Maschinenkinder. Frank Hebben

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Название Maschinenkinder
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770851



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Würmer, und Schwärme von Geistervögeln, die zwischen den Welten frei hin und her segelten.

      »Das ganze Gefüge kollabiert«, brummte der Alte, wobei sein Maschinenauge die Häuser fixierte: verrutschte Dächer; und Schornsteine brachen – Berge von Schutt in den Straßen. »Mein Gott, ich hab befürchtet, dass das passiert. Wir müssen das Lichtwerk starten.«

      »Kein Strom«, stöhnte Paul, dessen Knie bluteten, dunkle Flecken im Stoff.

      »Ein Benzingenerator geht noch, auch die Autobatterien, und eine galvanische Säule habe ich vorhin aufgefüllt; das wird schon passen so weit.«

      Doch sein Maschinenauge zuckte hin und her. »Keine Wahl, Junge. Keine Wahl!«, schrie er und packte Paul bei den Schultern. »Holt euch Hammer und Nägel und schlagt Löcher in die Propeller, unten, damit ihr das Benzin mit Eimern auffangen könnt. Das bringt ihr her. Verstanden?«

      Paul rührte sich nicht.

      Rhombus schüttelte ihn. »Hast du das begriffen, Rekrut!«

      »J… ja« Paul löste sich, stolperte einen Schritt rückwärts, blieb danach stehen und starrte den Alten an. »Wir sollen das Benzin ablassen?«

      »Und beeilt euch! Ich setze die Getriebe in Gang.«

      Während der Veteran hektisch Regler und Hebel verstellte, Knöpfe drückte, Skalen ablas, suchten beide das Werkzeug zusammen und begannen, die Löcher zu hämmern und das bisschen Kraftstoff in die Eimer zu träufeln; ein Liter, nicht mehr, den sie zum Generator hintrugen, wo Rhombus das Benzin in den Stutzen einfüllte und den Motor anwarf.

      »Es frisst die ganze Stadt auf!« Paul hatte die Augen weit aufgerissen, sodass sich das Ungetüm darin spiegelte, ein dräuendes, alles verschlingendes Inferno:

      Blitze krachten. Sturmwind toste.

      Und inmitten all dessen formten die Geistervögel einen einzigen, riesigen Schwarm, der auf sie zukam – ein Sausen und Zischen wie von einer Dampfmaschine.

      »Nun gilt es!«, brüllte Rhombus gegen den Orkan an. »Haltet euch gut fest.« Sofort sprang er zum Lichtwerk, riss am Schaltpult einen Hebel nach rechts …

      Doch nichts geschah.

      Irgendwo knisterte es elektrisch.

      »Donner noch eins! Was ist jetzt wieder los?« Zornig unterbrach er den Strom, fegte eine Verkleidung beiseite – und schwarzer Rauch quoll ihm entgegen: Die Kabel waren zerschmort. »Her zu mir, Junge, hilf mir!«

      Wie in Trance, noch immer vom Monstrum gebannt, stolperte Paul nach vorn – Spielzeugsoldat, marschiere, marschiere; er fühlte seine Füße kaum, und seine Hände waren taub. »Was ist denn?«, fragte er schläfrig.

      »Nimm die Zange«, murrte der Alte und reichte sie ihm. »Los, nimm schon, verflucht! Gut, ja.« Schnaufend ging er zum Betonstein, setzte sich hin, zog ein Hosenbein hoch; und Metall kam zum Vorschein, Gelenke und Draht; er legte die Prothese ganz frei. »Zwack diesen hier ab. Und den da auch.«

      »Du … du bist ein …«, stotterte Paul, obwohl er niederkniete und die zwei Drähte entfernte.

      »So ist der Krieg! Das Märchen vom Helden kannst du getrost vergessen!« Mit den Drähten in der Faust humpelte Rhombus zum Lichtwerk zurück. Prüfte den Schaden. Überbrückte den Stromkreis. Und legte erneut den Hebel um:

      Jetzt drang ein Poltern aus der Maschine, Hydraulik stampfte und Zahnkränze mahlten, bevor der Scheinwerfer grell aufblitzte und ein sonnenhelles Licht durch die Finsternis streute.

      Und zum ersten Mal, nach langer Zeit, erstrahlte die Stadt in ihrer ganzen traurigen Pracht: hier ein grüner Balkon, Fenster mit himmelblauen Gardinen; dort eine kirschrote Tür, ein Erker aus korngelben Ziegeln – Farben, Farben, wohin man nur schaute! Für einen Moment war das Inferno vergessen, erstaunt sah Paul zu den Villen herüber, zum Rathaus, zur Kirche, zu den Fabriken und Lagerhallen am Rand. Wie schön die Stadt einst gewesen sein musste, bis der Krieg sie verdorben hatte und —

      Neue Beben, härter als zuvor, ließen die Plattform so stark erzittern, dass die Getriebe des Lichtwerks bockten. Der Scheinwerfer flackerte bedrohlich.

      »Noch nicht«, knurrte Rhombus und trat gegen Stahlplatten, die vor Hitze glühten: Aus den Ritzen schoss Qualm, und Bolzen knirschten. Dann, auf einmal, brach ein Lichtbalken hervor, schnitt durch den Schwarm, durch den eisblauen Nebel, traf auf das Monstrum, trieb es zurück: Ein Strudel entstand, weltengroß und von unbändiger Kraft, dass er alles zu sich zerrte. Noch kämpften die Vögel gegen den Sog an, flatterten, kreischten – vergeblich.

      Nichts aus der fremden Welt entkam.

      »Die Maschine zerbricht! Zur Hütte, schnell«, rief Lisa und hatte Paul schon an der Hand, aber Rhombus konnte nicht länger gehen, und so nahmen sie ihn in die Mitte, stützten ihn, die Treppen abwärts, während sich oben das Lichtwerk zermalmte.

      Unten hörten sie den Knall. Ringsum waren Dinge umgekippt, Töpfe, das Waschbecken; das Grammophon lag verbeult am Kamin, doch sie hatten alles so liegen lassen.

      Paul stand am Bett, sein Gesicht im Fell des Hundes vergraben, und lauschte dem schwachen Herzschlag. Ludwig atmete kaum. Ob er durchkommen würde? Bitte, bitte.

      Lisa und Rhombus hockten müde am Tisch. Die Kerze fehlte, lag vielleicht in einer Ecke. Minuten verstrichen. Erst nach langem Schweigen sagte der Alte: »Es ist vorbei. Das Lichtwerk hat den Riss verschlossen.«

      »Wie denn?«, fragte Lisa.

      »Höhere Astrophysik, Mädchen. Tut mir leid. Um ein Bild zu bemühen: Es war eine Linse, die einen Teil der Wirklichkeit bündeln konnte. Verstehst du?«

      »Nein.«

      Rhombus nickte. »Aber wir sind sicher. Fürs Erste.«

      Erneute Stille zwischen ihnen. Deshalb stand sie auf, um Feuerholz aus einer Kiste zu holen, als es plötzlich an der Haustür klopfte – alle drei schraken zusammen. Eine junge Frau trat ein, lächelte, nahm verlegen den Pelzhut vom Kopf.

      »Wo bin ich hier?«, wollte sie wissen.

      »Natur und Gesetz sah man im Dunkeln nicht;

      Gott sprach, es werde Tesla, und überall ward Licht.«

      (Laudatio zur Verleihung der Edison-Medaille durch das Amerikanische Institut der Elektroingenieure)

      Nach 1901 standen sie bald in vielen Reichsstädten: Teslaspulen, groß wie Leuchttürme, um die Menschen mit drahtlosem Strom zu versorgen, jede Maschine und jedes Gefährt. Erst elektrische Monster, die Blitze in alle Richtungen warfen, dass einem die Haare zu Berge standen, euphorische Zustände herrschten und Jesus zu einem sprach und die Engel, nahe der Kugel, der Elektrode aus Kupfer, die in den Himmel hochstach; man beim Händeschütteln ständig einen Stromschlag bekam, die Pelzstolen der Damen knisterten und auch das Innenfutter der Herren, aus edlem Samt, mit Distelmuster bestickt; die Luft nach Ozon roch, abends, wenn in den Häusern die Glühbirnen brannten, die Kochplatten glühten und die Grammophone ganz ohne Federwerk sangen.

      Diese Spulen hatten einen besseren Wirkungsgrad: Nun war über den Dächern bloß noch das magische Lichtspiel zu sehen, ein Funkeln, ein Pulsen, während die Stromkutschen ihre Passagiere sanft zu den Salons hintrugen, zu den Boulevards und Revuen.

      Empfänger sogen die freie Energie auf und gaben sie an die Maschinen weiter; lang war es her, dass Überladungen sprühten und die Elektrik verschmorte: der Antrieb der Webstühle, Drehbänke; die Schmuckuhren der Kaufleute; die Pranken der Arbeiter in den Fabriken, ausgestattet mit zigfacher Körperkraft.

      La Belle Époque!

      Vorbei die dunklen Zeiten, als Bauern auf karger Scholle, verarmt und elend, von Missernten ausgezehrt, vom Ziehen des Pflugs, Regen und Kälte, sich ein neues Leben in den Städten erhofften … und doch nur die lichtlosen Hinterhöfe bezogen, abseits der prächtigen Straßen und Villen, wo der neue Geldadel wohnte.

      Mit Wechselstrom war der