Die Zeit auf alten Uhren. Gerhard Köpf

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Название Die Zeit auf alten Uhren
Автор произведения Gerhard Köpf
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783874682923



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Während sie den Kessel heizt und die Lauge umrührt mit dem seifenbleichen Holz, sagt sie immer häufiger: Wir Wiener Weiber wollen weiße Wäsche waschen, wenn wir wüssten, wo warmes Wasser wär. Fein sein, beinander bleib'n. Das summt sie dazwischen. Fein sein, wenn wir wüssten, wo warmes Wasser. Zeigt her eure Füßchen. Zeigt her eure Schuh. Wir schauen den fleißigen Waschfrauen zu. Aber der Gestank der Fußlappen widersteht Walburg trotzdem. Da hilft alles fein sein, beinander bleib'n nichts. Da helfen die Wiener Weiber nichts und nichts die fleißigen Waschfrauen. Die Fußlappen stinken. Die Unterhosen seicheln. Die Unterhemden schweißeln. Die Oberhemden müffeln. Manche Hosen sind vorne gelb und starr vor Urin. Aber das Häuschen muss gebaut werden. Die Kinder sollen es einmal besser haben. Eine Küche und eine gute Stube, ein Schlafzimmer und ein Zimmer für die Söhne, die sich ihren Anteil erarbeiten müssen: mit und ohne das Bedienungsgeld der leichten Frieda mit ihrem Mieder, an dem immer ein Knopf zu wenig geschlossen ist.

      Wenn wir wüssten wo warmes Wasser wär. Das kalte Wasser kommt zuerst in den großen Kessel. Dort wird es zum Kochen gebracht. Die Lauge wird in kleinere Schäffchen umgefüllt: kübelweise. Ein Schäffchen für die Unterhosen, ein Schäffchen für die Fußlappen, ein Schäffchen zum Spülen. Die Lauge im Schäffchen für die Fußlappen muss besonders heiß sein, weil die Fußlappen des Reichsarbeitsdienstes besonders stinken. Jedes Schäffchen steht auf einem hölzernen Bock, der aussieht wie ein Kreuz. .Jedes Schäffchen hat links und rechts einen über den Rand hinausstehenden hölzernen Griff. Jedes Schäffchen enthält kochend heiße Lauge. Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein. Kübelweise gießt Walburg aus dem Kessel die Lauge in die Schäffchen. An manchen Tagen ist der Gestank der schmutzigen Wäsche unerträglich. Schon in der Früh kann die Walburg nichts essen, weil ihr sofort alles widersteht. Als sei sie in anderen Umständen. Ihr ist, als liegen da keine Milchbrocken in der Schüssel, sondern die Fußlappen des Reichsarbeitsdienstes.

      Da zaubert mir meine Tante Mirtel mit ihren Rauchwolken ein neues Bild. Wieder sehe ich Walburg. Sie trägt eine Wickelschürze, steht barfuß in Holzpantoffeln in der Waschküche. Sie verteilt die Schäffchen rund um den Kessel. Sie heizt den Kessel. Kübelweise schüttet sie die siedend heiße Lauge in die einzelnen Schäffchen. Der Lkw des Reichsarbeitsdienstes fährt vor. Zwei Männer springen von der Ladefläche, zwei Männer laden ab: körbeweise Fußlappen, körbeweise Unterhosen, körbeweise Hemden. Singend tragen die Männer die Körbe in Walburgs Waschküche. Die Reihen dicht geschlossen. Und noch einen Korb. Blüht ein Blümelein. Und das heißt. Noch einen Korb und noch einen. Eeerika. Schon widersteht es der Walburg. Schon springen die Männer auf den Lkw zurück, schon biegt er aus dem Hof. Stein auf Stein. Das Häuschen wird bald fertig sein. Die Holzpantinen klopfen. Schritt für Schritt. Und die erste und die zweite Hypothek. Zeigt her eure Füßchen, singen die Holzpantinen, zeigt her eure Schuh, wir schauen den fleißigen. Wir Wiener Weiber. Wenn wir wüssten.

      Nur ganz leicht drehen sich die Rauchkringel des Zigarillos meiner Tante Mirtel. Und nur ganz zufällig wickelt sich die Wickelschürze nicht um Walburg, um die sie schon gewickelt ist größtenteils, nur ganz beiläufig ist da noch ein Stück Wickelschürze ohne Beschäftigung, nur ganz nebenher entdeckt dieses sich langweilende Stück Wickelschürze, nur ganz nebenbei und beiläufig und zufällig und ohne Absicht und ohne, ganz und gar ohne an etwas Böses zu denken wickelt sich ein Stück Wickelschürze um eine Entdeckung. Diese Entdeckung für die Wickelschürze heißt Holzgriff. Der Holzgriff gehört einem Waschschaff. Das Waschschaff steht auf einem Holzbock. Der Holzbock sieht aus wie ein Kreuz. Der du für uns das schwere Kreuz getragen hast. Die Wickelschürze wickelt sich. Sie wickelt sich eins, zwei, drei um einen Holzgriff eines Waschschaffs. In dem Waschschaff auf dem Holzbock schwimmt Lauge. Die Lauge ist für die Fußlappen des Reichsarbeitsdienstes. Die Fußlappen stinken. Der Walburg ist schon wieder schlecht. Weil die Fußlappen stinken, muss die Lauge kochen. Ergo: In dem Waschschaff auf dem Holzbock, der du für uns das schwere Kreuz, schwimmt siedend heiße, kochend heiße Lauge. Selbstverständlich für die Fußlappen. Selbstverständlich gegen den Gestank der Fußlappen. Die Wickelschürze wickelt sich um den Holzgriff. Sie hält ihn fest, denn ein Griff ist dazu da, um festgehalten zu werden oder um beim Wegtragen des Waschschaffes behilflich zu sein, ganz unabhängig davon, ob das Waschschaff mit heißer Lauge oder mit kaltem Wasser oder überhaupt nicht gefüllt ist. Die Wickelschürze besteht auf dem Wickeln und auf dem Wegtragen, der Holzgriff verhält sich so, wie sich ein Holzgriff verhält.

      Meine Tante hält inne, nimmt einen guten Zug von ihrem Zigarillo, drückt den Tabak ein wenig nach, prüft gerade die Glut, als die Holzpantinen, in denen Walburg barfuß geht, feststellen: Hoppla, da ist ja Schmierseife auf dem Waschküchenboden. Die Holzpantinen erkennen, dass da Schmierseifenlauge auf den Boden gespritzt sein muss: womöglich beim Umfüllen der Lauge aus dem großen Kessel in die kleineren Schäffchen, die alle auf einem Holzbock stehen, der du für uns das schwere Kreuz. Die Holzpantinen vertragen sich nicht mit der Schmierseife. Die Zehen von Walburg versuchen, sich in die Sohle der Holzpantinen zu graben. Aber das Holz gibt nicht nach. Es hat nur die Schmierseife im Sinn unter sich auf dem Boden der Waschküche, während die Wickelschürze weiter nichts im Kopf hat, als sich um den Holzgriff des Waschschaffes zu wickeln, in dem die heiße Lauge schwimmt für die Fußlappen des Reichsarbeitsdienstes. Während sich das eine wickelt und während das andere sich noch wundert über das, was unter der Sohle glitscht, meldet sich Walburgs Magen. Er sagt zuerst noch: Fein sein, beinander bleib'n, er singt zuerst noch: Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh, er bricht sich zuerst noch die Zunge: Wir Wiener Weiber wollen weiße Wäsche waschen wenn wir wüssten. Aber dann weiß er nicht mehr weiter. Er weiß nicht mehr weiter, weil er sich umdreht. Aber damit konnte die Wickelschürze natürlich nicht rechnen. Wer denkt auch schon in dem Augenblick, in dem man sich um den Holzgriff eines Waschschäffchens mit heißer Lauge wickelt, daran, dass es einem Magen, also dem Magen der Wäscherin einfallen könnte, sich auch einmal umzudrehen? Wer kann damit rechnen? Weder die Wickelschürze kann damit rechnen noch die Holzpantinen, die sich nie für die Wickelschürze interessiert haben, sondern immer nur für den Waschküchenboden, so wie sich die Wickelschürze nie für die Holzpantinen oder den Waschküchenboden interessiert hat, ganz egal, ob Schmierseifenlauge ausgeschüttet worden ist oder nicht, Holzpantinen und Wickelschürze haben definitiv nichts miteinander zu tun. Sie haben verschiedene Interessen, die erst zusammenkommen, wenn sich ein Magen umdrehen will. Warum will sich der Magen umdrehen? Hält er es auf der einen Seite nicht mehr aus? Hat das etwas zu tun mit den Fußlappen des Reichsarbeitsdienstes?

      Da greifen auf einmal Hände ins Leere. Was sind das für Hände, und wem gehören sie? Die Hände gehören Walburg, und plötzlich sehe ich: Das sind Hände, wie geschaffen für eine Geige. Täusche ich mich auch nicht? Machen mir da nicht die Finger bloß etwas vor? Die Hände greifen. Aber es ist keine Geige da. Nicht einmal ein Wäscheseil ist gespannt. Es ist überhaupt nichts in der Luft. Außer einem ganz bestimmten Geruch. Einem Reichsarbeitsdienstgeruch. Einem Lagergeruch. Stein auf Stein. Das Häuschen wird bald fertig sein. Wir Wiener Weiber. Wenn wir doch bloß wüssten. Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh. Aber die Schuh haben den Kopf ganz woanders. Sie haben ihn bei der Schmierseifenlauge auf dem Boden der Waschküche. Die Wickelschürze wickelt und lässt nicht mehr los. Ein Griff ist ein Griff ist ein Griff. Eine Lauge ist eine Lauge ist eine Lauge. Sie ist heiß. Sie ist siedend heiß. Sie ist kochend heiß. Der Griff gehorcht. Er tut, was die Wickelschürze verlangt. Die Holzpantinen fügen sich. Sie tun, was die Schmierseife auf dem Fußboden der Waschküche verlangt. Der Magen gibt nach. Er tut, was die Walburg von ihm verlangt: Er dreht sich um. Während er sich umdreht, dreht sich auch noch etwas anderes. Das Waschschaff dreht sich, weil der Griff gehorcht. Genauer gesagt: Es neigt sich. Es neigt sich schräg vom Bock, während sich der Magen umdreht, zeigt her eure Füßchen, wenn wir wüssten, wo warmes Wasser. Warmes Wasser fließt. Kochendes Wasser fließt aus. Die Wickelschürze wickelt. Was sie einmal am Wickel hat, entwickelt sich nur so, wie sie es sich in den Kopf gesetzt hat. Der Magen dreht sich. Die Sohlen gleiten. Das Waschschaff neigt sich. Die heiße Brühe tritt über den Rand. Wo fließt sie hin?

      Die Kringel des Zigarillos meiner Tante Mirtel zeigen mir, wohin die Brühe fließt nach dem Gesetz der Schwerkraft und den goldenen Regeln der Mechanik. Während die Wickelschürze vermutet, die Lauge fließe auf die Holzpantinen, während die Holzpantinen mutmaßen, die Lauge fließe über die Wickelschürze, während der Magen wähnt,