Kleists Michael Kohlhaas. Berthold Wendt

Читать онлайн.
Название Kleists Michael Kohlhaas
Автор произведения Berthold Wendt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866746961



Скачать книгу

Seiten Jochen Schmidts49 stehend, zu einer differenzierteren Einschätzung der Rolle Luthers in der Erzählung. Osthöveners emphatische Loyalität gegenüber Luther lässt ihn noch nicht einmal die Verlogenheit in der Diplomatie Luthers thematisieren, der z. B. gegenüber Kohlhaas den Vorwurf erhebt, er habe sich bloß leichtfertig (II, 45) um den Rechtsweg bemüht, zugleich aber weiß, dass es allgemein bekannt war, dass die im Kurfürstentum zweitmächtigsten Herren Hinz und Kunz von Tronka die Klage unterschlagen hatten (II, 49). Luthers – weihevoll mit theologisch imaginiertem Urteil vor dem Jüngsten Gericht – aufgestellte Behauptung, der Kurfürst wisse nichts von Kohlhaas’ Angelegenheit, (»Und muß ich dir sagen, Gottvergessener, daß deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß – was sag ich? daß der Landesherr, gegen den du dich auflehnst, auch deinen Namen nicht kennt, dergestalt, daß wenn dereinst du vor Gottes Thron trittst, in der Meinung, ihn anzuklagen, er, heiteren Antlitzes, wird sprechen können: diesem Mann, Herr, tat ich kein Unrecht, denn sein Dasein ist meiner Seele fremd?« [II, 45]) beruht zumindest auf grob fahrlässiger Sachfremdheit, denn der Erzähler berichtet: »Der Kurfürst, durch einen Eilboten, von der Not, in welcher sich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, daß er bereits einen Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge, und sich selbst an dessen Spitze setzen würde, um den Kohlhaas zu fangen. Er erteilte dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis, wegen der zweideutigen und unüberlegten List, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; […]« (II, 43 f.), um dann zusammenzufassen: »Unter diesen Umständen übernahm der Doktor Martin Luther das Geschäft, […].« (II, 44) Sollte diese damals dort höchste theologisch-moralische Instanz von den Umständen, unter denen sie dieses Geschäft übernahm, so wenig gewusst, sich so einseitig informiert, und sich doch so seelsorgerisch weitreichend in ihr engagiert haben können, ohne dass dabei Zweifel an ihrer Integrität aufkommen müssen?50

      Unter 5) Wertungsfragen: Protagonist, Erzähler und Leser lässt sich der kleine Aufsatz von Karl Philipp Ellerbrock mit dem Titel Wasser und Eloquenz51 einordnen, der sich mit dem Motiv des Wasserausschüttens in der Abdeckerszene befasst und darin wird feststellt: »Entscheidend ist jedoch, dass in der Abdeckerszene Geste und Handlung zuletzt über das gesprochene Wort triumphieren.«52 Wie Ellerbrock motivgeschichtlich nachzeichnet, eröffnet die Geste des Abdeckers »einen Deutungshorizont für das Geschehen, indem sie alle Rede verwirft und eine Rückkehr in das alltägliche Leben vorstellbar macht.«53 Die detaillierte Analyse der Abdeckerszene in meiner Arbeit kommt zu anderen, nicht so optimistischen Resultaten.

      Ganz allgemein ist aus der Sicht meines Forschungsansatzes zu den Wertungsfragen, die in fast alle Beiträge zum Kohlhaas hineinreichen, Folgendes zu sagen: Es ist das hermeneutische Anliegen dieser Dissertationsschrift aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Handelns des Protagonisten, dessen Bedingungen und Maximen in Kleists Text immer wieder selbst reflektiert werden, nicht aus der Gesamtbetrachtung des ästhetischen Verlaufs der Handlung abgelöst werden kann, sondern als Moment dieses Handlungsverlaufes und seiner Formbestimmungen betrachtet werden muss. Die Isolation einzelner Extremhandlungen oder die Identifikation eines bestimmenden Charakterzuges (etwa die vielerwähnte Rachsucht) erscheinen dem hier angewandten Verfahren gegenüber – selbst wenn sie partiell zutreffen – als verkürzende Personalisierungen.

      Zur Problematik der Gewalt und des Erhabenen:

      In Iris Dennelers Aufsatz: Kleists Bankrotterklärung des Erhabenen54 ist, nach der aus der Rhetorik stammenden engen Definition, das Erhabene im Wesentlichen identisch mit dem Heroischen und Dramatischen. Die sog. Bankrotterklärung wird aber, auf die Schiller- und Kant’sche Bestimmung des Erhabenen zielend, über eine angebliche Destruktion der »Allianz von Ordnung, Sittlichkeit und Vernunft durch die Aufklärung«55 begründet und mündet in einem blinden Opferwillen: »Auch der Leser kann angesichts der ständig wechselnden Erzählperspektiven keinen souveränen Standpunkt mehr gewinnen, sondern muss blind für die Werte- und Normenangebote des Erzählers ›in Grund und Boden‹ gehen.«56 Kleists Sprache ist Iris Denneler Beleg sowohl für einen zugleich das eigentliche »Begehren« verdeckenden Ausbruch in Gewalttätigkeit als auch für Kleists »Kriegserklärung gegen die Gesellschaft«57 und eben gegen das bürgerliche Vertrauen in das Erhabene als ästhetische Aufrufung der Vernunftideen. »Kleists Stil ist in seiner Monstrosität außergewöhnlich. Grauenhafte Szenen korrespondieren mit einer Gewalttätigkeit im Satzbau und in der Wortwahl, die geradezu von einer Vergewaltigung des syntaktischen und morphologischen Bestandes sprechen läßt: Sperrungen, Schachtelsätze und wie auf einer Folterbank gedehnte Perioden sind Kennzeichen der gewaltigen und gewalttätigen Sprache Kleists. Das Konkrete ist weniger die so paradoxe und undurchschaubare Realität, als die Körperlichkeit der Sprache, die sich in extremer Detailtreue, in voluminösen Sätzen, in einer Ästhetik der Intensität Luft verschafft. Kleists Sprache – eine Rhetorik des Terrors. Der Dichter, so erkannte Karl Heinz Bohrer, war weniger ›am moralischen Gehalt von Emotionen interessiert, sondern an ihrem sozusagen energetischen Ablauf überhaupt‹.«58 Um diese sprachliche Mordlust glaubwürdig zu machen, musste sich der Künstler zum Beweis selbst gewaltsam zu Tode bringen: »Seine rhetorische Gewalt zerstörte und legitimierte sich im Akt der Selbstexekution, der letzten, möglichen Form der Heroik des modernen Subjekts. Der Autor Kleist führte vor, was seine Leser nicht verstehen wollten, nämlich die Kunst ›sich aufzuopfern, ganz für das, was man liebt, in Grund und Boden zu gehen‹«59. Hätte Denneler Recht, so hätte schon Goethe mit seiner Einschätzung der Kleist’schen Werke richtig gelegen. Dennelers Gesellschaftskritik ist angesichts ihrer undialektischen Vernunftkritik politisch fragwürdig. Und problematisch ist ebenfalls ihr interpretatorischer Umgang mit Kleists Sprache. Denn die Isolation der Sprache und der von Kleist verwendeten Mittel gegen das durch sie ästhetisch zum Ausdruck Gebrachte trifft die methodische Entscheidung, die sprachlichen Mittel eines Kunstwerkes seien gegenüber dem Darzustellenden beliebig oder austauschbar und ihre Verwendung beruhe auf einer dezisionistischen Wahlfreiheit des Autors. Kleist habe also, so wird unterstellt, die Freiheit gehabt, dem Gewaltsamen, das er zu charakterisieren versuchte, auch auf sprachlich sanfte, harmonische und glattere Weise Ausdruck verleihen können, ohne den Sachverhalt zu verklären oder eben die jeweilige Bedeutung der Gewaltausübung, die es ihm herauszuarbeiten ging, zu verfälschen. Dennelers Auffassung wird von der Saussure’schen Sprachtheorie mit ihrer These von der Arbitrarität der Zeichen nahegelegt. Gälte diese Theorie unumschränkt, dann schlösse dies die Möglichkeit sprachlicher Kunst aus, da Sprachkunstwerke, deren Material die Sprache ist, dann nicht mehr mimetisch sein könnten. Denn Mimesis verlangt, dass das Material zum Sprechen gebracht werden kann, m. a. W., dass das Material Ausdrucksträger des Gehaltes wird, der, wie Adorno sagt, als Geistiges, an seinen »Ort im Phänomen«60 gebunden ist. Mit dem Hinweis auf das Übersetzungsproblem von Sprachkunstwerken in eine andere Sprache lässt sich wohl am leichtesten demonstrieren, dass die Zeichen des Bezeichneten in Kunstwerken nicht einfach arbiträr sind, denn dann wäre ihre Übertragung ein fast mechanisches Unterfangen.

      Es verhält sich nicht viel anders als bei den Wertungsfragen, wenn die Sprache aus Textpassagen als Kleists Individualstil identifiziert oder als eine Art zeitbedingte Espéce isoliert wird, anstatt sie sowohl als spezifischen kontextuellen Ausdrucksgehalt zu analysieren als auch sie im Zusammenhang des Werkganzen in Beziehung auf das Erhabene bei Kleist zu setzen. Träte nämlich der Autor in der Bemühung um den Ausdruck der Sache ganz hinter diese zurück oder ginge seine Persönlichkeit ganz in ihr auf, dann wäre ganz unabhängig von der persönlichen psychischen Struktur des Autors oder seiner wie immer auch gearteten Weltsicht, nach der aktuell für das kritische Selbstbewusstsein aussagekräftigen ästhetischen Wahrheit seiner Werke und der als deren Moment in ihnen gestalteten gewaltsamen Szenen zu fragen. Löst man aber, wie Denneler, die Sprache von ihrer Verschränkung mit dem Gehalt los, dann ist eine in ihren gewöhnlichen Regeln gebrochen und also gewaltsam verwendete Sprache, die dadurch zum mimetischen Ausdruck des in ihr Gestalteten wird (so wie bei Kleist, vgl. meine Analyse von Herses Verhör im Kapitel B 05), nicht von einer Sprachverwendung zu unterscheiden, bei der sich die Deformation des Sprachleibes mit dem Ausdruck tatsächlich nicht mehr verträgt, sondern sich willkürlich verselbständigt.

      Folgt man Denneler und geht es in poetischen Werken nicht mehr um die Angemessenheit der Sprache an den jeweiligen Sachverhalt61, also hier das Wie der Kleist’schen Sachlichkeit62,