Leben aus dem Sein. Radhe Shyam

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Название Leben aus dem Sein
Автор произведения Radhe Shyam
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783946433279



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und mit der Stirn den Boden vor ihm zu berühren. Ich fühlte mich gar nicht wohl dabei, tat es aber den­noch und schaute dann zu ihm empor. Babaji sah älter aus - ungefähr Anfang Dreißig - und rundlicher als auf den Photos, die ich gesehen hatte. Aufmerksam schaute er mir in die Augen, als ich ihm die kleine Schmuckschachtel mit dem Medaillon und der Kette übergab. Babaji nahm das Schächtelchen in seine Hand, warf einen verwunderten Blick darauf und gab es mir zum Öffnen zurück. Ich entfernte den Deckel und überreichte das Schächtelchen Shri Babaji erneut, der einen bei­läufigen Blick darauf warf - offensichtlich weit weniger davon beeindruckt als ich - und es dem links von ihm stehenden Inder zum Auf­bewahren gab, der auch andere Gaben, die von Shri Babaji nicht so­fort verteilt wurden, entgegennahm.

      Ich stand auf, um zu gehen, aber Shri Babaji bedeutete mir, mich rechts vor ihm hinzusetzen. Ich nahm im Schneidersitz auf dem Boden Platz und beobachtete Shri Babaji fünf oder zehn Minuten. Er saß auf­recht da und hob die Hand zum Segnen einiger seiner Schüler. Andere empfing er mit einem Lächeln oder Lachen und einer segnenden Berührung und tauschte mit ihnen ein paar Worte in Hindi aus. Ab und zu warf er mit einem koboldartigen Lächeln Äpfel, Orangen und Bonbons in den Schoß der Frauen und Kinder, die ihm direkt gegenüber­saßen. Es war ein ständiges Gedränge, ein Lärm und eine schwirrende Aktivität um Babaji herum, doch auch eine Atmosphäre von Heiterkeit und Frieden. Während ich so dasaß, erinnerte ich mich an die vielen "kleinen Wunder", die sich auf meiner Reise von Europa nach Indien ereignet hatten. Ich lächelte in mich hinein und fragte: "Ist das Gott auf Erden?"

      Wenige Minuten später kam der schnauzbärtige Inder, der links von Babaji gestanden hatte, und sagte, Babaji hätte ihn angewiesen, mich zu "Swamiji" zu bringen, der meine Frage auf Englisch beantworten könne. Ich wunderte mich, ob Babaji meinen Gedanken gelesen hatte, denn schließlich behaupteten die Leute, dass er das tue. Wir bahnten uns einen Weg durch den überfüllten Tempel zur entferntesten Ecke, wo Swami Fakiranand11, ein siebzigjähriger Schüler, saß, der Shri Babajis Ashram in Haidakhan verwaltete und hier Literatur über Babaji verkaufte. Wir sprachen ein paar Minuten über Babaji als Verkörperung Shivas, wie in den heiligen indischen Schriften dargestellt. Dann wurde Swamiji zu einer Zusammenkunft gerufen. Ich stand da, in dieser von Shri Babaji entferntesten Ecke, und betrachtete die Szene, die mir trotz meiner Außendienst-Erfahrung im Außenministerium fremder als alles bisher Dagewesene zu sein schien.

      Plötzlich rief Babaji jemanden zu sich. Der Mann neben mir meinte, ich solle zu Babaji gebracht werden, und so bahnte ich mir meinen Weg durch die Menge und spürte, wie vierhundert Augen­paare auf mir ruhten. Kaum war ich bei ihm, als er auch schon eine Pappschachtel öffnete, zwei große runde Stücke von einer Süßigkeit aus Milch und Zucker herausnahm und sie mir in die Hand legte. Ich setzte mich zu seinen Füßen nieder und betrachtete sein Antlitz, während ich die Süßigkeiten aß. Es war voller Liebe und Güte, in einem Maß, das alles übertraf, was ich jemals in irgendeines Menschen Gesicht und Ausdruck gesehen hatte. Er schien diese Liebe wie eine messbare physikalische Energie auszustrahlen. Nach einer Weile machte Shri Babaji Anstalten, aufzustehen. Er beugte sich vor, stützte sich mit beiden Händen auf meinen Rücken und erhob sich. Dann eilte er durch die Menschenmenge und zum Tempelgelände hinaus. Es war Zeit fürs Mittagessen.

      Margaret und ihre amerikanischen und europäischen Freunde kamen herbei und erzählten mir, dass Babaji mich mit seinem Empfang hoch geehrt hätte und dass ich wirklich gesegnet worden wäre. Ich wusste nicht, wie Shri Babaji Neuankömmlinge begrüßte, aber mein Körper und meine Seele spürten lange Zeit, dass sein Segen mich "auf­geladen" hatte. Trotz der Verwirrung, die die Berührung mit einer mir fremden Kultur ausgelöst hatte, fühlte ich, dass Shri Babajis Willen mich zu der für mich günstigsten Zeit zu ihm gezogen hatte.

      Um das Mittagessen einzunehmen, saßen wir gemeinsam mit jeweils einhundert Personen in typischer Ashram-Art mit überkreuzten Beinen am Boden des Tempels. Teller aus großen zusammengesteckten Blättern wurden vor jeden gelegt, die von Schülern aus dampfen­den Schüsseln mit Reis, Linsen, Gemüse, gebackenen Fladenbrot (Chapatis) und einer Süßspeise gefüllt wurden. Dazu gab es Tee, der in Edelstahlbechern serviert wurde. Die Nahrung, die wir aßen, war zuerst Shri Babaji angeboten und durch ihn gesegnet worden. Solche gesegnete Speise wird Prasad genannt, und so verfuhr man mit allen Mahlzeiten, gleich wo Babaji hinging. Wir aßen immer mit der rechten Hand. Während ich noch die Mahlzeit zu mir nahm, ging Babaji in den Tempel zurück, kam auf mich zu und fragte nach meinem Namen.

      Nach dem Essen gab es eine Mittagspause, in der man ruhen oder einige Besorgungen machen konnte. Am späten Nachmittag fand dann Darshan statt - es ist die Zeit, in der ein Heiliger mit seinen Schülern zusammensitzt und durch seine Anwesenheit seine Ausstrahlung und erhebende Energie auf sie einströmen lässt. Anschließend folgte ein Abend-Arti, ein gesungener Gottesdienst. In der Ruhepause hielten Margaret und ich im Gästehaus einen kurzen Mitttagsschlaf und nahmen noch vor der Rückkehr in den Ashram ein Bad.

      Vrindaban ist die Stadt, in der Krishna - er verkörperte das Göttliche als Vishnu und ist die Hauptfigur des indischen Epos "Mahabharatha" - als Kind in einem Hirtenstamm aufwuchs. Schriftliche Überlieferungen datieren die Zeitepoche, in der Krishna gelebt hat, auf ungefähr 6700 Jahre zurück, doch vermuten viele Historiker, dass sie näher an Christi Geburt liegt. Kürzliche archäologische Funde bestätigen das ältere Datum. Vrindaban als alte Stadt mit seinen engen, verwinkelten Gassen und übervölkerten Straßen gibt den vielen suchenden Pilgern und Touristen einen geeigneteren Rahmen als die aufdringlichen, geschäftigen indischen Handelsstädte. Noch heute ist Vrindaban berühmt für seine Milch und Milchprodukte. An den Straßen stehen viele Stände und Buden, in denen herrliche heiße Milch oder Milchtees, Chai genannt, feilgeboten werden. Dort kauften wir auch Süßigkeiten aus Milch und Zucker für Babaji. Um die vielen Tempel herum boten Straßenhändler Blumengirlanden für etwa eine Rupie das Stück an; diese werden dann den Gottheiten während der Abendandacht dargebracht. Auf den Straßen herrschte rege Geschäftigkeit - Käufer, Verkäufer, Bummler, Rikschas, Fahrräder, Pferdewagen, Ochsenkarren, einige Autos, unzählige Kühe, Schweine und Ferkel - alles war einträchtig in den Gassen zu finden. Als der Nachmittag zu Ende ging, hörten wir die Glocken aus Vrindabans tausend Tempeln ertönen, es wurden Gongs geschlagen und der süße Duft von Räucherwerk zu Ehren Gottes stieg in den Himmel.

      Auch Babajis Ashram füllte sich, und wieder warteten lange Menschenschlangen, um seine Füße in Ehrfurcht zu berühren und ihm während des melodischen Om-namah-Shivay12 Gesanges ihre Gaben und sich selbst darzubringen. Als ich an diesem Abend eine Blumengirlande auf Babajis Knie legte und vor ihm niederkniete, nahm er sie und legte sie mir um den Hals. Auf dem Weg zu meinem Platz zurück hielt ich kurz in einer dämmrigen Ecke an, um mit einem Inder zu sprechen. Zufällig drehte ich mich im Gespräch zu Babaji hin und bemerkte, dass er mich genau in diesem Augenblick über die linke Schulter hinweg ansah, und noch bevor ich ihm zulächeln konnte, flog eine Orange an einer Säule vorbei, über die ausgestreckten Hände von drei oder vier Menschen hinweg - es war ein linkshändig, seitwärts ausgeführter Wurf - und prallte mitten auf meine Brust, wie um zu sagen: "Wer außer Gott kann so zielen?" Babaji lachte dabei und wandte sich schließlich seinen Schülern zu.

      Zwei Tage lang waren Margaret und ich von der Freude und Aufregung getragen, mit Babaji zusammen zu sein. Wir standen um halb vier morgens auf, badeten und waren, noch bevor die ersten Tagesaktivitäten begannen, vor 5 Uhr auf dem Wege zum Tempel. Wir verbrachten singend im Tempel die Stunden, badeten in den Wellen der Liebe, des Friedens und der Freude, die von Babaji und den Anwesenden ausgingen. Wir unterhielten uns mit Schülern aus allen Teilen Indiens, Europas und Nordamerikas und lauschten ihren Erzählungen über Shri Babaji.

      Nach zwei Tagen kehrten Margaret und ich nach Delhi zurück, um uns um meine Geschäftsangelegenheit beim Außenministerium zu kümmern. Sobald alles geregelt war, fuhren wir nach Vrindaban zurück. Erst spät am Abend erreichten wir den Ashram, der Gottes­dienst war beendet, der Tempel fast menschenleer und nur noch spärlich erleuchtet. Hatten wir Shri Babaji verfehlt? Wir wussten, dass er nach Bombay aufbrechen wollte. Doch dann erblickten wir ihn, als er aus der Dunkelheit des Tempel hervortrat. Shri Babaji wies Margaret und mich durch einen Dolmetscher an, noch am selben Abend zusammen mit Swamiji und einer Gruppe meist westlicher Schüler zum Haidakhan Ashram zu reisen.

      Mit der Schmalspurbahn