Kleists Michael Kohlhaas. Berthold Wendt

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Название Kleists Michael Kohlhaas
Автор произведения Berthold Wendt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866746961



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gewaltlosen Sprachformen zur Darstellung bringen können. Damit wird implizit der ästhetischen Sprache vorgeworfen, dass sie nicht verklärt. Dennelers Charakterisierung der gewaltsamen Sprache gehorcht dann einem Schema von Anpassung, denn eine Sprache, die durch Monstrositäten nach dem Ausdruck des Ungeheuerlichen trachtet, erinnert mimetisch an Missstände, und nach dem Schema von Identifikation und Projektion wird, wer an Missstände erinnert, persönlich für sie verantwortlich gemacht und/oder als Defätist beschimpft. Weil er den kollektiven falschen Schein durchschlägt, gilt er als Verursacher des Übels, dem er jedoch nur den richtigen Namen gibt, d. h. ihn in passende Sprache setzt. Damit wird dann nicht nur das Leiden, sondern selbst noch sein sprachlicher Ausdruck verdrängt. An der disziplinierenden Struktur dieser Argumentationsweise ändert gewiss auch nichts, dass Denneler anscheinend die von ihr analysierte Gewaltsamkeit als Kritik bürgerlicher Vernunft gutheißt.

      Ebenso anregend wie irreführend ist im Kontext dieser Gewaltproblematik der auch von Denneler zitierte Aufsatz von K.-H. Bohrer Stil ist frappierend. Über Gewalt als ästhetisches Verfahren.63 Anregend ist sein Bemühen, die Frage literarischer Gewaltdarstellung aus dem Bann plumper Stofflichkeit zu befreien; irreführend, dass sein begriffliches Instrumentarium es ihm ermöglicht, die poetische Gewaltdarstellung grundsätzlich als partielles Formelement gegen den Handlungsverlauf zu isolieren. So kommt er zu einem Begriff der »Gewaltphantasien«, der changiert zwischen poetisch-künstlerischer Stilisation und realer Gewalt. Aus zwei Argumenten gewinnt Bohrer seine These: a) zum einen sei jedes Kunstwerk gewalttätig durch seine formbedingte Selektion, so dass sich »hier eine spezifische Formentscheidung oder spezifische Redeform vom prallen Leben selbst gewissermaßen abschneidet.«64 b) Ein in seiner Wirksamkeit auf den Rezipienten metaphorisch als »frappierend« (zustoßend) bezeichneter Stil, der »etwas mit einer Pointe, also mit einer Spitze zu tun hat«65, sei seinem rhetorischen Modus nach gewaltsam. Der »Präsenscharakter literarischer Phantasie«66 sei aggressiv.

      An a) ist nicht die Einsicht selbst, sondern ihre undialektische Verkürzung zu kritisieren, die gerade an Bohrers Beleg deutlich wird: »[…], dass in diesem buchstäblichen Abschneiden [dies ist eine unzulässig suggestive Entmetaphorisierung, B. W.] vom Ganzen eine Vereinzelung, ja Verletzung gegenüber dem Ganzen auftritt, die es in der normalen Rede oder konventionell wissenschaftlichen Rede nicht oder nur selten gibt.«67 Normale Rede hat es mit isolierten Fakten zu tun und Einzelwissenschaften kümmern sich in der Regel auch nicht um das Ganze. Dagegen ist es gerade die Fähigkeit und Aufgabe der Kunst, das gesellschaftliche Ganze am Einzelnen durchscheinen zu lassen, wie es in meiner Kohlhaas-Interpretation extrapoliert wird. Kunst arbeitet mit Verdichtung, Intensivierung und Konzentration, gegen die sich die Rede vom »prallen Leben« als Euphemismus ausnimmt. Dass bei Baudelaire das pralle Leben als Ennui (Langeweile) erkannt, diesem die künstlichen Paradiese gegenübergestellt und zugleich als Lüge durchschaut werden, macht die Dialektik aus, auf deren Grundlage das poetische Subjekt auf die Selbstzerfleischung im Medium seiner künstlerischen Imagination reflektiert. Kafka, auf den sich Bohrer als zweiten Belegautor bezieht, schließt an Baudelaire an und auf ihn wäre Bohrers Analyse zutreffend, löste er nicht irrationalistisch die von Kafka als einem bewussten Künstler durchdachte parabolische Leistung ästhetischer Selbstreflexion vom »künstlerischen Ich« ab und spräche dagegen von »einer Idee vom kreativen Prozess. Der aber ist als ein unbewusster Vorgang aufgefasst, nicht integrierbar in die humanitäre Diskursidee des Künstlers«68. Bohrers These gilt aber schon gar nicht für Kleist, bei dem die Ohnmacht des Subjekts und die der Kunst noch über die Handlung reflektiert werden, zu deren Ausdruck die Sprache noch ganz dient. Dass dem Kleist’schen Ausdruck als Moment des Erhabenen ein Gewaltsames eignet, ist unbestritten, aber als Privatisierung der, wie sich Th. Mann äußerte, »dramatische[n] Ur-Erschütterung«69 muss es gelten, wenn Bohrer hier einzig einen infantil anmutenden Stilwillen des Weh-tuns als Selbstzweck entdecken will: »Man gewinnt an solchen zentralen Stellen den Eindruck, dass nicht nur der Held dem Widersacher ›weh-tun‹ will mit nachhaltiger Grausamkeit, sondern dass dies weh tun Wollen das Ausdrucksgesetz von Kleists eigenem Stil ist.«70 Weder bei Kleist noch bei Kafka findet sich ein »Stil der Gewalt«, der »immer auf einen in sich selbst enigmatisch-wilden Vorgang bezogen«71 ist, in dem sich von Bohrer zum Selbstzweck erklärte Gewaltphantasien austoben.

      Ralf Schnell72 wirft, ausgehend von der kurzen Episode von Kohlhaasens Selbstinszenierung als provisorisch weltregierender Souverän, einen Blick auf die autoritäre Seite am Erhabenen. Denn er entdeckt am Synkretismus der Requisiten, mit denen sich Kohlhaas kostümiert (II, 43 f.), einen Grundzug, der ebenso der faschistischen Inszenierung der totalitären Macht innewohnt. »In den choreographierten Massenveranstaltungen zumal der Reichsparteitage findet der nationalsozialistische Erhabenheitsgestus seine Identität. […]. Im Kontext eines Rituals also, das zahlreiche Mythen zu einem erhabenen Bild ästhetisierter Politik integriert. […]. Der Bezug zur synkretistischen Emblematik des Kohlhaas’schen Erhabenheitsgestus ist evident.«73 Schnell begründet diesen Synkretismus aus »dem Mangel an gewachsenen und verbürgten Traditionen«74 und sieht in »Kohlhaas’ ›Aufzug‹ […] offenbar eine Überbietung der plakatierten Selbstermächtigungsrhetorik.«75 Nicht der Charakterisierung, die Schnell hier gibt, muss in meiner Arbeit widersprochen werden, sondern ihrer Deutung. Wenn man nämlich diesen »Aktionshöhepunkt«76 im Kontext des Formverlaufs betrachtet, dann gewinnt die Bestimmung der »Überbietung« die Ausdruckskraft verzweifelter Selbstüberforderung, die zeigt, dass der Höhepunkt schon in einem prekär werdenden Maß überschritten ist. Was im Faschismus Mittel angekurbelter Manipulation ist, ist im Handlungsverlauf des Michael Kohlhaas Ausdruck des zum Zerreißen angespannten Widerspruchs zwischen dem sich als autonom behauptenden dramatischen Subjekt und der Mittel, deren es sich dabei bedienen muss. Ralf Schnell sieht dies nicht, weil er Kohlhaas kurzweg als sich »rächende[n] Verbrecher«77 bezeichnet, ihm einen von jedem vernünftigen Inhalt befreiten »Willen zur Macht«78 unterstellt, der ihn dann allerdings in die Nähe derer rückt, die »das Prinzip der Herrschaft unmittelbar proklamiert«79 haben. Wenn Schnell in der ästhetischen Dimension seines Aufsatzes den Kohlhaas »zu einem nachkantischen Repräsentanten des Erhabenen«80 erklärt, so nimmt meine Arbeit dazu Stellung, dass sich das Erhabene im Kohlhaas nicht in der Vorwegnahme »signifikante[r] Strukturmerkmale nationalsozialistischer Erhabenheitsszenarien«81 erschöpft. Außerdem bleibt die Frage offen, ob die geschichtsphilosophische Entwicklung des Kant’schen Erhabenen im faschistischen Machtkultus kulminieren muss, wie es Schnells Aufsatz nahelegt. Da er selbst zunächst von der vorkantischen Definition des Erhabenen bei Edmund Burke ausgeht, die den Schrecken und den Schmerz als Quelle des Erhabenen bestimmt und damit als das, »was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist«82, so ist darin wirkungsästhetisch verkürzt das Erhabene, im Kontrast zu Kants Bestimmung83, von jedem Vernunftinhalt abgelöst. Die geschichtsphilosophische Begründung des Untergangs des Kant’schen Erhabenen aus »dem Mangel an gewachsenen und verbürgten Traditionen«84 verkennt, dass sich das Erhabene der antitraditionellen Moderne85 gerade an der Verbrauchtheit der tradierten Formen des harmonistischen Schönen entzündet. Der Übergang in ein Mittel des Herrschaftskultus erscheint aus Schnells Sicht als zwingend: »Das Erhabene vermag sich als ein Kantisch-Erhabenes, als ungebändigte, gefährliche Naturkraft, die auf den Betrachter per se wirkt, nicht länger zu legitimieren. Es besitzt als solche keine hinreichende Evidenz. Deshalb sucht es Stützung und Erweiterung durch eine politische Chiffrensprache, die sich über eine religiös inspirierte Kollektivsymbolik vermittelt.«86 Zwischen der Ästhetisierung der Politik und der genuin ästhetischen Entwicklung des Erhabenen wird bei Schnell nicht mehr explizit unterschieden.

      Dem Thema des Erhabenen bei Kleist hat Bernhard Greiner87 ein eigenes Buch gewidmet. Da sein Beitrag im Kapitel A 01-2 Über das Erhabene bei Kleist in meiner Arbeit ausführlich diskutiert wird, soll hier der Hinweis darauf genügen.

      In seiner Kohlhaas-Interpretation verschränkt Greiner neben der Parallelisierung der ästhetischen Begriffe Kants mit Elementen des Handlungsverlaufs der Kohlhaas-Erzählung im Wesentlichen zwei Gedanken: a) Kohlhaas’ Bestrebung ist es, zu versuchen, die »Idee ›Recht‹ in die empirische Welt zurückzuholen«88; und b) damit dies gelingen kann, muss sowohl Kohlhaas als auch das Erzählen selbst in die Selbstvernichtung getrieben werden89. Die Bestrebung a) hat zum Ziel, »die Idee ›Recht‹