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in Reih und Glied niedergelassen hätten. Am Anfang – kurz nach dem Gesetz – hatte sich Frank noch geschworen, seine Arbeit hier bald zu beenden. Er hatte sie nicht mehr gemocht. Die Ruhe war weg gewesen. Die neuen Herren hatten ständiges Patrouillieren gewünscht. Dabei machten die Drohnen ihre Sache so gut – wenn Frank einmal im Monat einen Techniker rufen musste, war das schon viel. Die Perimeterdrohnen hielten außerdem alle Neugierigen fern. Nur die Lieferungen kamen viel häufiger als früher. Jeden Tag mindestens drei, manchmal bis zu zehn. Das Gesetz funktionierte gut. Aber selbst dafür wurde er nicht benötigt, die Anlieferung erfolgte vollautomatisch, die Drohnen übernahmen alle Arbeiten. Es war sterbenslangweilig.

      Dann hatte er herausgefunden, wo die neu installierte Überwachungstechnik ihre Lücken hatte. Sie konnte zwar feststellen, wenn er nicht regelmäßig seinen Rundgang machte. Aber nicht, was er dazwischen tat, solange keine Technik im Spiel war. Also hatte er sich eine altertümliche Leselampe auf dem Flohmarkt besorgt, die man sich mit einem Band vor die Stirn binden konnte. Eigentlich war sie wohl mal unter Tage im Einsatz gewesen. Aber ihr früherer Besitzer hatte wohl nichts dagegen, dass ihr Schein mittlerweile auf Reihen von Wörtern fiel. Er hatte mit billigen Groschenromanen begonnen, die es auf den Flohmärkten kiloweise gab. Doch seit einigen Monaten war er, was Papierbücher anging, zum Feinschmecker geworden. Derzeit las er »Die Straße«, eine gut hundert Jahre alte Endzeitgeschichte, die damals einige Preise abgeräumt hatte. Gutes Buch, für seinen Geschmack fast etwas zu düster. Da lebte er doch lieber im Hier und Jetzt, wo alles seine Ordnung hatte. Insbesondere nach dem Gesetz.

      Frank beobachtete eine Reinigungsdrohne, die in stoischer Ruhe eine Aufbewahrungseinheit wienerte. Im Schein seiner Taschenlampe konnte sich Frank darin spiegeln sehen. Tausende der Einheiten stapelten sich neben- und übereinander in der Lagerhalle mit den Ausmaßen eines Flugplatzes. Man konnte sich hier drin sehr klein vorkommen. Frank ging weiter. Seine Schritte hallten durch die Leere.

      Toldo duckte sich in den Busch. Blätter kratzten auf seinen Wangen, ein aufgeschrecktes Insekt schwirrte davon. Der Duft nach Moos und Erde lag in der Frühlingsluft. Tobias sog sie ein, füllte seine Lungen. So sollte ein Mann sich fühlen. Lebendig. Bereit, sein Schicksal anzunehmen. Der Sommer war gut zu ihnen gewesen. Die Bäuche stets gefüllt, die Jäger hatten reiche Beute gemacht. Und nun war es an ihm, eine Trophäe nach Hause zu bringen, die dem Häuptling gefallen würde. Die ihm zeigte, dass aus Toldo in den letzten Monaten ein echter Mann geworden war. Einer, der es wert war, die Häuptlingstochter zur Frau zu nehmen. Allein der Gedanke an Sira genügte, um ihn mit einem Gefühl des Glücks zu erfüllen.

      Toldo verharrte im Busch. Die Lichtung lag vor ihm. Er hatte sie in den letzten Tagen ausgekundschaftet. Eine Quelle entsprang an einem großen Stein mitten auf der Fläche und breitete sich als schmaler Fluss in Richtung der Ebenen aus. Die Koljaks kamen jeden Mittag her, kurz bevor die Sonne ihren höchsten Punkt erreichte und die Luft in flüssiges Feuer verwandelte. Sie tranken sich ihre drei Mägen voll, bevor sie sich in den kühlen Schatten des Waldes verkrochen, um die nächsten Stunden in der Dämmerung ihrer Träume zu verbringen.

      Toldo merkte, wie die Nackenmuskeln ob der Hocke zu krampfen begannen. Er ignorierte es ebenso wie das wachsende Gewicht des Speers in seiner Hand. So, wie die Alten es ihm gezeigt hatten in den Jahren der Jagd. Die Sinne nur auf das Ziel, der Körper weit weg. Er war nur eine Waffe aus Fleisch und Blut.

      Die Zeit verstrich. Ein Pelzwurm kroch über seinen nackten Fußrücken. Toldo schaute zu ihm herunter und schenkte dem Kleinen ein Lächeln. Pelzwürmer galten als Glücksbringer, wenn sie von sich aus die Nähe des Menschen suchten. Sollte heute sein Traum in Erfüllung gehen? Das Jahr war gut zu ihm gewesen.

      Ein Knacksen. Dann noch eins. Toldo schaute hoch. Ein Koljak verließ auf der gegenüberliegenden Seite den Wald. Das silberne Geweih war klein. Ein Jung-Koljak, vielleicht drei Jahre alt. Ein älteres Weibchen kam hinter ihm aus dem Dickicht, streckte den Kopf in die Höhe und prüfte die Luft. Toldo wagte keine Bewegung. Aber sein Versteck war gut gewählt. Die Koljaks witterten ihn nicht. Langsam trotteten sie auf die offene Fläche, näherten sich dem kühlen Nass. Wo blieb der Alpha? Toldo atmete so flach wie möglich, verschmolz mit dem Blätterwerk um ihn herum. Ein Schwarm Vögel flog über sie hinweg. Sie waren zu hoch, um sie zu erkennen, aber ihr vielstimmiger Singsang klang bis zu ihnen hinunter. Toldo hörte es und musste automatisch an Siras wunderschöne Stimme denken. Wenn sie lachte, war er mit ihr in einer eigenen Welt, nichts anderes existierte dann mehr.

      Plötzlich eine Erschütterung direkt hinter ihm. Toldo fuhr herum, glitt auf dem moosigen Untergrund aus und fiel aus dem Busch heraus, auf den Rücken. Ein Koljak. Nein, nicht irgendeiner. Der Koljak. Der Alpha! Die Sonnenstrahlen spiegelten sich im Silber seines Geweihs. Selbst die dunkelste Nacht war hell gegen das Schwarz seines Fells. Doch nichts davon war so imposant wie die strahlend grünen Augen. Die leider direkt auf Toldo gerichtet waren. Die Reflexe gewannen Oberhand, die Welt verblasste. Mit einem Sprung war Toldo auf den Füßen. Der Alpha folgte ihm mit seinem Blick. Selbst im Stehen kam ihm das Tier riesig vor, Toldos Kopf war kaum auf Brusthöhe.

      Mit einem einzigen Hieb der Hufe konnte ein ausgewachsener Koljak einen Mann schwer verletzen. Aber das hier war nicht irgendein Koljak. Es war der Koljak. Der Alpha. Er hatte Toldo bemerkt. Dieser ihn leider zu spät. Ein Kampf war unausweichlich. Tod oder Sira. Es gab nichts dazwischen. Toldo schaltete das bewusste Denken ab, wie er es gelernt hatte. Er sprang, ehe der Alpha ihn endgültig als Gefahr einordnen konnte. Toldo stieß den Speer im Sprung vorwärts. Doch dieser Koljak war alt. Älter als der weiseste Mann seines Stammes. Er hatte Zeiten kommen und gehen gesehen. Winter war auf Sommer gefolgt, ein nicht enden wollender Strom.

      Der Alpha machte nur eine einzige, kleine Bewegung zur Seite, doch sie ließ Toldos Speerangriff ins Leere stoßen, sein Sprung ging direkt an ihm vorbei. Der Jäger rollte ab, drehte sich wieder zum Tier, wollte gerade wieder angreifen, da übernahm der Koljak die Initiative. Der Alpha warf den Kopf in den Nacken, sein Röhren vibrierte in Toldos Brustkorb. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte der Alpha seinen Platz in dieser Welt klargemacht. Er war immer hier gewesen. Und wollte es bleiben. Toldo kämpfte nicht gegen ein Tier. Er kämpfte gegen die Zeit an sich. Er hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Der Alpha senkte das Geweih, stürmte vorwärts. Toldo rammte seinen Fuß in die Erde, nahm alle Kraft zusammen, ließ die Muskeln explodieren und sprang vorwärts. Hölzerner Speer. Silbernes Geweih. Eines von beiden würde gleich Leben nehmen.

      Ruth rutschte auf ihrem Sitz hin und her. Emily müsste gleich dran sein. Der in der Schulaula-Atmosphäre beständig vor sich hin schwitzende Mann neben ihr hielt seine Kamera ein Stück höher, damit sie die Bühne besser erfasste. Die noch etwas dickere Frau neben ihm klopfte aufgeregt auf seine Schulter.

      »Da ist sie!«

      Offenbar war ein Kind gemeint, dass gerade als Erbse verkleidet am Rand der Schulaufführung seinen Part hatte. Die dazu passende Kindermusik kratzte aus altersschwachen Lautsprechern durch die stickige Luft.

      Ruth hätte dennoch an keinem anderen Ort der Erde sein wollen. Die Musik verklang, und Dutzende standen auf, spendeten ihren Kindern Beifall, die teilweise unbeholfen in ihren Gemüse-Kostümen die Bühne verließen.

      Der Direktor im schlecht sitzenden Anzug trat auf die Bühne, nahm das Mikrofon und kündigte als Abschluss dieses laut seinen Worten gelungenen Abends den Auftritt des Schulorchesters an.

      Ruth lächelte.

      Das Orchester betrat die Bühne, stellte Notenständer auf, trug Instrumente herein. Die drei Sänger stellten sich vor die Musiker. Ruth hatte nur Augen für das blonde Mädchen in der Mitte. In ihrem weißen Kleid wirkte Emily ein paar Zentimeter größer, fast schon wie elf und nicht mehr »nur« zehn Jahre alt, wie sie nicht müde wurde zu betonen.

      Ruths Herz machte einen Sprung, und sie musste eine Träne unterdrücken, als die Musik begann. Mehr schlecht als recht fügten sich die einzelnen Instrumente zu einem Lied zusammen. Doch es war ihr völlig egal, ihr Blick war allein auf das kleine Mädchen gerichtet. Auch die beiden Jungs neben ihr, die Emily um gut einen Kopf überragten und auf ihre Gesangseinlage warteten, ignorierte sie.

      Das Lied hatte die Einleitung hinter sich gelassen, die Sänger stimmten ein. Irgendetwas Patriotisches rund