Название | Der Traum von Tibet |
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Автор произведения | Fariba Vafi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962026103 |
„Glaubt sie, sie ist hier im Urwald oder was? Liegt im Flur und streckt wie ein Bär alle Viere von sich.“
Yalda hat noch eins draufgesetzt: „Wir haben von hier aus gesehen, wie Mama Forough mitten im Wohnzimmer lag, Augen zu, und hat sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, von allen Seiten.“
Und dein Kommentar war: „Ein Bär, der genüsslich an Honig denkt, ist nichts dagegen.“
An dem Abend hat Djawid einen noch passenderen Spitznamen für Forough gefunden. Sie war „Oblomow“. Das weibliche Gegenstück zum berühmten faulen Russen. Mit Lockenpracht und Armreifen, die bei jeder Bewegung, kling-klang, klimperten. Forough verwendete Handcreme und band kleine und große Muttermale an ihrem verschwitzten Hals mit kräftigem Zwirn ab. Im Hof machte sie sich’s gern an einem sonnigen Fleckchen auf einer Decke gemütlich. Bevor ihr hier eingezogen seid, hatte sie einen Studenten als Untermieter, und mit den Nachbarn kam sie gut aus. Ohne deren Hilfsbereitschaft, sagt sie, hätte sie nach dem Tod von Djawids Vater einen der alten Knacker heiraten müssen, die sich um sie bemühten, und von denen nicht einer gesunde Zähne, geschweige denn ein ordentliches Gebiss hatte. Mürrische Miesepeter die einen, lüsterne Spanner die anderen. Einer war ihr allerdings sympathisch, sagt sie.
„Ein feiner Herr, wortgewandt, charmant. Und immerhin war nur die Hälfte seiner Zähne künstlich. Aber seine zittrigen Hände! Allein die Vorstellung, er könnte mich mit seinen Tattergreispatschern begrapschen, einfach widerlich.“
Ein paar Wochen nach eurem Einzug hat die Tochter der Nachbarn dich um Bücher gebeten. Forough hatte ihr offenbar erzählt, dass du eine Leseratte bist, und nun wollte sie Lebensgeschichten lesen. Ein anderer Nachbar hat Tage später Djawids Weg gekreuzt und ihn hinter vorgehaltener Hand gefragt, was es denn Neues gebe von der anderen Seite. Ernst und mit wohlgesetzten Worten, wie es Djawids Art ist, hat er dem Nachbarn erklärt, dass er seine Frage nicht versteht, woraufhin der Nachbar meinte, es sei doch allseits bekannt, dass Djawid sich mit Politik auskenne und wisse, was im Ausland los sei.
Djawid meinte, mit Foroughs losem Mundwerk könne er sich wohl irgendwie abfinden, aber ihr schlechtes Beispiel sei nur schwer hinnehmbar. Yalda durfte sich die Lippen anmalen und Foroughs Kajal ausprobieren. Und von Forough bekam sie ausführliche Antworten auf all die Fragen, die ihr beiden gern aufgeschoben habt.
Als Djawid Yalda eines Morgens beim Frühstück gefragt hat, wie’s mit der Schule vorangeht, hat sie über Physik und Chemie berichtet und dann, mit vollem Mund, über Schwangerschaft und die Wechseljahre. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass er große Augen gemacht hat. So wie vor Jahren, an dem Tag, als Mama Yalda erklärt hat, Erdbeben passieren, weil eine Riesenkuh die Erdkugel auf ihre Hörner nimmt und den Kopf schüttelt. Djawid hat damals seine behaarte, knochige Hand gehoben. „Moment, Schwiegermama.“ Sein spitzer Adamsapfel war reglos verharrt, sein Unterkiefer leicht nach vorn geschoben. „Niemand darf meinen Kindern Bären aufbinden.“
Er hat seinen Teller weggeschoben und ist aus dem Zimmer gestürzt, um das auch seiner Mutter mitzuteilen. Wochen später hat er sie aus einem anderen Grund gebremst. Und weil sie eingeschnappt war, hast du zwischen den beiden vermitteln müssen. Wegziehen war keine Option. Obwohl du nicht länger zur Miete wohnen wolltest. Djawid aber hatte sich vor kurzem mit seinem Teilhaber überworfen und sein gesamtes Vermögen in eine eigene Werkstatt gesteckt. Zum Glück gefiel dir das Haus, trotz allem. Es war zwar stark renovierungsbedürftig und hatte Türen aus hässlich gefärbten Brettern. Aber der Hof, das Wasserbecken und der Baum machten das wett. Djawid hat ständig beteuert, er wird Iran und Forough mit dem ersten Geld, das er wird entbehren können, auszahlen und die Hütte abreißen. Er mochte weder den Baum, noch das Bassin.
Anders Forough. Die sagte: „Gleich am ersten Abend, als ich hier reinkam, hat sich mein Kummer in Luft aufgelöst. Der Hof, das große Wasserbecken, das Veilchenbeet. Iran hat mich höflich begrüßt, aber Djawid ist in seinem Bett im Wohnzimmer liegengeblieben, hat sich in seiner Ecke die Decke übern Kopf gezogen und weitergeratzt. Iran hat mir Tee serviert. Auf einmal tönt unter der Bettdecke eine Stimme hervor. Ich hab mir schnell meinen Tschador enger um die Beine gehüllt, und die Monsterstimme hat gebrüllt: ,Hau ab. Du machst mir Angst!‘“
Als Forough eines Tages verkündet hat: „Ich zieh mit meinen sieben Sachen nach oben“, war Djawid sofort einverstanden. Mama hat die Geschichte gehört und ungläubig mit der Zunge geschnalzt. „Dass Djawid so mit seiner Mutter umspringt, unglaublich.“
Sie hat so lange geschnalzt, bis du ihr genervt erklärt hast: „Forough ist nicht Djawids Mutter.“
4
Der Mond scheint hell ins Zimmer. Deine Haare sind dir ins Gesicht gefallen, und du liegst mit ausgebreiteten Armen auf dem Teppich. Deine weißen Knie schauen unter deinem engen schwarzen Rock hervor. Ich stütze mein Kinn auf meine Knie, schließe die Augen. Finde keinen Schlaf. Ich stehe auf, gehe auf und ab. Auch in der besagten Nacht hab ich kein Auge zugetan. Schlimmer noch, damals konnte ich mich nicht mal hinsetzen, und schon gar nicht auf und ab gehen. Euer Zimmer war winzig, und ihr habt alle tief und fest geschlafen.
Die ganze Nacht hindurch, bis in die frühen Morgenstunden, war ich mehrmals zu Mehrdads Haus gegangen, mit einem kleinen Kanister Benzin unterm Arm.
Tröstlich das Wissen um diesen Kanister und um die Streichhölzer in meiner Tasche. Wie ich’s geschafft habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass ich immer wieder an meinen Ausgangspunkt zurückgegangen und dann aufs Neue losgezogen bin. Als ich diesmal die Straße vor seinem Haus hochgehe, habe ich einen großen Kanister Petroleum dabei. Ich trage meinen ziegelroten Mantel und habe mir meinen Schal ins Gesicht gezogen. Kurz vor Mehrdads Haus, als ein fiktiver Regisseur „Cut!“ ruft, mache ich kehrt und breche kurz darauf erneut auf. Als ich wieder am Ziel bin, gieße ich mein Petroleum endlich über sein zufällig draußen geparktes Auto. Die Flammen greifen rasch um sich, und ich muss schnell entscheiden, wen sie erfassen sollen. Seine Mutter ist zwar schuld an allem Übel, aber der Brautschleier brennt besser. Während eine der beiden Frauen in Flammen steht, gehe ich draußen die Straße hoch. Müde, lebensmüde, will ich mich jetzt selbst verbrennen. Kurz bevor ich mich mit Petroleum übergieße, stecke ich den Kopf unter die nach Wolle riechende dicke Decke, mit der du mich zugedeckt hast, und weine. Ich habe Mehrdad vor Augen. Er fährt mir mit der Hand durchs Haar, lässt die Hand in meinem Nacken ruhen und sagt in seiner unverblümten Art: „Du brauchst kein Feuer. Du brennst doch schon, als meine Flamme.“
Gern würde ich die hochnäsige Visage seiner Mutter beim Anblick dieser Katastrophe wie eine spröde Maske zerspringen und ihre Hände zittern sehen. Doch mein Traum endet jedes Mal wie ein Dokumentarbericht, mit Sirene und Friedhof. Wie es nach dem Brand weitergeht, male ich mir nie aus. Ich sterbe in diesem Moment, und was danach geschehen mochte, war unwichtig. Forough kommt mir in den Sinn, die gesagt hat: „Wenn ich tot bin, werft mich ins Plumpsklo.“
Selbst mein Versuch, mir mich im Brautkleid vorzustellen, misslingt. Ich will nicht mal mehr, dass der gut aussehende Arzt im Spital, in dem ich tätig bin, zu mir ans Krankenbett kommt. Der Arzt, der immer blank geputzte Schuhe trägt und mir im Traum erscheint, wenn ich ihn brauche, wie gerufen. Was mir überdies die Freude einiger staunend offener Münder beschert.
Mehrdad hat meine Arbeit im Krankenhaus immer als nichts Besonderes bezeichnet. Ich hatte eingewandt, dass ich sie gern mache und, in Anlehnung an Djawids Postulate, wirtschaftliche Unabhängigkeit ins Feld geführt. Darauf war Mehrdad nicht näher eingegangen. Er hat mich nur angeschaut. Asche auf mein Haupt! Weil mir immer erst nach sechzig Jahren ein Licht aufgeht! Ich hatte unnötig viele Worte gemacht. Mich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt? Heute weiß ich, ohne das Interesse, ohne ein Echo deines Gegenübers sind selbst die klarsten Worte nur undefinierbare, bedeutungsleere Geräusche.
Gegen Morgen bin ich wach geworden, hab mich im Bett aufgesetzt, mich im Zimmer umgeschaut. Ihr beiden wart hinter der Schiebetür, jenseits von mir. Ich brauchte einen Moment, um die Ereignisse der letzten Nacht mit mir und meinem