77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin. Группа авторов

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Название 77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin
Автор произведения Группа авторов
Жанр Медицина
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Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783954660131



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120/min.

      Im Schockraum wird bei der Übernahme der Plastikbeutel vom verletzten Bein entfernt. Es entleeren sich mindestens 3 l Blut aus dem Beutel. Aus dem ausgedehnten Wundgebiet ist eine pulssynchrone arterielle Blutung sichtbar.

      Hintergrund

      Eine arterielle Blutung sollte primär durch manuellen Druck oder einen Druckverband komprimiert und zum Stillstand gebracht werden. In den meisten Fällen gelingt dieses. Falls nicht, besteht meistens die Möglichkeit, eine passende Blutdruckmanschette proximal der Verletzung anzulegen und über den systolischen Wert aufzupumpen. Die Uhrzeit des Komprimierens sollte unbedingt gut sichtbar auf dem Notarztprotokoll oder ggf. auf dem Patienten vermerkt werden.

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      Unmittelbar nach dem Lösen einer Kompression oder Abbindung werden metabolische Substrate, die aufgrund des anaeroben Stoffwechsels in der abgebundenen Extremität gebildet wurden, über das venöse Gefäßsystem dem Körper zugeführt, sodass mit einer metabolischen Azidose und einem Blutdruckabfall gerechnet werden muss.

      Fehler und Gefahren

       Durch eine insuffiziente Blutstillung kommt es (in diesem Fall unbemerkt) zu einem weiteren Blutverlust und zu einem protrahierten Volumenmangel.

      Fehlervermeidung

       Bei jeder Patientenübernahme muss der übernehmende Kollege den Patienten von Kopf bis Fuß gründlich untersuchen.

       Befunde müssen dokumentiert werden.

       Bei Trauma-Patienten muss ein besonderes Augenmerk auf Blutungen nach innen oder außen und auf Frakturen gerichtet werden. Ein Verband sollte aufmerksam betrachtet werden (Cave: durchgebluteter Verband), um sich einen Überblick über die Blutungsverhältnisse zu verschaffen. In diesem Fall hätte die Identifikation einer arteriellen Blutung bereits an der Unfallstelle zu Maßnahmen der Blutstillung führen müssen.

      NEF und RTW werden um 5:00 Uhr in eine Reihenhaussiedlung am Stadtrand zu einer bewusstlosen Person alarmiert. In der ersten Etage liegt eine 57-jährige Patientin im Bett und reagiert weder auf Ansprache noch auf Schmerzreize. Laut Aussage des sehr aufgeregten Ehemanns habe die Patientin eben noch gestöhnt und sei dann nicht mehr ansprechbar gewesen. Die Spontanatmung ist suffizient. Die Patientin habe in den letzten Tagen immer wieder über Nackensteifigkeit geklagt, was sie darauf zurückführte „Zug“ bekommen zu haben. Die Pupillen sind isokor, eher weit und reagieren träge auf Licht.

      Die Notärztin beschließt bei einer Glasgow Coma Scale von 5, die Patientin mit der Verdachtsdiagnose einer intrazerebralen Blutung präklinisch als Aspirationsschutz und zur optimalen Oxygenierung zu intubieren. Die Patientin wird mit 30°-Oberkörper-Hochlagerung im RTW in die nächste Neurochirurgie gebracht. Erst auf dem Weg wird erstmalig an eine BZ-Messung gedacht. Der Wert auf dem Display zeigt „low“ an. Das Rettungsteam appliziert umgehend 8 g Glucose. Bei Übergabe in der Klinik ist der BZ-Wert bei 97 mg/dl. Das CCT ist unauffällig. Die Patientin wird 2 Stunden später erfolgreich extubiert und verlässt am gleichen Tag gegen ärztlichen Rat die Klinik.

      Hintergrund

      Die BZ-Messung ist eine wenig invasive Maßnahme, die zu den Basismaßnahmen durch den Rettungsdienst gehört. Vor allem bei Patienten mit unklarer Bewusstseinsstörung oder nach einem Krampfanfall ist die Bestimmung des Blutzuckerwertes zur Ausschlussdiagnostik einer Hypoglykämie unerlässlich. Neben den bekannten Diabetikern mit Diätfehlern, Infektionen und Alkoholgenuss werden durch die BZ-Bestimmung immer wieder auch Patienten mit neu aufgetretenem Diabetes diagnostiziert.

      Umstritten ist die Indikation für eine Krankenhausaufnahme nach Hypoglykämie durch Nahrungskarenz bei einem insulinpflichtigen Patienten, der nach der Glucosegabe durch den Notarzt asymptomatisch ist. Im Einzelfall verweigern die Patienten nach der Behandlung den Transport. In jedem Fall muss eine suffiziente Aufklärung über mögliche Risiken und Komplikationen einer Verweigerung eines Transportes in ein Krankenhaus erfolgen. Eine Transportverweigerung muss immer dokumentiert und vom Patienten unterschrieben werden.

      Fehler und Gefahren

       Durch eine verspätet behandelte Hypoglykämie kann es zur Glucoseunterversorgung des Gehirns mit bleibenden neurologischen Defiziten kommen. Daher sollte eine Hypoglykämie so rasch wie möglich durch Gabe von Glucose behandelt werden.

       Intubation und Beatmung sind bei einem bewusstlosen Patienten ohne Schutzreflexe zur Vermeidung einer Aspiration und zur Sicherstellung einer suffizienten Oxygenierung absolut indiziert. Allerdings sollte zuvor eine Hypoglykämie als Ursache der Bewusstseinstrübung ausgeschlossen werden.

       Die präklinische Narkose, Intubation und Beatmung ist gerade für den ungeübten Notarzt eine Herausforderung und birgt für den Patienten ein zusätzliches Risiko. Die Indikationen für eine Narkoseeinleitung sollten stets kritisch hinterfragt werden.

      Fehlervermeidung

       Zu jeder Erstversorgung eines bewusstlosen oder bewusstseingetrübten Notfallpatienten gehört die Bestimmung des BZ-Wertes.

       Bei nichterfolgter Krankenhausaufnahme muss eine zuverlässige Betreuung vor Ort z. B. durch Angehörige gewährleistet sein.

       Vorsicht bei langwirksamen Antidiabetika!

      An einem Sonntagabend trifft der NAW mit dem Einsatzstichwort „akute Atemnot“ in der Wohnung einer jungen Mutter ein. Diese berichtet, ihr 10 Monate alter Junge (~ 8 kg) sei seit dem Freitagabend nicht gesund und bekomme schlecht Luft. Da der Säugling erst vor 4 Wochen ähnliche Symptome gehabt habe, welche sich schnell wieder gelegt hätten, habe die Mutter zunächst am Wochenende keinen Arzt aufsuchen wollen. Jetzt sei die Situation jedoch deutlich schlechter geworden: Die Mutter habe heute mehrfach versucht, den Jungen zum Stillen anzulegen, dieser wollte aber nicht trinken.

      Der Notarzt findet einen unruhigen Säugling mit Tachydyspnoe und Zyanose vor. Die Atemmechanik ist pathologisch: Es zeigen sich juguläre und subkostale Einziehungen bei der Inspiration sowie eine erschwerte Exspiration. Der Notarzt auskultiert spastische Atemgeräusche über dem gesamten Thorax. Die Pulsoxymetrie ergibt eine SpO2 (Raumluft) von 87 % und eine Herzfrequenz von 175/min. Die Körpertemperatur beträgt 39,6°C. Der Versuch einer oszillometrischen Blutdruckmessung mit der auf diesem NAW zur Verfügung stehenden Ausrüstung misslingt. Die Fontanellen sind eingesunken.

      Unter der Verdachtsdiagnose einer „akuten obstruktiven Bronchitis“ wird mit der Gabe von Sauerstoff (4 l/min) und Inhalation von vernebeltem Salbutamol begonnen. Die Pulsoxymetersättigung steigt auf 89 %. Auf Grund des gleichzeitig bestehenden Flüssigkeitsmangels schätzt der Notarzt die Situation als instabil ein und möchte alsbald das nächstgelegene Krankenhaus mit pädiatrischer Fachabteilung erreichen. Zuvor soll jedoch ein intravenöser Zugang zur Flüssigkeitssubstitution gelegt werden.

      Der Notarzt unternimmt mehrfach venöse Punktionsversuche. Unter heftigen Abwehrbewegungen des Säuglings werden beide Hand- und Fußrücken, sodann auch eine Skalpvene erfolglos punktiert. Die Punktionsversuche nehmen mehr als fünf Minuten in Anspruch. Der Säugling ist zunehmend gestresst, die Atemmechanik verschlechtert sich weiter. Die Pulsoxymetersättigung sinkt kontinuierlich auf ca. 60 %, es entwickelt sich eine Bradykardie von 55/min, und die Abwehrbewegungen lassen nach. Schließlich ist der Säugling reglos und zyanotisch.

      Nach korrekter Intubation, Beatmung mit 100 % Sauerstoff und adäquater Herzdruckmassage bessert sich die Situation innerhalb einer Minute: Die SpO2 beträgt jetzt 96 %, die Herzfrequenz 155/min. Einer der Rettungsassistenten