Maschinenkinder. Frank Hebben

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Название Maschinenkinder
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770851



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den Atem an.

      Hastig löste er das Tau vom Laternenpfahl, hechtete an Bord, pfiff, und Ludwig sprang rein, während er mit kurzen Schlägen das Boot wendete und rückwärts ruderte – das Ungetüm im Auge behaltend.

      Der Nebel waberte hintendrein, zäher geworden; und auch das Monstrum schien träge, seitdem es den Bahnhof verschluckt hatte, als müsse es gegen einen Widerstand kämpfen. Außen krachte es wie Gewitter.

      Trotzdem brauchte Paul alle Kraft, um den Vorsprung nicht einzubüßen. Seine Muskeln taten weh, und er verfluchte sich selbst: schon wieder die Maske vergessen!

      Als sie das Becken überquerten und den Kanal erreichten, umfing sie die Immernacht: Im Dunkeln schien das Ungetüm noch lauter zu grollen, das, einen Steinwurf entfernt, hinter den Häusern verschwunden war.

      Mist! So kamen sie nicht vorwärts: Paul musste das Boot wieder wenden, aber auch das kostete Zeit. Was sollte er –

      Eine Bö zerzauste sein Haar. Erschreckt duckte er sich, hätte das Paddel fast losgelassen: Er packte fest zu, zwang den Kopf hoch – gleichzeitig fraß sich das Ungetüm zu ihm durch wie Feuer, das Papier verzehrte, und Blitze jagten über die Wände, im Zickzack die Häuserschlucht runter; hin und her, und verpufften.

      Funken.

      Die Luft roch elektrisch aufgeladen.

      Fast hatte der Nebel das Boot erfasst, alles Rudern half nichts mehr; so sehr sich Paul auch anstrengte, der Abstand wurde kleiner und kleiner: fünfzig Meter, dann vierzig, dreißig – Ludwig, der am Bug stand und knurrte, mit Schaum vor dem Mund, schaute plötzlich nach oben, winselte, bellte, ehe der erste Geistervogel über sie hinweg schoss. Ein ganzer Schwarm war gekommen, und sein eiskaltes Raunen mischte sich ins Getöse.

      In letzter Not warf Paul das Paddel hin, schlug die Munitionskiste auf, nahm die Leuchtpistole, streckte sie vor und feuerte und traf: Fauchend ging ein Vogel in Flammen auf, die Flügel brannten, während er abwärts trudelte, ins Wasser klatschte, verglühte.

      Dann fiel der Schwarm über sie her.

      Es waren einfach zu viele.

      Paul hatte versucht, sie mit dem Paddel abzuwehren, doch schnell hing sein Hemd in Fetzen; blutige Striemen und Bisse, dass er sich schreiend hinwarf. Zusammengekauert, den Kopf durch das Öltuch geschützt, lag er im Boot und musste mit ansehen, wie Ludwig nach den Vögeln schnappte, sich schüttelte, sich krümmte, um sie vom Rücken wegzuschleudern. Auch der Hund war verletzt, sein Fell durch die Schnäbel und Krallen zerrauft.

      Dahinter, so nah, dass Paul einen gigantischen Wurm ausmachen konnte, der unter den Pilzen das Erdreich aufwühlte, gähnte das Ungetüm – turmhoch über ihm, laut wie ein Dampfzug, als es in den Kanal hineinkroch. Seine Masse drückte den Nebel nach außen, die Wände hoch, und nach vorn, schob ihn vor sich her: eine Springflut aus eisblauen Schwaden, knisternd. Nur eine kurze Distanz, bis die giftigen Sporen das Boot eingehüllt hatten …

      Paul schlug das Öltuch zurück. Packte das Paddel, wollte rudern, obwohl ihn noch immer die Vögel umkreisten, dann aber blitzte ein greller, perlweißer Strahl von der anderen Seite her auf. Ein Scheinwerferlicht.

      Lisa schrie: »Lasst sie in Frieden, ihr Mistviecher!«

      »Hilf uns«, stöhnte Paul, der einen Vogel wegschlug, bevor er sich umdrehten konnte:

      Im Höchsttempo kam ihr Motorboot angebraust, direkt auf sie zu; sein Keil zerpflügte das Wasser, die Bugwelle rollte und spritzte gegen die Häuser. Lisa saß hinten, die Pinne fest in der Hand, mit der sie lenkte – in der anderen eine Pistole. Sie schoss! Der Knall donnerte durch den Kanal, drückte den Schwarm nach hinten; und auch der Nebel schien einen Herzschlag zu stocken, ballte sich, um dann rascher zu fließen: Ludwig, noch immer vorn, wurde eingeweht, gerade als er wegspringen wollte.

      »Ins Boot, schnell!«, rief Lisa, während sie eine Schleife fuhr, dabei den Motor drosselte, um Reling an Reling zu bringen. »Klettert rüber. Los, macht schon!«

      Ein Satz, und Paul war drin, das Paddel wegschleudernd – der Hund folgte keuchend, Schaum an den Lefzen; das Fell klitschnass vom Blut. Sofort startete Lisa durch, gab Vollgas, und im scharfen Bogen preschte das Boot davon.

      Für nur einen Moment hatte sie auf das Monstrum gestarrt, das sich, gleich einer Naturgewalt, in die Stadt hineinfraß, blitzend, bebend und krachend.

      Ihr Gesicht war blass vor Entsetzen.

      Rhombus öffnete die Tür zu ihrer Hütte – und da standen sie, müde, zerlumpt, und verletzt; wie nach einer schweren Schlacht. Und in den Augen das Grauen.

      Schweigend trug Paul den Hund zu seinem Bett; strich über das blutige Fell, bevor er die Decke drüber zog. Ludwig durfte einfach nicht sterben! Eine Träne tröpfelte von seinem Kinn.

      »Kinder, was ist mit euch passiert? So redet! Erzählt mir, was los war.«

      »Wir waren am Bahnhof«, begann Paul, »wo ein Monster kam und alles gebebt hat, und wir sind abgehauen. Trotzdem hat es den Kanal verschluckt, und die Sporen, die flossen aus seinem Maul, und Geistervögel haben uns angegriffen, bis Lisa uns im Boot retten konnte.«

      »Junge, du faselst ja.« Der Alte verschloss die Tür. »Was für ein Monster denn? Nur die Phase wird etwas stärker, kein Grund zur Sorge.«

      Matt hob Lisa den Kopf; auch sie weinte, ihr Mund bibberte. »Es kommt näher, das Biest, schwarz und ganz riesig, und es macht Blitze und poltert wie ein Gewitter. Hör hin …«

      Im Schatten, nur ein paar Kerzen brannten, horchten sie auf das ferne Grollen; schwach konnten sie das Raunen der Geistervögel ausmachen. Noch bebte der Flakturm nur leicht, obwohl sich das Monstrum schon hinter der Altstadt aufgetürmt hatte, als sie mit den letzten Tropfen Benzin den Kai erreichten.

      »Ich habe eine schreckliche Ahnung«, brummte Rhombus und hinkte zum Fenster, um die Holzblende zu öffnen und rauszuschauen: Es war finster wie immer, bis auf das spukhafte Flackern, als würde ein Sturm heraufziehen. »Nein, das muss ich von oben sehen.« Er machte kehrt, ging zur Kommode, zog die Schublade auf, nahm sein Fernglas heraus – dann weiter zur Hintertür, wo er stehen blieb, zögerte. »Ihr bleibt hier unten. Lisa, wasch seine Schrammen und nimm das Jod; nachher schön alles verbinden. Da sind auch Pflaster übrig. Verstanden?«

      Sie nickte.

      »Bin gleich zurück und versorge den Hund.« Er humpelte hindurch, und die Tür fiel hinter ihm zu.

      Im Luftzug knisterte ein Kerzendocht, sonst kein Laut außer dem Grollen draußen. Näher inzwischen. Viel näher.

      »Hab keine Angst, es wird alles wieder gut.« Lisa holte den Sanitätsranzen vom Regal runter. »Rhombus weiß sicher, was zu tun ist.«

      Hinter ihr warf Paul das zerfetzte Hemd weg. »Dieser Krüppel, was weiß der schon!«

      »Nimm das sofort zurück«, schrie Lisa, den Ranzen zitternd in der Hand. »Du rotziger Bengel, ohne ihn hätten wir gar nichts. Gar nichts, hörst du? Gar nichts!«

      Das saß; wie geohrfeigt stieß Paul gegen das Bettgestell. »Tut mir leid, ich –«

      »Und jetzt pflanz deinen Hintern auf den Stuhl, damit ich dich verarzten kann. Wird’s bald?«

      Unter Tränen, beide weinten, kam Paul zum Tisch – wollte sich hinsetzen, als von oben laut und schrill eine Sirene ertönte.

      Alarm!

      »Es geht los«, sagte Lisa und stellte den Ranzen beiseite. »Zieh deinen Pulli an und komm.«

      Hand in Hand nahmen sie die letzten Stufen. Paul wurde von Lisa hochgezogen, die auf ihn einredete, schnell und pausenlos, obwohl er draußen nichts mehr verstehen konnte – Blitze durchstachen die Luft, und Donner, so laut wie Kanonenfeuer.

      Als beide die Plattform erreichten, sich keuchend zur Brüstung hinschleppten, an den Beeten vorbei, warf sie ein Erdstoß von den Füßen: Sie fielen der Länge nach hin, blieben liegen, zu erschöpft, um wieder aufzustehen, bis Rhombus kam, um ihnen zu helfen.