Название | Der Traum von Tibet |
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Автор произведения | Fariba Vafi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962026103 |
Obwohl er am Abend zuvor noch betont hat, ich sei seine wahre Braut. Er hat seinen Teller beiseite geschoben und mir über den Tisch hinweg beide Hände entgegengestreckt. Ich hab meine unterm Tisch in Sicherheit gebracht, beide, für ihn unerreichbar. Er hat sein Essen nicht angerührt, hat beteuert, er wird fortan unglücklich sein. Unbeschwert, lebhaft wie jemand, der glücklich ist, hat er das von sich gegeben. Ich bin aufgestanden und vor die Tür gegangen. Er hat an der Kasse bezahlt und kam nach. Ich hab am Straßenrand auf ein Taxi gewartet, spät abends. Mehrere Autos haben angehalten, in keines bin ich eingestiegen. Ein Wagen stand wartend, etwas abseits. Die helle Restauranttür im Blick, hab ich inständig gefleht, Mehrdad möge schnell nach draußen kommen.
Und endlich ist er auch aufgetaucht. Hat vor der Tür seinen Mantel übergestreift, hat zerstreut nach links geschaut, nach rechts, hat dabei suchend seinen Mantel abgetastet, wie jemand, der sich vergewissern will, dass er sein Geld und seinen Autoschlüssel bei sich hat, und sah aus wie ein gut situierter, verheirateter Mann, der eigentlich wichtigere Sorgen hat.
Ich gehe los, höre seine Schritte hinter mir. Er folgt mir schnell, holt mich ein, fasst mich am Arm, und wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her. Sein neues Leben sei reine Formsache, sagt er, wir könnten doch weiterhin zusammensein. „Ich bin nicht deine Gespielin!“, schreie ich ihm ins Gesicht.
Ein Geschäftsinhaber, der eben seinen Laden abschließt, dreht sich zu uns um und starrt uns an. Mehrdad drückt meinen Arm, heftiger als sonst. Vermutlich ärgert er sich über mich, wie damals, als ich auf der Verlobung eines seiner Freunde getanzt und inmitten von Festgästen gesungen habe.
Nach all den Monaten, die wir uns kannten, hab ich ihn erstmals wieder so angespannt gesehen wie damals. Ich bin mit dem Finger am Schaltknüppel entlanggefahren, langsam abwärts, bis kurz vor seinen Oberschenkel. Normalerweise hat ihm das ein Schmunzeln entlockt. Diesmal stand ihm der Sinn wohl nicht danach. Ich hab den Finger ein Stückchen weiter abwärts bewegt. Mein Nagellack hat geglänzt. Mehrdad ist rechts rangefahren, weil er mir unbedingt seine Traumfrau beschreiben wollte.
„Tu dir keinen Zwang an“, hab ich gesagt.
„Meine Traumfrau weiß genau, wie sie sich wann zu verhalten hat.“
Was sollte das denn heißen? Ich hab meine Hand zurückgezogen.
„In der Küche, zum Beispiel, ist sie Hausfrau, im Wohnzimmer nicht Köchin, sondern Dame. Im Studierzimmer ist sie klug und bedacht, und im Schlafzimmer …“
„… Schlampe“, hab ich ihm verächtlich das Wort abgeschnitten.
Aus der Fassung gebracht hat ihn das nicht, aber er hat sich müde übers Steuer gebeugt.
„Eine Frau, die meint, sie muss auch im Schlafzimmer die vergeistigte Philosophin geben, hat keine Ahnung.“
Und auf einen Schlag war in dem Auto alles nur noch ein Spiel. Ich weiß nicht mehr, wie lang ich dort noch gesessen habe, aber mir war inzwischen immerhin warm geworden. Ein alter Mann war vorbeigegangen, hatte ein Fladenbrot mit beiden Händen wie einen Schutzschild vor sich hergetragen. Kurz drauf war eine Frau dahergehumpelt, hat sich gebückt und ganz ungeniert ins Auto gestiert wie in eine tiefe Höhle. Erst in dem Moment fiel mir wieder ein, dass wir nicht allein waren. Ich saß neben einem schweigenden Mann, sah ihn an, und mein Gesichtsausdruck mochte ihn dazu bewegt haben, „Mach’s dir bequem“ zu sagen.
Seine Einladung hatte wohl wirklich entspannende Wirkung. Plötzlich schien mir alles wertlos. Nichts hatte mehr Sinn. Ich hab die Schachtel Streichhölzer zerdrückt und bin hemmungslos in Tränen ausgebrochen.
7
Ich stoße mit dem Arm gegen die Tür. Sie quietscht. Forough hört das nicht. Sie sitzt einfach da, im Dunkeln. Ich betrachte ihren feisten Rücken. Ist das die hübsche Frau, die den Lebensmittelhändler aus der Ruhe und andere Männer dazu gebracht hat, ihr auf die schönen langen Beine zu schauen? Nachdem der Händler erfahren hatte, dass ein anderer Mann sich von ihr scheiden ließ, weil sie keine Kinder bekam, wurde er umso begieriger. Er schickte ihr reihenweise Vermittler ins Haus, um ihr zu signalisieren: „Ich hab schon zwei, die reichen mir.“
Mit Foroughs großen Schritten war die kleine Straße schnell durchmessen. Djawid, am Fenster im Obergeschoss auf Posten, sah ihr dabei zu, wie sie eilig und scheinbar für immer entschwand.
Am Maulbeerbaum angelangt, zog sie den Kopf ein. Ihr etwas zu kurzer Tschador ließ ihre Knöchel und ihre transparenten Strümpfe erkennen. Forough musste wieder zurück sein, bevor Djawids Vater nach Hause kam. Djawid zählte die von seinem Ausguck aus sichtbaren Latten am Verandazaun vor dem Nachbarhaus, Vögel, die sich in Schwärmen entfernten und Fliegen, die auf ihn zuflogen. Von Forough aber war keine Spur. Iran, im Erdgeschoss, fragte ihn, was er da oben zu suchen habe und teilte ihm im gleichen Atemzug mit, dass sie auf dem Sprung zu den Nachbarn sei. Sie und Forough, beide recht flatterhaft, verstanden sich gut und passten aufeinander auf.
Djawid ist ernsthaft in Sorge. Wenn Forough nicht rechtzeitig heimkommt, bringt sein Vater sie um. Mit dem Krummdolch aus der Speisekammer, den er jedes Jahr im Monat Muharram hervorholt, wenn die Schiiten ausgiebig trauern. Er hat selbst gesagt, er bringt sie um.
Djawid graut vor den blutunterlaufenen Augen des Vaters. Vor seiner lauten Stimme. Tagsüber hatte Forough die Straße vor dem Haus gefegt, hatte den Hof gefegt, hatte Djawid gebeten, aufzustehen oder die Füße zu heben, weil sie auch dort fegen wollte, wo er saß. Djawid war nicht aufgestanden. Forough hatte den Besen hingeworfen und „Zur Hölle!“ gesagt.
Sie hatte sich in ihren Tschador gehüllt und war aus dem Haus gegangen, ohne zu sagen wohin.
Djawid hört den Vater schreien, nein, brüllen, nach Forough verlangen. Er zuckt zusammen. Wieso hat er ihn nicht heimkommen hören? Er geht die Treppe hinunter, senkt den Kopf, um sich nicht zu stoßen. In letzter Zeit ist er gewachsen. Der Vater steht im Hof. Wenn er nach Hause kommt, greift er gewöhnlich sofort zum Gartenschlauch, wässert erst die Beete und wäscht sich dann die Füße. Djawid geht nach oben, nimmt seinen Posten wieder ein. Der Abend rückt näher. Von seinem Wachturm aus sieht er einen Sperling im Baum sitzen und eine pralle Maulbeere, die zwischen dem Blattwerk hindurch bis auf die Gasse purzelt.
Djawid ist überzeugt: „Diesmal tut er’s wirklich.“ Als er sich das Blutbad ausmalt, gefriert sein Blut ihm in den Adern. Plötzlich hört er Schritte. In der schmalen, verwinkelten Gasse mit ihren alten Toren ist nur selten ein Laut zu hören. Djawid sieht Forough unter den Zweigen des Maulbeerbaums auftauchen. Wortlos fragt sie ihn von dort unten her: „Ist er schon zu Hause?“ Sie ist nervös.
„Schon lange“, sagt Djawid laut und verstärkt ihre Anspannung noch. Ihr Tschador ist ihr vom Kopf gerutscht, und Djawid kann von seiner hohen Warte aus ihren weißen verschwitzten Hals sehen. Ihre Haut schimmert blauviolett in der roten Abendsonne. Djawid hört, dass die Haustür aufgeht. Er bekommt weiche Knie. „Gleich wird das Wasserbecken im Hof blutrot“, schießt es ihm durch den Kopf. Und er denkt an die Fische. Er hastet die Treppe hinab, sieht, auf der letzten Stufe angekommen, mehrere dunkle Flecken und bleibt stehen, festgenagelt.
Es dauert einen Moment, bis seine Angst sich legt, wie aufgewirbelter Staub. Als er wieder klar sehen kann, entpuppen die Flecken sich als zertretene Kirschen. Jetzt nimmt er auch die unterste Stufe noch und sieht alles. Der Hof ist, anders als erwartet, kein Schlachthof geworden. Forough sitzt draußen auf der Pritsche, schöpft Atem. Der Vater steht dicht vor ihr, so wie er sonst vor seiner Lebensmittelwaage steht, stiert mit seinen winzigen Äuglein auf Foroughs immense Brüste und scheint auch die wiegen zu wollen.
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