Bravourös in die Suppe gespuckt. Uli Grunewald

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Название Bravourös in die Suppe gespuckt
Автор произведения Uli Grunewald
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783942401807



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Ein El Dorado

       Als mein Auenland vollendet war, empfand ich das als surreal

       Schockstarre

       Der Wind blies eiskalt von vorn

       Es brach der Pool, das Wasser lief davon und ich am liebsten auch

       Fatstorm

       Onkel Christian saß vor uns im Rollstuhl, Fernseh-Gottschalk stand hinter uns in Malibu

       Wir hatten abgemacht: Wenn, dann nur im Swinger Club

       Der Chef der Pavian-Horde zerfleischte ihm das Gesicht

       Alles Verloren. Meine Existenz und mich selbst

       Chinesen sind eine eigentümliche Spezies

       Wenn um dich herum Sämtliches implodiert, ist dein Leben wohl zu Ende

       Perdu! Und fröhlich klingt der Schlussakkord in Moll

       Uli Grunewald

      Wer immer tut,

      was er schon kann,

      bleibt immer das,

      was er schon ist.

      Henry Ford

      Ich kann es nicht glauben. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich sitze im Knast. Ich, der kluge Junge, der ideenreiche Schöndenker, der findige Geldmacher, der redegewandte Sympath. Ich, das rücksichtslose Muttersöhnchen, angefüllt bis zum Stehkragen mit Widersprüchen und Unstimmigkeiten. Ich, Ich, Ich, die vielen Ich`s, immer wieder. Zu viele in meinem ruinierten Leben.

      Seit zwei Tagen bin ich in Untersuchungshaft. Ob ich verurteilt werde, ist ungewiss. Vielleicht gibt es nicht einmal eine Verhandlung. Wer weiß? Mein Anwalt ist keine große Nummer, dafür zuversichtlich. Ich glaube, ich habe Tränen in den Augen. Ich schließe sie und spüre kleine Rinnsale auf meinen Wangen. Zwei kühle Striche. Ich schlucke. Vor Selbstmitleid tut mir der Magen weh und weil ich an Mama denke. Sie weiß nicht, wo ich bin. Nun ist sie alt, doch ihre Güte und Lebensklugheit haben sie nicht verlassen. Sie liebt die Menschen und sieht in ihnen nur das Gute. Wie soll sie das verkraften, wie soll sie diesen Kummer und diese Sorge um mich ertragen. Um ihren Sohn, den sie über alles liebt und der ihr Lebensinhalt ist. Ihr Sohn, dieser Idiot, hat so viel gewonnen und am Ende jegliches verloren. Dass ausgerechnet ich dieser Idiot bin, ist schwer auszuhalten. Wachte ich früher aus einem Albtraum auf, fühlte ich Erleichterung. Heute ist das nicht mehr so, weil die Wirklichkeit noch schlimmer ist.

      Meine Vorfahren wurden ausnahmslos steinalt und deren eisenharte Gene bescherten mir bislang die mustergültige Gesundheit. Heute, am 22. November 2012, eingesperrt und Mitte Fünfzig, spüre ich das erste Mal meinen Körper. Ohne Schmerzen und ohne erkennbare Symptome fühle ich mich krank. Nun sind alle vorwärtstreibenden Kanten abgeschliffen. Ich hasse Larmoyanz, jetzt muss ich sie selbst erdulden. Sie hat mich aufgesogen wie ein Strudel, in dem man rettungslos versinkt. Jene innere Stimme, die schönreden und helfen könnte, schweigt unerbittlich. Gegen Gewissheit kommt sie nicht an. Gewiss ist, dass ich in Gewahrsam und verloren bin. Mach dir das klar, mein Lieber. Du hast deine Zukunft hinter dir.

      Nun meldet sie sich doch, jene Fachabteilung meiner inneren Stimme, die zuständig ist für Dur und Zuversicht. Nur zaghaft versucht sie ihr Glück. Will sich Gehör verschaffen. Vielleicht wird am Ende doch noch irgendetwas gut. Stets habe ich einen Weg gefunden. Auch wenn die Dinge sich noch so derb gegen mich wandten, konnte ich sie zuletzt doch zu meinen Gunsten fügen. Und gestern, war das etwa jener Schimmer, nach dem ich verzweifelt Ausschau halte. Gestern, wie merkwürdig unwirklich das war. So kurz nach meiner Überstellung erschien in meiner Zelle gegen Abend dieser mir fremde Mensch. Ich verstand nicht. Wegen meiner Verwirrtheit, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung nahm ich ihn zunächst nur wie im Nebel wahr. Alles schien verschwommen. Doch die Bestimmtheit seiner Worte, ließ die Eintrübung verschwinden.

      Tim Strelow stellte sich mir als Journalist sowie Drehbuchautor vor und arbeite außerdem als Kunterbunt-Lektor für Buchverlage. Ich war noch von den Ereignissen wie benommen, als der achtsam eröffnete, ich solle mir keine übergroßen Sorgen machen, weil er mir helfen könne. Er fragte mich, ob ich ihn nicht kennen würde, schließlich seien wir mal so etwas wie Kollegen und später wäre er oft Gast bei mir gewesen. Nur aus dem fernen Irgendwo kam mir sein Gesicht bekannt vor. Aber ich erinnerte mich nicht. Komisch, sonst merkte ich mir doch jede Visage, das Einzige, was ich mühelos und wie von selbst nachhaltig zu speichern vermag. Der Mann sah blendend aus. Mit vielleicht Mitte vierzig war sein dunkles Haar leicht von Grau durchzogen und makellos in Form gebracht. Noch im Dämmerschein meiner Zelle leuchteten seine auffallend blauen Augen, ein gepflegter Schnauzbart verlieh seinen markanten Gesichtszügen Manneswürde. Und über dem schwarzen Jackett trug er einen auffällig gebundenen Schal. Sind Männer attraktiv und ohne schwule Attitüden, dann gestatte ich mir durchaus den Gedanken, auch an anderen Ufern spazieren zu gehen. Tim Strelow war auffallend gut aussehend. In meiner Lage über derlei Neigungen zu reflektieren, war absurd, lachhaft und so unglaublich wie alles im Moment.

      Sein Gesicht schien entspannt und dennoch konzentriert. Als er sich nah zu mir beugte und mit ruhiger Stimme eindringlich sprach, ruhte sein Unterarm auf der kühlen Knasttischplatte. Die trennte und einte uns zugleich: „Herr Grune, Sie wundern sich bestimmt über mein unvermitteltes Erscheinen, aber lassen Sie es mich bitte so erklären: Ich will die Chronik vom Ende des vergangenen und vom Anfang unseres Jahrhunderts neu erzählen. Schablonen und tausendfach Gesehenes interessieren mich nicht. Ich möchte aus anderer Sicht und Perspektive den Zeitgeist nachempfinden. Es geht darum, Geschichten auszumalen, sie abzubilden und unterhaltend zu erzählen, möglichst ironisch frech. Ich bin auf der Suche nach einer neuzeitlichen Eulenspiegelei. Den markanten Protagonisten jener Tage will ich ins Leben rufen. Mit Witz, hintersinnigem Humor, aber nicht unernst. Und vor allem ohne Zeigefinger, keine Stasi- und Bonzengülle oder die sonst üblichen gesellschaftsrelevanten Bewältigungsarien. Das ist auserzählt. Und Biographien aus der Promi-Liga sind hierfür ungeeignet. Ich brauche die Geschichte eines unordentlichen Lebens und das unartige Gegenstück zu Langweilermemoiren. Ich sage es frei heraus, Grune, ich will dein Leben.“

      Aus diesem Stoff wolle er eine Fabel schneidern, als Vorlage zu einer ungemein bahnbrechenden Fernsehsendung für mitteldeutsche Regionalprogramme. Ein Filmchen fürs heimische Erdnuss- und Chipslettenkino…?! Was bitte noch mal?! Alles erschien merkwürdig. Er sagte „Dein“ Leben. Ich sagte nichts. Ich dachte nur, wieso mein Leben? Das war gerade dingfest gemacht worden? Was sollte das hier werden? Ein abgeschmacktes Schelmenstück, der Narr am Boden liegend und zerschmettert. Tragisch-komisch, in der Tat! Oder eher spaßig amüsant bis drollig originell? Strelow sah mich an, schien meine Gedanken zu erraten und erklärte: Er hätte von den jüngsten Ereignissen schnell Wind bekommen, wäre daraufhin gleich hier hergefahren und wüsste bereits viel von mir. Als erstes wollte er mir einen erstklassigen Anwalt besorgen. Der arbeite für seine Verlage und hätte schon so manchen Kopf gerettet. Außerdem solle jener Anwalt ein Schriftstück aufsetzen, das alle meine Rechte sichern würde. Strelow wurde deutlich:

      „Ich kann verstehen, dass Sie überrascht, wahrscheinlich irritiert sind, weil wir ausgerechnet