Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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Flecken, die ihm die Buben gestern auf dem Heimweg beigebracht hatten.

      Er stand mit nichts als seiner Unterhose um die Lenden neben seiner Spüle und sah einer Tablette zu, wie sie im Wasserglas sprudelnd verschwand. Er fragte sich, wie er diesen Vorfall zu deuten hatte. Waren die einfach nur bescheuert? Oder hing das mit dem Mord in irgendeiner Weise zusammen? Warum waren die so wütend, wenn er sich mit Frau Kemal verstand? Wenn er es wagte, einmal für sie die Stimme zu erheben? Die kleinen Rechtsradikalen mussten es doch gewohnt sein, dass Bürger aufstanden, wenn sie Parolen von sich gaben.

      Birne nahm das Glas mit der klaren Flüssigkeit und ging zurück zu seinem Bett. Er legte sich nicht mehr hinein. Dieser Vorfall hatte seine Entschluss- und Tatkraft gestärkt. Er würde jetzt tun, was er sich vorgenommen hatte, er würde nicht mehr zögern. Er war härter geworden. Er hatte etwas verstanden. Er hatte jemanden ernsthaft verletzt und würde dafür keinem Richter Rechenschaft ablegen müssen. Wie Wilder Westen, Cowboy und so. Gegen 10 Uhr wollte Alexa kommen und ihn abholen, sie wollten heute auf den Berg. Berge passten Birne jetzt optimal rein. Berge konnten bezwungen werden. Birne würde Berge bezwingen und wer Berge bezwingt, fürchtete sich vor Menschen nicht mehr. Berge sind Jahrmillionen alt, Berge sterben nicht. Menschen sterben und sind Jahrzehnte alt, sie sind aus Fleisch. Fleisch frisst man voller Verachtung für die Lebewesen, denen es mal Muskeln war. Die Steine isst keiner voller Respekt vor dem Berg, die sie mal waren. Birne würde heute einen Berg bezwingen, aber vorher noch was erledigen.

      Er zog sich an.

      Er fand es praktisch, dass in der Packung der Aids-Einmal-Handschuhe nicht nur ein, sondern vier Paare waren. Er zog sich das zweite Paar über und dachte: Was wird sein, wenn ich die beiden letzten verwenden werde?

      Er stellte sich Simones Gesicht vor und fand es noch attraktiver als in Wirklichkeit. Er stellte sich die Rest- Simone ebenfalls vor und zwang sich aus seiner Fantasie zurück an seine Arbeit.

      Er suchte den Schlüssel aus seiner Hose in einem Wäschehaufen. Er hatte jetzt alles und machte sich auf.

      Er schloss seine Tür ganz vorsichtig, leise schlich er sich durchs stille Treppenhaus. Von unten, aus Kemals Wohnung, kamen Geräusche: Radio, eine schimpfende Frau, Kinder, die dagegenplärrten. Birne war nervös. Er sperrte Frau Zulaufs Wohnung auf und beeilte sich, die Tür hinter sich zuzuziehen. Es war wieder halbdunkel im Gang. Birne erlaubte sich eine halbe Minute, um sich daran zu gewöhnen, streckte dann seine rechte behandschuhte Hand aus und öffnete das Schlafzimmer. Weiß kam ihm entgegen. Weiß war das Licht, weiß war der Bettüberzug – abgesehen von seinen braun getrockneten Blutflecken – und dunkelbraun mächtig dagegen der gewaltige Bauernschrank.

      Birnes Schritte klangen wie Laufen auf dem Strand, weil sie vom Teppichboden gedämpft wurden. Er öffnete den Schrank und erschrak nicht über das Knarren, er rechnete damit. Die Altfrauenkleider, die das letzte Mal mit ihm herausgeflogen waren, waren unordentlich lieblos wieder hineingeschmissen und -gestopft worden. Birne wischte sie zur Seite und sah, was er das letzte Mal entdeckt hatte: In der Rückwand war ein Brett locker, das konnte man zur Seite schieben, dahinter steckte Geld. Das Geheimfach war, wenn es so offen im Tageslicht da lag, nicht schwer zu entdecken, aber normalerweise waren die Kleider davor, und man musste, wie gesagt, draufkommen.

      Birnes Herz schlug noch schneller. Er zog das Brett zur Seite und war nicht enttäuscht, nur noch aufgeregter: Ein dickes Bündel aus 100-Euro-Scheinen steckte da – Frau Zulaufs Ersparnisse.

      Birne griff zu und steckte sich alles in die Hose, was seine Taschen ausbeulte. Er brachte alles in die Ordnung, in der er meinte, alles vorgefunden zu haben, und zog sich lautlos zurück.

      Als er im Gang stand, konnte er dem Drang nicht widerstehen, auch noch mal in den anderen Zimmern zu schauen. Weder im Wohnzimmer noch in der Küche fiel ihm was auf, er musste sich am Schrank im Gang vorbeizwängen, um das erste Mal im Leben in ihr Bad zu schauen und festzustellen, dass auch das Bad keine Auffälligkeiten irgendeiner Art in sich barg. Birne dachte sich: Jetzt hast du es geschafft, und war zufrieden bis glücklich.

      Er sperrte die Wohnung von außen ab und freute sich daran, dass er diesen Schlüssel wohl zu nichts mehr gebrauchen würde.

      Gelassen und ohne zu versuchen, seine Schritte zu dämpfen kehrte er heim. Er streifte die Handschuhe ab und warf sie in den Hausmüll.

      Er trank ein Glas Wasser und leerte seine Taschen auf seinen Tisch: Er hatte rund 15.000 Euro erbeutet. Das Geld schob er in einen Umschlag und versteckte es.

      Er ging zum Telefon, nahm den Hörer in die Hand und atmete noch einmal tief durch, bevor er einige wichtige Anrufe erledigen würde. Könnte sein, dass er heute Abend bereits ein König wäre.

      *

      Kriminalkommissar Bruno Abraham lag auf einem Sofa vor einem uneingeschalteten Fernsehgerät und hasste. Er hasste die Welt, die Weiber, das Wetter, die Umstände, sich, das Fernsehprogramm. Werner sagte immer, wenn sie schafkopften und ein Spiel auf eine dumme Weise verloren ging: »Jetzt läuft die Scheiße bergauf.« Bei ihm lief die Scheiße jetzt bergauf, und die Scheiße hatte einen Namen: Tina.

      Er hatte seinen Namen in der Zeitung gelesen. – Er las keine Zeitung, deshalb hatte er erst einen Anruf von Trimalchio erhalten, daraufhin die Zeitungen gekauft und dann seinen Namen gelesen. Und in einer war sogar ein Interview mit Bild drin. Da hatte ein Heini angerufen, den er schwer hatte abwimmeln können, weshalb er ihm daraufhin was in den Hörer gebrummelt hatte. Die Arschgeigen hatten alles verdreht abgedruckt, doch es klang nicht schlecht und sein Bild daneben sah gut aus. Einige Dinge mussten mal ausgesprochen werden und hier standen sie gedruckt. Darüber war er in eine Feierlaune geraten und hatte Tina angerufen. Die hatte ihn abgewimmelt, wie man eine Fliege aus dem Salat scheucht. Sie hatte ihn heiß gemacht mit ihrer SMS, er hatte sie am Telefon darauf angesprochen, weil er lieber telefonierte als tippte. Sie hatte was von gestern gesagt, heute wieder alles anders: Sie spielte mit ihm. Bruno hasste es, wenn man mit ihm spielte. Die letzte Niederlage kam wieder hoch und würgte ihn. Er hatte Angst, dass für ihn das Geschlechterspiel vorbei war, dass er keinen Zug mehr tun könnte. Das hatte ihn dazu gebracht, sich unheilvoll zusammenzusaufen, daheim und am Stammtisch, viel zu viel zu reden, ein paar Details des vergangenen Abends zu vergessen und schließlich hier finster brütend zu erwachen.

      Es kamen Geräusche von der Tür. Er drehte leicht seinen Kopf und sah seinen Sohn Oliver ihr gemeinsames Wohnzimmer durchqueren, in die Küche gehen und sich, ohne abzusetzen, eine Flasche Mineralwasser hineintrinken.

      »Morgen«, sagte er fertig, als er seinen Vater be­merkte.

      »Morgen«, erwiderte der. »Und?«

      »Nichts«, sagte Oliver. »Scheiße.«

      »Wie scheiße?«

      »Einfach alles scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße«, antwortete Oliver und wollte in sein Bett gehen.

      »Halt. Wo kommst du jetzt her?«

      »Ach, lass mich in Ruhe. Ich will schlafen«, sagte Oliver und schob sich durch die Tür.

      »Halt!«, schrie der alte Vater, doch es hatte keinen Sinn, der Sohn war entschwunden. Bruno sprang auf, dem Bub hinterher und eine eigene Übelkeit runterwürgend. Er packte ihn und schüttelte ihn. »Ich habe ein Recht zu wissen, wo du steckst. Du baust mehr Scheiße, als ein normaler Vater ausbügeln könnte.«

      »Wir haben nichts angestellt.«

      »Habt ihr getrunken?«

      »Sicher nicht mehr als du.«

      Bruno haute seinem Sohn mit aller Kraft, die er hatte, eine ins Gesicht, sodass der umfiel, mitten auf den Gang, einen Augenblick reglos liegen blieb und seinem Vater einen sauberen Schrecken einjagte.

      Oliver weinte, zog sich hoch, schüttelte die helfende Hand seines Vaters ab. »Ich versteh’s langsam.«

      »Was denn?«

      »Warum die Mama abgehaut ist.«

      Bruno brüllte. »Gar nichts verstehst du, du kannst gar nichts verstehen, weil du immer nur mit deinem eigenen Dreck beschäftigt bist und dich überhaupt nicht