77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin. Группа авторов

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Название 77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin
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Жанр Медицина
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Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783954660131



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Klinik fordert der Notarzt über die Leitstelle einen Intensivtransporthubschrauber (ITH) an. Gleichzeitig entschließt er sich wegen der Beschwerden des Patienten unter der Annahme eines Thoraxtraumas zur endotrachealen Intubation. Nach der Gabe von 30 mg Etomidat und 0,2 mg Fentanyl lassen sich keine optimalen Intubationsverhältnisse herstellen, sodass es primär zu einer Tubusfehllage im Ösophagus kommt. Die anschließende Maskenbeatmung mit Oxydemandventil und Guedel-Tubus gestaltet sich ebenfalls schwierig. Für die nachfolgenden Intubationsversuche bekommt der Patient weitere 30 mg Etomidat, 0,3 mg Fentanyl und zur Muskelrelaxierung 30 mg Atracurium. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich ein Magill-Tubus (ID 7,0) endotracheal platzieren. Die primäre Auskultation ergibt eine seitengleiche Belüftung. Die Sauerstoffsättigung liegt bei 98 % und die Kapnometrie zeigt Normwerte. Beim Umlagern des Patienten in den Hubschrauber verschlechtert sich die Oxygenierung. Linksseitig ist kein Atemgeräusch mehr auskultierbar, und der Beatmungsdruck steigt an. Wegen des Verdachts auf einen Pneumothorax wird links eine Thoraxdrainage gelegt. Als diese Maßnahme keine wesentliche Besserung bringt, entschließt man sich zu einem raschen Transport.

      In der Klinik wird der Patient mit stabilen Kreislaufverhältnissen und einer O2-Sättigung von 84 % übergeben. Der Tubus, der mit einem Klettband fixiert ist, liegt mit der 26 cm-Markierung an der unteren Zahnreihe. Das Abdomen ist massiv gebläht. In der Thoraxübersicht bestätigt sich eine rechtsendobronchiale Lage des Tubus, die Thoraxdrainage liegt regelrecht, Rippenfrakturen können jedoch nicht bestätigt werden. Nach Lagekorrektur des Endotrachealtubus und Legen einer Magensonde normalisiert sich die Oxygenierung, der Patient kann am gleichen Tag problemlos extubiert werden.

      Hintergrund

      Primär geht der Notarzt aufgrund des Unfallmechanismus zu Recht von einem Polytrauma aus. Der Entschluss zur endotrachealen Intubation erfolgt einerseits klinisch aufgrund der Schmerzen, der erhöhten Atemfrequenz und der angegebenen Dyspnoe, andererseits taktisch im Hinblick auf den Lufttransport. Der Patient ist jedoch kreislaufstabil und gut oxygeniert. Die Atemfrequenz muss retrospektiv in Zusammenhang mit der psychischen Ausnahmesituation und der schmerzhaften Atmung gesehen werden. Unter Umständen hätte in diesem Fall eine Analgesie in Kombination mit einer leichten Sedierung Besserung gebracht.

      Eine geplante Narkoseeinleitung zur Intubation muss unter ungünstigen Verhältnissen genau überdacht werden, da es präklinisch häufig zu Schwierigkeiten kommen kann. Im vorliegenden Fall muss der Notarzt nach Gabe der Medikamente beatmen, da der Patient durch die zentrale Atemdepression nach Fentanyl-Gabe beatmungspflichtig geworden ist. Sehr problematisch bzw. kontraindiziert in dieser Situation (schwierige Maskenbeatmung/Intubation, ungünstige Verhältnisse im RTW) ist die Relaxierung mit einem langwirksamen Muskelrelaxans. In diesem Fall wäre das depolarisierende kurzwirksame Relaxans Suxamethoniumchlorid wegen seiner kurzen Anschlags- und Wirkzeit eher geeignet gewesen.

      Ein weiterer Aspekt ist die regelrechte Lage des Endotrachealtubus. Diese muss regelmäßig auskultatorisch bestätigt werden. Die Dislozierung des Tubus ist vermutlich während der Umlagerung geschehen. Eine mögliche Ursache könnte in dem vom Speichel feucht gewordenen Fixiermaterial liegen. Vor dem Legen einer Thoraxdrainage muss die Tubuslage, wenn nötig auch unter Sicht, nochmals kontrolliert werden. Retrospektiv gesehen hat sich der erhöhte Beatmungsdruck durch die einseitige Lage des Tubus kombiniert mit einem Diaphragmahochstand in Folge der Luftinsufflation in den Magen entwickelt.

      Fehler und Gefahren

       Fehleinschätzung der Verletzungsschwere.

       Fehlinterpretation der Beschwerden.

       Endotracheale Intubation nicht indiziert.

       Thoraxdrainage wegen endobronchialer Lage des Tubus unnötig.

      Fehlervermeidung

       Bei Beatmungsproblemen muss immer zunächst die Tubuslage überprüft werden. Wenn die Auskultation nicht zielführend ist, muss unter Zuhilfenahme eines Laryngoskops unter Sicht die Kontrolle durchgeführt werden.

       Vor Legen einer Thoraxdrainage ist die richtige Lage des Endotrachealtubus zu sichern.

       Ein mit Luft gefüllter Magen sollte mit einer Magensonde entlastet werden. Dadurch werden der Zwerchfellhochstand und somit die Beatmungsdrücke reduziert.

       Für eine Intubation in der Notfallsituation sollte nach Möglichkeit ein depolarisierendes, kurzwirksames Muskelrelaxans verwendet werden.

       Die Tubusfixierung muss in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Sekret aus dem Mund verändert die Haftung.

       Arbeitsdiagnosen sollen immer wieder überprüft werden.

      Der Rettungshubschrauber wird gegen Mittag zu einer Patientin mit Polytrauma alarmiert. Auf einem Kinderspielplatz in ländlicher Umgebung trifft das Hubschrauberteam auf das bodengebundene Rettungsteam.

      Bei der Übergabe ist folgende Anamnese zu erheben: Ein 16-jähriges Mädchen sei rückwärts von einer Schaukel auf den harten Untergrund gefallen und dabei mit dem Kopf zuerst aufgekommen. Als das Notarzteinsatzfahrzeug eintraf, sei die Patientin nicht ansprechbar und tief zyanotisch gewesen. Die Patientin habe keine Spontanatmung gehabt. Der Notarzt habe die Patientin sofort ohne Medikamente intubiert und seitdem beatmet.

      Auch jetzt zeigt die Patientin kein rosiges Hautkolorit. Die Pupillen sind weit und lichtstarr, der Puls ist bradykard. Bei der körperlichen Untersuchung fällt ein prall gespanntes Abdomen auf. Der Notarzt des Hubschraubers lässt sich ein Laryngoskop geben und überprüft die Tubuslage. Bei problemloser Laryngoskopie imponiert eine ösophageale Fehllage des Beatmungstubus. Die Umintubation mit einem neuen Tubus gelingt auf Anhieb. Die Patientin ist nun auskultatorisch seitengleich beatmet. Aus dem Hubschrauber wird ein Kapnometer geholt, mit dem sich endexspiratorisch CO2 nachweisen lässt. Nach Anlage einer dicklumigen Magensonde entweichen massive Luftmengen aus dem Magen.

      Nach 3–5 Minuten unter Beatmung mit reinem Sauerstoff wird das Mädchen rosig, ist kreislaufstabil und hat mittelweite, auf Licht träge reagierende Pupillen. Vor der Lagerung wird die HWS bei dringendem Verdacht auf ein SHT bzw. spinales Trauma mit hohem Querschnitt mit einem Stifneck® immobilisiert. Die Patientin wird achsengerecht auf einer Vakuummatratze gelagert und in ein Klinikum mit neurochirurgischer Abteilung transportiert.

      Hier zeigt sich im CT ein isoliertes HWS-Trauma mit Einengung des Spinalkanals in Höhe von C2. Im weiteren Verlauf bildet sich der hohe Querschnitt nicht zurück. Zudem entwickelt die Patientin ein massives Hirnödem in Folge der Hypoxie.

      Hintergrund

      Im Rahmen eines spinalen Traumas mit Einengung des Spinalkanals kann es, manchmal in Kombination mit einem Schädel-Hirn-Trauma, zur Kompression des Rückenmarks kommen. Bei einem hohen Querschnitt (oberhalb C4) führt die Schädigung zu einem Ausfall der Atmung. In diesem Fall war die Patientin vermutlich unmittelbar nach dem Unfall noch bei Bewusstsein, jedoch aufgrund der spinalen Schädigung nicht mehr in der Lage zu atmen. Als Folge der Sauerstoffunterversorgung traten nach wenigen Minuten eine Hypoxie und Bewusstseinsverlust ein. Durch die Fehlintubation konnte der Sauerstoffmangel natürlich nicht behoben werden.

      !

      Nach jeder Intubation und nach jeder Lageänderung des intubierten Patienten müssen die Lunge beidseits und der Magen (unter Beatmung) auskultiert werden, um eine mögliche Fehllage des Tubus bzw. eine einseitige Beatmung unmittelbar diagnostizieren und behandeln zu können.

      Im vorliegenden Fall wurde vom ersten Notarzt weder auskultiert noch die Thoraxbewegungen beurteilt. Beide Kriterien sind allerdings – wie auch das Beschlagen der Tubusinnenwand – nicht beweisend für eine erfolgreiche Intubation. Die einzig sicheren Indikatoren einer erfolgreichen Intubation sind die „Intubation unter Sicht“ (sichere Passage des Endotrachealtubus durch die Stimmbänder) und der exspiratorische CO2-Nachweis mittels