Heilbuch der Schamanen. Felix R. Paturi

Читать онлайн.
Название Heilbuch der Schamanen
Автор произведения Felix R. Paturi
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783946433460



Скачать книгу

dass manche Komapatienten aus jener »anderen Welt« wieder zurückgeholt werden. Und - das ist das Erstaunliche - die meisten dieser Nahtodespatienten berichten anschließend, befragt auf ihre Gedanken und Erlebnisse während ihrer Bewusstlosigkeit, von ähnlichen Erfahrungen wie die, die von Ritter Owein oder Jesus Christus überliefert sind. Sie alle gelangten durch eine Art dunkle Röhre oder einen ähnlichen Eingang in eine »untere« oder in eine »obere« Welt, oft sogar in beide nacheinander.

      Das Erlebnis des »schamanischen Todes«

      Vernunftbetonte, aufgeklärte Menschen mögen bei diesen wundersam anmutenden Berichten ungläubig den Kopf schütteln. Einen Schamanen hingegen werden sie nicht im mindesten aus der Fassung bringen. Schließlich sind ihm diese Erfahrungen bestens vertraut.

       Alle Menschen, die in unseren Beispielen genannt wurden, Owein, Christus sowie die Patienten, die aus einem Koma wiedererwachten und gesundeten, haben tatsächlich eine gemeinsame Erfahrung: den an Leib und Seele erlebten »schamanischen Tod«. Den beschriebenen Reisen in die untere und die obere Welt kam dabei »nur« die Bedeutung eines begleitenden, wenngleich höchst lehrreichen Szenarios zu. In den meisten Fällen änderte dieses tiefe Erlebnis das spätere Leben und die Lebensweise dieser Menschen sehr drastisch. Nicht selten handelten sie verantwortungsbewusster sich und anderen gegenüber, vertraten eine höhere Moral und Ethik als in ihrem früheren Leben; und nicht wenige fanden erst durch dieses einschneidende Ereignis zu einer tiefen Religiosität.

       Das Entscheidende an dieser Erfahrung war der eigene Tod an sich, den die Betroffenen erlebten, also die als wirklich erlebte Vernichtung des Ich. Auf diesen Aspekt werde ich an anderer Stelle noch genauer eingehen.

      Menschen, die den Tod geschaut haben, verlieren die Angst vor dem Sterben. Möglicherweise ist es diese neue Freiheit, die sie anders leben lässt.

      Spirituelle Reisen ins Jenseits sind jedem Menschen, der sich mit Mystik beschäftigt, vertraut. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich dabei um einen Schamanen, Christen oder Andersgläubigen handelt. So ist auch von Mohammed, dem großen Propheten des Islam, zumindest eine spirituelle Reise bekannt, die uns überliefert ist.

       Auf einem weißen, geflügelten Ross ritt er eines Nachts von der Kaaba in Mekka aus zunächst nach Jerusalem und von dort weiter durch Hölle und Himmel. Für ihn selbst war diese »Nachtfahrt «, nach der die 17. Sure des Korans benannt ist, wirklich. Und das steht auch in keinem Widerspruch zu den Beteuerungen seine Gattin, er habe die ganze Nacht auf den 17. Rabî'al-awwal im Jahre vor der Auswanderung nach Medina, zu Hause in seinem Bett verbracht.

      Die Wiederhol- und Reproduzierbarkeit der Reisen

      Es gibt eben in der Mystik wie im Schamanismus, die sich beide ohnehin weitgehend überschneiden, verschiedene Realitätsebenen. In ihrem Wirklichkeitsanspruch sind sie gleichberechtigt. Wie real schamanische Reisen in einer ganz anderen Hinsicht sind, belegt auch ihre Wiederhol- und Reproduzierbarkeit. Zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen erlebten und erleben Schamanen auf ihren Reisen grundsätzlich Gleichartiges, wie in den obigen Beispielen beschrieben.

       Es gibt tatsächlich eine ganz Reihe von Bereichen, die früher oder später jeder schamanisch arbeitende Mensch kennen lernt: die untere Welt, die obere Welt, das große Nichts, die Höhle der verlorenen Kinder, das Grenzgewässer zum Reich der toten Seelen (das in zahlreichen Mythologien eine dominierende Rolle spielt), eine weite, ruhige grüne Tallandschaft und noch unzählige andere Welten.

       Die Übereinstimmungen dieser Szenarien sind derart augenfällig, dass sich Michael Harner's Foundation of Shamanic Studies in einem wissenschaftlichen Großprojekt daran wagte, Zehntausende von Reiseberichten auf verwandte Bilder zu untersuchen, um eine »Kartografie der nicht alltäglichen Realität« zu erarbeiten.

      Jung definierte das transpersonale Unbewusste als »die geistige Erbmasse der Menschheitsentwicklung«. Ausdruck dieser Gemeinsamkeit sind nach Jung die so genannten Archetypen (Urbilder), die - unabhängig von Kultur und Zeitalter - in Träumen, religiösen Symbolen, Mythen und Märchen auf tauchen.

      Subjektive Empfindungen und objektive Wirklichkeit

      Wer solche nicht alltäglichen Szenarien das erste Mal als erwachsener Mensch bereist, ist danach im Allgemeinen sehr erstaunt und hält das subjektiv Erlebte für Früchte seiner eigenen Phantasie. Doch schon in einem schamanischen Basisseminar mit etwa zehn Personen lassen sich interessante Vergleiche ziehen. Bei allen Teilnehmern, die diese Räume erstmals betreten haben, ergeben sich erstaunlich viele Übereinstimmungen - auch im Vergleich mit »Reiseberichten« von Stammesschamanen aus uns fremden Kulturen.

      Das überpersönliche Unbewusste C.G. Jungs

      Der Psychologe Carl Gustav Jung (1875-1961), dessen Arbeiten nicht nur stark auf die Psychotherapie sondern daneben auch auf die Religions- und Mythenforschung sowie die Ethnologie wirkten, prägte nicht von ungefähr den Begriff des transpersonalen Unbewussten. Er hatte selbst durch tibetisch inspirierte Meditationsübungen und im Zug seiner Forschungsarbeiten zum Sinnzusammenhang von Natur und Seele erfahren, dass Erlebnisse in nicht alltäglichen Realitätsräumen weit über die eigene Phantasie und über das eigene Unbewusste hinausführen können.

       Diese Erfahrungsräume erscheinen uns zwar zunächst fremdartig, sind aber trotzdem wirklich und objektiv. Solche Bereiche bezeichnete Jung als transpersonal, über die persönliche Erfahrung, das Unbewusste und die subjektiv empfundene Wirklichkeit hinausgehend.

      Wollen wir uns heute dem Schamanismus praktisch nähern, dann können wir uns die gesammelten Erfahrungen der in früheren Zeiten und heute praktizierenden Schamanen zunutze machen. Das ist von großem Vorteil. Schließlich zeigen uns diese Erlebnisse, wohin wir reisen können und was uns dort erwartet, ohne Schaden zu nehmen.

       Für die europäischen Seefahrer und Eroberer des 15. und 16. Jahrhunderts beispielsweise war es weitaus schwerer und risikobehafteter, in ferne Länder wie das unbekannte Amerika, Südafrika, in arktische Gewässer oder nach Südostasien zu gelangen, als später für ihre Kinder und Kindeskinder. Schließlich mussten die Pioniere ihre Zielhäfen erst einmal entdecken und dafür eine mühevolle Reise ins Ungewisse mit Gefahren für Leib und Leben auf sich nehmen.

       Auf den Schamanismus übertragen, bedeutet dies: Wenn man vor Antritt einer spirituellen Reise weiß, wo das Ziel liegt und was einen dort erwartet, wird das Reisen leichter, und man benötigt nur noch einen Bruchteil der Vorbereitungen.

      In der nordischen Mythologie nimmt der Weltenbaum, die Weltesche Yggdrasil, ebenfalls eine zentrale Stellung ein. Die Weltesche breitet ihre Äste über das All, und ihre Wurzeln sind die Quellen der Weisheit und des Schicksals.

      Die viergeteilte Welt

      Was genau erwartet uns nun auf unserer schamanischen Reise? Dazu möchte ich mit wenigen Strichen ein Bild der schamanischen Kosmologie skizzieren.

       Der Schamane versteht die Welt als viergeteilt. Es gibt eine untere Welt, die Religionen wie das Christentum oder der Islam als Hölle »umfunktioniert« haben. Und es existiert eine obere Welt, die Christen und Moslems in ihren Überlieferungen als Himmel bewerten. Auch die Naturvölker kennen eine untere und obere Welt, nur fehlt die auf Belohnung und Strafe, Gut und Böse zielende Wertung. Die eine Welt ist nicht schlechter oder besser als die andere. Beide sind notwendig und lediglich verschieden in ihrer Art und Darstellung.

       Vergleichen wir dies einmal mit einem pflanzlichen Lebewesen. Ein Baum benötigt mehrere Faktoren, wie etwa Erde und Luft, zum Leben und Gedeihen. In vielen Kulturkreisen ist er daher auch ein zentrales Symbol für die schamanischen Wirklichkeitsbereiche. Und damit wird er zum Weltenbaum, dessen Wurzeln den Erdmittelpunkt erreichen und dessen Krone bis in den Himmel ragt.

      Die mittlere