Maschinenkinder. Frank Hebben

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Название Maschinenkinder
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770851



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      »Wo bist du gewesen?«

      »Draußen«, wich er ihrer Frage aus und klopfte Dreck aus den Stiefeln, bevor er die Laterne an einen Wandhaken hängte und von der Fußmatte stieg.

      »Ach; Paul, du sollst die Treter ausziehen, weil du mir sonst den Matsch reinträgst.«

      »Aber, schau«, entgegnete er und zeigte die Sohlen vor. »Ganz sauber.«

      »Wie, das nennst du sauber? Wenn du nur einmal auf mich —«

      »Schluss, ihr zwei«, ging Rhombus dazwischen. »Tu, was das Mädchen dir sagt.« Der alte Soldat saß am Esstisch, das bärtige Kinn trübsinnig auf die Fäuste gestützt, und studierte einen Bildband über moderne Fliegerei.

      »Na schön.« So schmutzig waren die gar nicht! Trotzig zog Paul seine Stiefel aus, pfefferte sie in eine Ecke, um sich danach an den Tisch zu setzen. »Wann gibt’s Essen?«

      »Du bist spät dran. Die Suppe hast du verpasst.«

      »Was, ich bekomm nichts mehr?« Paul knallte das mitgebrachte Paket hin. Und dafür die ganze Mühe …

      Zögernd, er schien mit seinen Gedanken weit weg gewesen, hob Rhombus den Kopf; und es klickte wie bei einer Uhr, als sein Maschinenauge zuerst das Paket und dann den Jungen fixierte. »Was ist das?«

      »Da musst du wohl selbst nachschauen«, sagte Paul, die Arme verschränkt, und lehnte den Rücken an. Nicht mal lausige Suppe, so was Blödes!

      Mit seiner Hand, die von Narben gekerbt war, griff Rhombus nach dem Bündel und schlug das Ledertuch zurück; ein schwarzer Kasten kam zum Vorschein, groß wie eine Schatulle. »Das ist ja …«, begann er, sichtlich erstaunt.

      »Ein Stromkonverter, ganz recht.«

      »Bengel, wo hast du den her?«

      »Ist das so wichtig?« Paul gähnte, obwohl er nicht sonderlich müde war. »In den Katakomben hinterm Marktplatz. Deswegen bin ich spät dran.«

      »Viel zu gefährlich dort«, sagte Lisa vorwurfsvoll, während sie ihm einen Teller hinstellte: Speck und Erbsen aus der Konserve.

      Paul nahm ihr den Löffel ab. »Unten ist nichts mehr. Alles verrostet, kaputt und verfault. Oder der Sporennebel hängt drin, und ich hatte meine Gasmaske nicht dabei.«

      »Eine Maske sollst du immer mit dir tragen.«

      »Weiß ich doch. Hör auf zu schimpfen.«

      Vom Geruch angelockt winselte Ludwig herbei und legte die Schnauze auf sein Bein. »Ich lass dir was übrig«, seufzte Paul und kraulte ihm Lefzen und das graue Fell, worauf er die kalten Erbsen verschlang.

      Gerade als Lisa das Grammophon wieder ankurbelte, wurde die Hütte von einem leichten Beben durchgeschaukelt; Tassen und Besteck klirrten auf den Regalen. Sie ließ den Porzellangriff los. »Das geht schon den ganzen Tag so.«

      »Wieder diese Phase, wie?«, fragte Paul, der seinen Teller fast leer hatte und nun die letzten Speckstücke an den Hund verfütterte. Richtig satt war er nicht.

      Rhombus schob den Stuhl zurück und stand auf. »Das wird holprig diese Nacht. Mittlerweile ist der Pegel so stark, dass ich mir ernsthaft Sorgen mache. Jeden Monat wird es schlimmer.«

      »Sollen wir die Maschinen festbinden? Weiß aber nicht, ob unten am Steg noch viele Taue rumliegen.«

      »Wir warten ab und hoffen das Beste, Junge.«

      Auf einer Kommode stand das umgebaute Radio, und Rhombus ging hin und schaltete es ein – verdrehte die Skala, bis ein ätherisches Flüstern erklang, das nicht aus dem Lautsprecher kam. »Hört ihr? Ganz nah.«

      »Ich krieg bestimmt kein Auge zu.« Paul gähnte und rieb sich die Wangen und das Kinn. »Morgen raus zum Bahnhof.«

      »Na fein«, sagte Lisa gereizt, während sie ein Buch aus der Vitrine nahm. »Und ich hab wieder keine Ruhe.«

      »Der Bub kann schon auf sich aufpassen.«

      »Kann ich, hörst du?«

      »Nimm wenigstens den Hund mit.« Schwer ließ sie sich in den Ohrensessel fallen, schlug das Buch auf und las, ohne einmal den Kopf zu heben.

      »Jetzt sei nicht sauer«, sagte Paul. Immer die gleiche Leier. »Er kann doch nicht raus, wegen dem Bein …«

      »Ja, mein Bein. Ich will nichts hören davon!« Rhombus, der einen Schlüssel aus der Uniform geholt hatte, öffnete damit eine Schublade und zog sie heraus. »Wir brauchen mehr Benzin. Schau, ob du Automobile oder Lastwagen findest.«

      Hinter ihm war Paul an eine Waschschüssel herangetreten, griff nach der Kanne, schüttete Wasser ins Becken, um sich mit dem Schaum einer Seife die Hände und sein Gesicht zu waschen. Er nahm ein Handtuch vom Stapel.

      »Sieh her, Junge«, klang Rhombus’ tiefe Stimme auf, und Paul knüllte das Handtuch zusammen, warf es in den Wäschekorb, bevor er sich zu ihm umdrehte.

      Mit einer Faust auf Augenhöhe stand der Alte da, die Lippen schmal, das Auge verschlagen – doch dann lachte er hart, es klang wie ein Bellen, und öffnete die Hand, sodass ein silbernes Kleinod an einer Kette herausfiel. Es war ein Orden.

      »Für deine Verdienste im Namen der …« Rhombus brach ab, sein Maschinenauge klackte. »Na, weil du mir beim Lichtwerk geholfen hast, zeichne ich dich mit dem Adlerkreuz erster Klasse aus. Gute Arbeit, Rekrut.«

      »Oh«, machte Paul, über beide Ohren strahlend, als der Veteran ihm den Orden umhängte. Das war alle Mühe wert!

      Lisa schmunzelte. »Nicht, dass dir noch die Brust platzt, Kleiner.« Dann, mit strengerer Mine, zu Rhombus: »Du solltest ihn nicht ermutigen, sich an gefährlichen Orten rumzutreiben. Irgendwann wird er sich verletzen, oder Schlimmeres passiert.«

      »Nur hat der Bengel recht«, seufzte Rhombus, als er beide Hände auf Pauls Schultern legte. »Ich brauche seine Augen und seine flinken Beine. Sonst wird das Lichtwerk niemals fertig.«

      »Ach was«, sagte Paul, der verlegen den Orden bestaunte: »Schön ist der. Wofür hast du ihn bekommen?«

      Doch Rhombus überhörte die Frage. »Es ist schon spät, Kinder«, brummte er und streckte den Arm vor. »Verriegelt die Fenster. Und legt euch hin.«

      In einer Nische rechts vom Kamin stand ein großes Ehebett, dessen Gestell in der Mitte geteilt war: Wolldecken hingen zwischen den einzelnen Hälften – so hatte jeder sein Abteil, links sie, und rechts schlief Paul. Nachdem Rhombus den Nebenraum hinter sich abgeschlossen hatte, zupfte Lisa ihr Nachthemd unter dem Kissen hervor. »Dreh dich weg, ich will mich umziehen.«

      »Und wenn ich die Augen zumache?«

      »Ha, den Trick kenne ich schon«, sagte sie und strich derweil ihr Nachthemd glatt. »Sei so lieb, Paul. Du bist zu alt, mir dabei zuzuschauen.«

      »Was du immer hast …« Er streckte ihr die Zunge raus, wandte sich aber zum Fenster ab.

      Draußen die Immernacht.

      Im Halbschlaf lauschte er dem steten Knacken des Feuers, als würde das Grammophon noch auf leerer Rille laufen. Der Geruch des Kissens, das ruhige Atmen von Lisa, die sofort eingeschlafen war – und ein Flüstern, ganz leise, obwohl der Phasenmesser abgeschaltet auf der Kommode stand: ein seltsames Fisteln, wie Luft, die einem Rohr entströmte; doch Paul war zu müde, um länger darauf zu achten. Es schien ohnehin weit weg …

      Und so zog er die Bettdecke bis zum Hals, räkelte sich, rieb die Füße aneinander, bis er in einem Traum versank:

      Wasser, Wasser, und hohe Wände, von denen die Farbe abblätterte: Paul glitt durch die Katakomben, und das Licht der Feuerfalter schwamm auf den Wellen voraus, kroch an den Stützpfeilern hoch, die das Kuppeldach mittrugen, weit über ihm im Schatten.

      Die Asche lag dicht.

      Langsam, unwirklich langsam, trat das verfallene Schulgebäude aus der Dunkelheit. Der Türsturz