abend reingelassen hätte.«

      »Du erinnerst dich immer nur an das Schlechte«, sagte sie.

      Andersherum müsste ich schön blöd sein. Wenn du das Schlechte vergisst, wie sollst du es dann in Zukunft vermeiden können? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Außerdem habe ich nie was Gutes von Dawn gehört.

      »Dawn war nicht immer so«, fuhr sie fort und ließ die Oberlippe in den Tee hängen. »Nur hübsch, das war sie immer schon. Früher habe ich sie deswegen beneidet, aber das hat sich gelegt, als ich älter wurde. Alle wollen was von einem, wenn man gut aussieht. Wenn man hübsch ist, ist man immer die Doofe.«

      Mit Doofen kennt Crystal sich aus. Deshalb ist sie auch so eine gewiefte Marktfrau.

      Sie merkte nicht, dass ich grinste, und erzählte weiter. »Schon als sie noch ganz jung war, elf oder zwölf, haben sich die Kerle an sie rangewanzt, mit den üblichen blöden Sprüchen. ›He, schönes Kind. Darf ich dich einladen? Möchtest du tanzen gehen?‹ Und sie ist schon in Kneipen mitgegangen, als sie noch viel zu jung dafür war. Und sie dachte, die Kerle wären sehr spendabel. Sie wusste nicht, dass nichts umsonst ist. Alles hat seinen Preis.

      Das erste Mal kam sie nach Hause, und sie weinte, und sie hatte Blut an den Beinen, und sie sagte, jemand hätte ihr wehgetan. Ab da hat sie dann gewusst, dass es nichts umsonst gab. Aber gelernt hat sie nichts daraus. Sie hat sich immer wieder verliebt. Sie glaubte an die Liebe. Sie hat gesagt, durch die Liebe fühlt sie sich wie ein richtiger Mensch.

      Es gab da einen Kerl. Wir haben ihn manchmal auf dem Schulweg gesehen. Wenn wir mal zur Schule gingen. Er fuhr einen großen roten Wagen und trug todschicke Anzüge. Er hat Spielautomaten geleert.

      Nach der Schule sind wir nämlich oft in den Fummelbunker gegangen. Und ich konnte sehen, dass er ein Auge auf Dawn geworfen hatte. Weil ich schon damals versucht habe, auf sie aufzupassen. Sie brauchte wirklich ein Kindermädchen.

      Dieser todschicke Kerl, der hat immer zu mir gesagt: ›Verzieh dich, du Knirps. Du störst.‹

      Und ich habe gesagt: ›Das erzähl ich unserer Mum. Deine Sorte kenn ich.‹

      Und er hat gesagt: ›Du hast doch von Tuten und Blasen keine Ahnung.‹ Und dann hat er zu Dawn gesagt: ›Wenn du deine kleine Schwester unbedingt dabeihaben willst, kannst du mit den Jungs auch gleich auf den Spielplatz gehen.‹

      Und dann hat sie gesagt: ›Hau ab, Crystal.‹ Und wenn sie mich wegschickte, musste ich gehen.

      Einmal habe ich mir solche Sorgen gemacht, dass ich es tatsächlich unserer Mum erzählt habe. Und die hat es ihrem Mann erzählt. Und der hat uns mit dem Gürtel verprügelt und in unserem Zimmer eingesperrt. Aber Dawn war verliebt, und sie ist aus dem Fenster geklettert. Und sie hat wochenlang nicht mehr mit mir geredet. Darum hat sie mir auch nicht gesagt, dass ihre Tage ausgeblieben sind. Und als sie endlich doch damit rausgerückt ist, war sie schon im dritten Monat.«

      »Ich wusste gar nicht, dass Dawn ein Kind hatte«, sagte ich.

      »Hatte sie auch nicht«, sagte Crystal. »Sie hat es verloren. Beziehungsweise sie hat es bekommen, aber es war ganz blau bei der Geburt, und wir konnten es nicht retten. Es war nämlich so. Sie hat mir erzählt, dass sie einen Braten in der Röhre hatte, und dann haben wir beschlossen, mit diesem todschicken Typen zu sprechen. Sie dachte, er liebte sie auch. Sie dachte, er könnte es kaum abwarten, sie zu heiraten, und dass er sie nur deshalb noch nicht gefragt hätte, weil sie minderjährig war.

      Aber das Erste, was er sagte, war: ›Woher soll ich wissen, dass es von mir ist?‹ Und das zweite: ›Heiraten? Ich glaube, da hätte meine Frau was dagegen.‹ So kam also raus, dass er eine Frau und zwei Kinder hatte, nicht viel jünger als Dawn.

      Dann sagte er: ›Hier hast du ein paar Kröten, lass es wegmachen. Aber wehe, du lässt dich hier noch mal blicken und heulst mir die Ohren voll. Wenn du nämlich dann das nächste Mal in den Spiegel guckst, wirst du glauben, du stehst vor dem Schaufenster