Maschinenkinder. Frank Hebben

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Название Maschinenkinder
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770851



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hatte einen Knick, sah aber sonst funktionstüchtig aus.

      Ganz schön ramponiert alles.

      Rhombus folgte seinem Blick zu einem Verteilerkasten, dessen Deckel nur noch an einer Angel hing; die Kabel baumelten bis zum Boden, ineinander verdreht und verknotet. »Eine Sauerei ist das! Kostet uns Tage, wenn nicht Wochen, das erneut instand zu setzen.«

      »Die Vögel …«

      »… sind abgezogen, als die Phase weitergerückt ist, zur Altstadt. Die Marienkirche hat ein paar Schindeln weg, dann ist irgendwo ein Haus eingekracht. Aber ich denke, wir haben Ruhe so weit.«

      »Hoffentlich«, sagte Paul. Er hob ein schweres, rostiges Zahnrad auf, das er zu Rhombus herüberschleppte. »Baust du den Konverter heute ein?«

      »Das kann warten, bis wir Strom haben.«

      »Was soll das heißen?«

      »Was das heißen soll, Bursche«, murrte Rhombus und trat beiseite, damit Paul freie Sicht auf den Benzingenerator und die galvanischen Säulen hatte, die gesplittert und ohne Säure im Schlagschatten der Flak standen. »Da kriegen wir doch kein Volt mehr raus.«

      »Ist der Generator kaputt?«

      »Nein, aber mit dem bisschen Benzin …« Der Alte wandte sich dem Gestänge zu, an dem er die lockeren Muttern festzog. »Reich mir die Ölkanne, Junge.«

      Schweigend reparierten sie die gröbsten Schäden, bauten die Zahnräder ein, schraubten eine Konsole fest und lose Stahlplatten, ehe Rhombus das Werkzeug sinken ließ: »Ich kann nicht mehr stehen«, sagte er müde und wies auf die Brüstung nahe den Gemüsebeeten. »Wir haben uns eine Pause verdient.«

      »Erzählst du mir vom Teutonium?«, fragte Paul, der neben ihm ging, sobald Rhombus eine Pfeife und Stopftabak aus dem Waffenrock gezogen hatte. »Es wurde im Krieg benutzt, richtig?«

      »Woher weißt du davon?«

      »Aus deinen Büchern«, sagte Paul verlegen und neigte den Kopf, zerstrubbelte sein kurzes blondes Haar. Er musste aufhören, solche Sachen auszuplaudern. Das gab nur Ärger …

      »Hatte ich dir nicht verboten, meinen Raum zu betreten? Warum schließe ich wohl ab?« Langsam, um sein Bein zu schonen, ließ Rhombus sich auf einem Betonstein nieder. »Da sind Dinge drin, die dich nichts angehen!«

      »Na gut, aber –«

      »Das Teutonium«, schnaubte Rhombus verächtlich. »Dieses Teufelsmetall. Aber ich glaube, so langsam bist du alt genug, ein wenig mehr zu wissen.«

      Was er wohl zu hören bekam? Neugierig setzte sich Paul in den Schneidersitz zu seinen Füßen. »Lisa, willst du herkommen?«

      »Ich kriege schon alles mit«, antwortete sie, während sie eine fluoreszierende Blume von einem Topf in den nächstgrößeren verpflanzte.

      Sie lächelte zufrieden.

      Mit dem Daumen drückte Rhombus etwas Tabak in den Pfeifenkopf, dann entfachte er ein Zündholz, hielt es tiefer – und saugte am Mundstück, bis die Glut aufknisterte. Er blies den schweren Rauch durch die Nase, schloss träge die Augen.

      »Am Ende des letzten Jahrhunderts wurde es zufällig von einem Geologen entdeckt. Im Boden schaut es aus wie gewöhnliches Erz. Kippt man beides in den Hochofen, entsteht nur das stinknormale Roheisen ohne spezielle Eigenschaften. Kannst du mir folgen, Bursche?«

      Paul nickte. Dann schob er die Handflächen seitlich, um den Rücken abzustützen, und schaute den Alten an.

      »Man braucht also Teutonium in Reinform, ohne Verunreinigungen durch andere Metalle – und auch ein anderes Schmelzverfahren, das seine wahren Kräfte weckt. Und jetzt willst du sicher wissen, welche das denn sind …«

      »Spann mich nicht auf die Folter«, sagte Paul. Seine Wangen glühten. »Was war so Besonderes daran?«

      »Du kennst doch Magneten? Ich hab dir mal einen gezeigt. Das Teutonium ist ähnlich, nur viel, viel stärker: Ein, ja, unsichtbares Feld schwebt über dem Metall – es fühlt sich wie ein Luftpolster an; nur mit ruhiger Hand kann man hindurch greifen und die Oberfläche anfassen. Aber wenn man es mit Kugeln oder einer Granate beschießt, prallen die Geschosse einfach davon ab … paff! Ein hübsches Feuerwerk gibt das; und mit Quarz gemischt kann man sogar Fenster draus machen.«

      Paul zog Luft durch die Zähne und pfiff. »Du meinst …«

      »Jawohl«, bestätigte der Alte, setzte die Pfeife an und rauchte. »Erst haben sie Flugzeuge gebaut, um den Flakkanonen eins auszuwischen. Unsere Hübsche hier, die war Altmetall, als der erste Teutoniumbomber kam, um seine Fracht abzuwerfen. Phosphor, schreckliches Zeug. Das Gerberviertel ist abgebrannt damals; man konnte die Feuer nicht löschen.«

      Rhombus setzte die Pfeife ab.

      »Na, so richtig schlimm ist es aber an der Front gewesen. Die alten Kriegswaffen aus Stahl haben wir ja noch geknackt, aber als dann Artillerien und auch die Tanks aus Teutonium waren … Um diese Monster zu kriegen, musste man schon dicht ran: denen auf den Pelz rücken und fettbeschmierte Haftgranaten anbringen, sonst half da nichts; die Tellerminen im Boden noch, auch wenn oft nur die Panzerketten zerbrachen. Ein feines Morden hat das gegeben, mein Junge; so viele Soldaten, die bei den letzten Großangriffen auf den Feldern totgeschossen wurden, nur um ein paar lumpige Maschinen zu sprengen. Da grub man sich lieber ein wie ein Maulwurf und blieb im Schützengraben hängen, bis sich dann überhaupt nichts mehr regte. Furchtbar ist das gewesen. Stille über dem Land. Sie haben zwar neues Spielzeug für uns Soldaten gemacht, ein Panzerhemd aus Teutonium oder gleich die Büchse, wie sie im Graben hieß, eine Art Ritterrüstung. Weißt du, was das ist?«

      »Die kenne ich«, sagte Paul, der auf seinem Hintern hin und her rutschte. »Standen in Burgen herum.« Wo hatte er die gesehen? In einem Märchenbuch?

      Rhombus schnaufte. »Der modernste Krieg, den die Welt gesehen hat, und wir, die Frontschweine, stapften im Harnisch durch die Bombentrichter. Ein Witz war das! Und nutzlos obendrein, weil einen das schwere Gerät in den Schlamm runterzog oder Schrapnelle zwischen die Platten pfiffen; und wenn erst Feuer oder Ätzgas wehte …«

      Ehe er weitersprach, ließ Rhombus seinen Blick über die Plattform gleiten: Lisa hatte die Gemüsebeete verlassen, um Kleidung von einer Leine zu holen; neben dem Wäschekorb spielte Ludwig mit einer alten grauen Wollsocke.

      »Nun ja, wie dem auch sei. Eine Weile blieben die Fronten wie eingefroren, bis der Feind uns endlich das Remis anbot, wie man beim Schach so sagt, wenn es keinen Sinn hat, die Partie überhaupt noch weiterzuspielen. Tja. Und ohne Sieger war der Krieg dann vorbei gewesen. Meine Güte, was haben wir Soldaten geflucht: tausende Kameraden verloren, für nichts und wieder nichts. Alle tot. Das war schon was …«

      »Erzähl mir doch mehr«, bat Paul, weil Rhombus eine Weile nur schweigend dagesessen hatte, dicke Wolken paffend, bis das Kraut ganz verkohlt war. »Wann wurden die Kuppeln gebaut?« Kurz warf er einen Blick nach oben: Kaum Licht drang heute durch die Asche. An manchen Tagen fiel Kondenswasser, das sich an den Scheiben sammelte.

      »Ach, das willst du auch noch wissen«, murrte Rhombus und klopfte Asche aus dem Pfeifenkopf, worauf er neuen Tabak aus der Dose zupfte. »Bloß weil du gestern den Orden gekriegt hast, glaub nicht, dass ich dir alles hinlege.«

      »Aber ich will es jetzt hören«, drängte Paul und setzte sich aufrecht hin. Nie erklärte der Alte etwas: Warum die ganzen Leute tot waren, seine Eltern und alle, und weshalb sie das Lichtwerk bauten. Gemein war das!

      »Bengel, ruhig. Das ist zu schwer für dich.«

      »Denkst du, ich bin dumm?« Paul klang, als ob er Treppen hochgerannt wäre. »Der kleine blöde Junge, der immer deine Sachen herholt. Aber weißt du was? Das will ich gar nicht mehr machen!« Er schluckte, als ihm die Tränen kamen; schnell mit dem Ärmel abgewischt.

      »Schon gut, Paul.« Unbemerkt hatte Lisa die Wäscheleine verlassen und stand nun dicht bei ihm, den Korb an ihren Bauch gedrückt. Zu Rhombus gewandt, sagte sie: »Du hast doch selbst gesagt, dass er groß genug ist.«