Kleists Michael Kohlhaas. Berthold Wendt

Читать онлайн.
Название Kleists Michael Kohlhaas
Автор произведения Berthold Wendt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866746961



Скачать книгу

methodische Überlegungen schon unten bei der Begründung meines Forschungsansatzes Bezug genommen wird.

      Hamacher unterteilt seinen Überblick nach 1) einem einleitenden Problemaufriss in: 2) Textkritik und Quellenforschung; 3) Rechtsgeschichte; 4) Naturrecht und Gerechtigkeit; 5) Wertungsfragen: Protagonist, Erzähler und Leser; 6) methodische Neuansätze: Text und Geheimnis; und schließt 7) mit einem Fazit über Kontroversen und Perspektiven ab. Die ganz wertungsfrei vorgestellten Zusammenfassungen Hamachers müssen hier nicht inhaltlich wiederholt werden, sollen aber a) in ihrem Erkenntnisinteresse aus der Sichtweise meiner Arbeit kommentiert, b) um spätere Beiträge und c) Beiträge zu Schwerpunktthemen meiner Arbeit ergänzt werden.

      Zu 2) Textkritik und Quellenforschung gehört die Arbeit von Thomas Nehrlich: »Es hat mehr Sinn und Deutung, als du glaubst.« Zu Funktion und Bedeutung typographischer Textmerkmale in Kleists Prosa, Hildesheim 2012. Sie diskutiert zum einen die editorische Problematik veränderter typographischer Gepflogenheiten seit der autorisierten Ausgabe der Kleist’schen Erzählungen 1810/11. Zum anderen widmet sie sich – ebenfalls gründlich historisch differenzierend – ausführlich der Deutung typographischer Merkmale und Besonderheiten der Kleist’schen Verwendung von Druckschrift.

      Meine Interpretation stützt sich auf die von Kleist 1810/11 veröffentlichte vollständige Fassung der Erzählung. Ihre sorgfältige Rekonstruktion durch Helmut Sembdner (1977) wurde zugrunde gelegt und mit den neuesten Textausgaben abgeglichen4.

      Zu 3) Rechtsgeschichte sind mir keine neuen Beiträge bekannt. Das grundsätzliche Problem bei der Bewertung der Ergebnisse der rechtshistorischen Forschung zu Kleists Erzählung scheint mir zu sein, dass sich das Konstruktionsprinzip des Werkes den historischen Stoff in einer solchen Weise zueignet, dass der ihm zugrunde liegende Weltzustand nicht mit dem des historischen Hans Kohlhase identisch ist.5 Dies ist schon vor längerer Zeit an symptomatischen Anachronismen, etwa der erwähnten Hamburger Bank, nachgewiesen worden. Ganz offensichtlich ging es Kleist nicht um die detailgetreue, ›naturalistische‹ Rekonstruktion eines historischen Falls.6 Statt dessen finden sich durch das Stilisationsprinzip bedingte charakteristische Abänderungen der stofflichen Vorlage – bestehe sie nun in den bekannten Quellentexten von Hafftitz oder in Akteneinsicht7 – hinsichtlich des Handlungsverlaufs, der Personen, von Ort und Zeit und der allgemeinen Bestimmungen des Weltzustandes. Wie in meiner Arbeit am Text gezeigt wird, gehen insbesondere historische Forschungen in Richtung Fehde- oder Widerstandsrecht an den textimmanent vorgebrachten Begründungen der Handlungsmaximen vorbei. Eine Betrachtung der Mythisierung der Kohlhaas-Figur in terroristischem Zusammenhang betrifft eher einen wirkungsästhetischen Aspekt, den hinzuzuziehen und analytisch zu diskutieren mit meiner Arbeit nicht bezweckt wird8.

      In neuerer Zeit hat Johannes Süssmann in einem etwas versteckt veröffentlichten Kapitel9 über Michael Kohlhaas im Kontext des »literarischen Problems der Erzählung«10 das Verhältnis der Erzählung zum historischen Stoff herausgearbeitet. »Die historische Zurechnung des Dargestellten macht die Forschung blind für seine immanente Problemstellung. Denn in Kleists Text sind, […], beide Positionen gleich wichtig: die Achtung gebietende Staatsautorität wie das unveräußerliche Recht des Einzelnen. […] es [sind, B. W.] keine historischen Positionen, sondern dialektische.«11 Im Weiteren kann Süssmann nachweisen, dass sich Kleists konstruktiver Umgang mit den stofflichen Elementen nicht nur auf historische Ereignisse, sondern auch auf Personennamen, Ortsnamen und Schauplätze, Motive (etwa aus dem Fundus der Ritterromane) und literarische (Goethes Götz von Berlichingen) oder religiöse (Bibelreminiszenzen) Anspielungen erstreckt. Gerade aber gegenüber der sich zunehmend als quellentreu gebenden Erzählinstanz im Kohlhaas tun sich Widersprüche auf. Der Schein des Historiographischen gehört nach Süssmann zu Kleists »Doppelstrategie«12 als Autor: »Entschlossen, sein Dasein als freier Schriftsteller zu fristen, begibt Kleist sich mit seinen Erzähltexten auf einen verheißungsvollen Markt«13. Er habe dabei nicht den Kompromiss mit dem populären Geschmack an Ritterromanen gescheut. Die Widersprüche verweisen dagegen durch ihre Irritationen auf das eigentliche Erzählproblem: »Nur wer sie wahr- und ernstnimmt, dem zeigen sie sich nicht als Fehler des Autors, sondern als Hinweis darauf, was es mit dem behaupteten Quellenbezug auf sich hat.«14 Warum Kleist seiner Erzählung den Schein des Historischen gibt, obwohl sie doch keine Darstellung von Geschichte ist, beantwortet sich für Süssmann aus den politischen Implikationen der Erzählung. An Jochen Schmidt (2003) kritisch anschließend sieht er sie zunächst in reformfördernden Identifikationsangeboten angesichts der Irritationen durch die Französische Revolution: »Immer häufiger, immer bewusster geschah dies durch Appelle an eine landschaftlich, politisch und eben auch historisch, vor allem historisch bestimmte Identität. […]. So, will es scheinen, können Rebellionen aufgefangen werden. Von einer klugen Obrigkeit fruchtbar gemacht für Reformen, werden sie zum Motor der historischen Entwicklung.«15 Mit einer seltsamen Inkonsequenz geht Süssmann über Schmidt hinaus, denn »zu paradox erweist sich bei genauem Hinsehen das Beispiel, zu zweifelhaft eine Selbstüberwindung, die die übrig gebliebenen Rachewünsche erst richtig auszuagieren gestattet, zu fragwürdig eine Versöhnung, die Kohlhaas mit dem Leben bezahlt«16. Doch ausgerechnet, »dass ein Staat ihn ›als Unterthan reclamir[t]‹ (228), um […] ihn ernsthaft zur Rechenschaft zu ziehen, das wendet das Geschehen unverhofft in die Utopie. […]. Gemeint ist das Preußen nach den Reformen. Das ist die politische Dimension der Erzählung. Wie dieses Preußen aussehen soll, hält Kleist ihm im Michael Kohlhaas vor.«17 – Die Zweifel am Verhältnis von Konflikt und Versöhnung nimmt meine Dissertation ernster als Süssmann. Darum gewinnt auch der Kant’sche Begriff des ethischen Gemeinwesens als Bestimmung des Geschichtsziels gegen die Perspektiven der historischen Reformpolitik für sie an Bedeutung. Süssmann relativiert damit historisch seine eigene Interpretationsdimension: »Schließlich ist auch Kleists Gegenstand kein historischer, sondern aktuell, solange Staaten beanspruchen, die Konflikte ihrer Mitglieder auf dem Rechtsweg zu schlichten, solange sie ihre Mitglieder zwingen, auf Selbsthilfe zu verzichten, solange sie ihnen abverlangen, ihre Rechtsansprüche auf staatliche Organe zu übertragen, die dafür ein Gewaltmonopol reklamieren.«18

      In die historische ökonomische Dimension der Kohlhaas-Erzählung versuchen zwei Autorinnen in der Aufsatzsammlung von Christine Künzel / Bernd Hamacher: Tauschen und Täuschen. Kleist und (die) Ökonomie, (Frkf./M. 2013) in neuester Zeit Licht zu bringen. In dem Buch finden sich unter der Rubrik: »Beiträge zu zeitgenössischen ökonomischen Diskursen« zwei Aufsätze, die die Titelfigur des Michael Kohlhaas unter ökonomischem Aspekt durchleuchten. Gemeint sind mit diesem von Bernd Hamacher als bisher vernachlässigt bedauerten Aspekt aber nicht marxistische Textinterpretationen.

      Sabine Biebl stellt in ihrem Aufsatz: Für eine »bessere Ordnung der Dinge«. Eigentumsverhältnisse in Kleists Michael Kohlhaas,19 fußend auf Jochen Schmidt u. a., Kleists Erzählung in den Kontext der Stein-Hardenberg’schen Reformen, die sich um eine gesetzliche Verankerung der Liberalisierung des bürgerlichen Eigentums bemühten. Auf dieser Zielgerade des bürgerlichen Weltgeistes findet Biebl den Protagonisten: »In der Hauptfigur Michael Kohlhaas haben wir es zweifellos mit einem homo oeconomicus zu tun, der als Verfechter der Freiheit des Eigentums auftritt.«20 Dann zeigt sie, dass Kohlhaas in der Exposition der Erzählung im Sinne des Eigentumsrechts stimmig handelt. Aus dem Verkauf von Haus und Hof zieht sie den Schluss, dass Kohlhaas »seinen Status als Eigentümer und Wirtschaftender aufgibt«, sich in »naturzuständliche Besitzverhältnisse« begibt und sich als »Anführer einer Bande […] durch Plünderungen Zugriff auf Ressourcen verschafft«.21 Dadurch erfahre »jenes grundsätzliche Problem des Abhängigkeitsverhältnisses von Freiheit und Eigentum als Entfaltungsbereich und Garant der menschlichen Freiheit, […], seine äußerste Zuspitzung.«22 Nur der Rechtsspruch bezüglich der Pferde restituiere Kohlhaas’ »Personsein, sein Menschsein«23, da er »Kohlhaas also in der existenziellen Dimension des Eigentums seine menschliche Freiheit wiedergibt«.24

      Am Verweis auf den Text, der referiert, Kohlhaas nenne sich nach dem Verkauf seiner Güter in seinem Manifest »›einen Reichs- und Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn‹« (II, 36) zeigt sich der Mangel der Biebl’schen Fokussierung auf das Verhältnis von Recht, Freiheit und Eigentum. Ihre Analyse fällt hinter die Diskussion um den Gesellschaftsvertrag zurück und vermag das problematische Verhältnis von Recht und Moral nicht in den Blick zu nehmen. Indiz