Heilbuch der Schamanen. Felix R. Paturi

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Название Heilbuch der Schamanen
Автор произведения Felix R. Paturi
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783946433460



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fühlt oder ein religiöses Erlebnis hat. Üblicherweise geschieht das von selbst, nicht vorsätzlich, willentlich und gesteuert. Kein Mensch kann beschließen, sich zu erschrecken oder plötzlich Liebe zu empfinden.

      Dass man heute von indianischem, schwarzafrikanischem, australischem oder europäischem Schamanismus spricht, ist ein Kennzeichen für seine weltweite Verbreitung. Praktisch alle Schamanen auf der Welt setzen im Prinzip gleichartige Techniken ein, selbst wenn sich ihre Rituale oft stark voneinander unterscheiden.

      Ein Selbstexperiment zur Seelenarbeit

      Ein ganz einfaches Experiment soll verdeutlichen, wie bewusste Seelenarbeit jedem von uns möglich ist:

       Bitte denken Sie einmal an etwas, das Sie sehr, sehr lieb haben. Das kann ein bestimmter Mensch sein, vielleicht auch eine Landschaft, ein für Sie bedeutsames religiöses Symbol oder der Gegenstand Ihres Hobbys. Ich selbst wählte für dieses Experiment einmal Soldanellen, jene hauchfeinen Alpenglöckchen, die für mich die unbändige Kraft des Lebens verkörpern. Gleichsam über Nacht drängen sie auf dem ersten winzigen schneefreien Fleckchen zwischen Eis und Schnee hervor und trotzen auch strengsten Nachtfrösten.

       Wenn Sie eine Wahl getroffen haben, schließen Sie Ihre Augen, entspannen sich einen Augenblick, atmen ruhig aus und danach gleichmäßig weiter und sagen sich leise: »Ich liebe Soldanellen. Ich liebe Soldanellen.«

       Achten Sie dabei auf Ihren Körper: Wie fühlt sich die Atmung an? Welche Bewegungen vollzieht Ihr Zwerchfell? Wie empfinden Sie Ihre Gesichtszüge?

       Nach einigen Minuten wiederholen Sie das Experiment, diesmal aber mit der Formulierung: »Ich hasse Soldanellen! Ich hasse Soldanellen!«

       Spüren Sie den Unterschied in Ihren körperlichen Empfindungen? Dies ist die Wirkung Ihrer Seelenarbeit. Ihre Seele wehrt sich gegen die unmögliche Behauptung. Und Ihr Körper zeigt das ganz deutlich an, wenn Sie es denn zulassen.

      Heute ist der Begriff »Neoschamanismus« in der westlichen Welt gebräuchlich. Darunter ist jedoch keine Ethno-Modewelle zu verstehen, sondern vielmehr eine zeitgemäße Globalisierung schamanischer Techniken aus allen Zeiten und Kulturkreisen.

      Nahezu ein Jahrhundert lang haben Ethnologen das Phänomen des Schamanismus bei Naturvölkern mehr oder weniger argwöhnisch und überheblich betrachtet. Ebenso distanziert fiel ihre Berichterstattung darüber aus.

       In der Fachsprache nennt man diese Vorgehensweise eine phänomenologische Beschreibung. Sie umfasst lediglich das äußerlich Wahrnehmbare einer Sache, weshalb sie bisweilen weit an deren wahrem Kern vorbeigehen kann. Man kann sich dies so vorstellen, als beschriebe man von einer ungeöffneten Schatztruhe lediglich die äußere Form. Diese mag rostig, vielleicht auch angefault und modrig aussehen. Ein Anblick, der die Aussage ihres Besitzers über ihren unbezahlbaren Wert höchst fragwürdig erscheinen lässt.

       Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verspürte daher kaum ein Ethnologe den unbändigen Drang, ernsthaft selbst Schamanismus zu praktizieren. Den einen galt er als gotteslästerlicher Aberglaube, den anderen als primitiver, unwissenschaftlicher Nonsens, den man unmöglich ernst nehmen konnte.

      Südamerikanische Indianer weisen den Weg

      Die Wende trat in den Jahren 1956/57 ein. Der amerikanische Ethnologe Michael Harner begegnete im Zug seiner Feldarbeit im Urwald von Ecuador am Ostfuß der Anden Schamanen der Jivaro-Indianer. Als er vier Jahre später am oberen Amazonas die Conibo-Indianer besuchte und erneut mit schamanischen Praktiken konfrontiert wurde, begann ihn das Thema ernsthaft zu interessieren.

      Ein Selbstexperiment mit Folgen

      Harner nahm das Angebot der Conibos an, ihn in die schamanische Praxis einzuführen. Dazu verabreichten sie ihm ein hoch konzentriertes Ayahuasca-Gebräu, den Absud einer Urwaldliane, eine der wirksamsten halluzinogenen Drogen. Der Wissenschaftler geriet daraufhin in eine Tieftrance. Wahrscheinlich hätte er seine Erfahrung als Drogenrausch abgetan, wenn ihm nicht tags darauf ein blinder alter Schamane seine Tranceerlebnisse genau geschildert hätte.

       Eine ähnliche Erfahrung machte Harner 1964 bei einem erneuten Besuch der Jívaro-Indianer. Nach dem Genuss eines halluzinogenen Datura-Getränks sah er u. a. kleine, rote, grinsende Dämonenfratzen. Später zeigte ihm ein Missionar prähistorische Tonscherben, die mit fast identischen Figuren verziert waren, wie er sie in seiner Vision erblickt hatte.

      Der Gebrauch halluzinogener Drogen ist vor allem bei den Indianern in Süd- und Mittelamerika verbreitetet.

      Die Entstehung des »Core Shamanism«

      Diese Erlebnisse veranlassten den Ethnologen, sich ausschließlich dem Forschungsgebiet des Schamanismus zu widmen.

       Bei den Schamanen der Wintun- und Pomo-Indianer in Kalifornien, den Küsten-Salish in Washington und den Lakota-Sioux in South Dakota lernte er, wie man auch ohne Gebrauch halluzinogener Drogen schamanisch arbeiten kann. Auffällig war und ist, dass sich die Praktiken der Schamanen bei verschiedenen Stammesvölkern in aller Welt zwar äußerlich in vielem voneinander unterscheiden, dass allen aber auch bestimmte Techniken gemein sind. Auch gleichen die Erlebnisräume auf schamanischen »Trancereisen« einander weitgehend.

       Die gemeinsamen Elemente fasste Michael Harner als »Core Shamanism«, zu Deutsch »Kernschamanismus«, zusammen.

      Schamanen gibt es bei allen Stammesvölkern der Welt: bei den Eskimos ebenso wie bei den Indianern, in Schwarzafrika, Ozeanien und Australien, in ganz Asien, Nord- und Südosteuropa sowie bei der japanischen Urbevölkerung, den Ainu.

      Die Foundation for Shamanic Studies

      Harner leitet heute die bedeutende, international wirkende Foundation for Shamanic Studies, die u. a. von der Rockefeller- Stiftung unterstützt wird. In Zusammenarbeit mit der berühmten Moskauer Lomonossow-Universität brachte sie wichtige Forschungsprojekte mit Stammesschamanen in der Mongolei und in Sibirien in Gang. Harner und zahlreiche seiner Schüler unterrichten den von stammesspezifischen Vorstellungen und Ritualen weitgehend befreiten Schamanismus in vielen Teilen der Welt.

      Der schamanische Bewusstseinszustand

      Um uns dem Phänomen des schamanischen Bewusstseinszustands zu nähern, eignet sich ein Beispiel aus der modernen Alltagswelt: die so genannte Autobahnhypnose.

       In diesem Zusammenhang berichten die Akten der ADAC-Verkehrspsychologen in einem Fall von einem Autofahrer, der abends auf der kaum befahrenen Autobahn ohne ersichtlichen Grund plötzlich eine Vollbremsung vollführte und damit einen schweren Verkehrsunfall verursachte. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung beteuerte er, vor seinem Wagen sei eine Kuh quer über die Fahrbahn gelaufen. Hätte er nicht scharf gebremst, wäre er unvermeidlich mit ihr zusammengestoßen. Sein Gegner bezeichnete das als bizarre Schutzbehauptung. Von einer Kuh sei weit und breit nichts zu sehen gewesen.

       Dennoch glaubte der Verkehrsrichter, gestützt auf die Begründung der Experten, den Beteuerungen des Angeklagten. Verkehrspsychologen sind solche Fälle längst nicht mehr neu.

      Im Gehirn des Autofahrers können besondere Sinneseindrücke einen tranceartigen Zustand hervorrufen, für den allerdings der Begriff »Hypnose« bei weitem übertrieben ist. Schließlich kann der Fahrer sein Auto noch ganz bewusst lenken.

      Ein rätselhaftes Phänomen

      Ein ähnlicher Unfall ereignete sich, weil ein Autofahrer bei Einbruch der Dämmerung drei Elefanten die Autobahn überqueren sah, die selbstverständlich nur in seiner Vorstellung existierten. Der Mann am Steuer ging davon aus, die Tiere seien aus einem Wanderzirkus in der Nähe ausgebrochen.

       Noch spektakulärer mutet in diesem Zusammenhang die Aussage eines Fahrers an, vor ihm wäre, etwa einen Meter über dem Boden,