Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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an.« Alexa bremste. Sie schaute auf ihrem Display und hatte noch deutsches Netz. Sie wählte. Mailbox. Wie bei Simone und Birne.

      »Glaubst du es mir jetzt?«

      »Ist okay, fahr zu.«

      Sie fluchte ein wenig, weil der Parkplatz im Tal, von dem aus sie losmarschieren wollten, Geld kostete, was früher noch nicht so gewesen war. Birne warf großzügig die Münzen in den Automaten, was sie jedoch nicht recht befriedigte, ihr ging es ums Prinzip.

      Unten führte der Weg an einem Fluss entlang, sehr malerisch, ein Spaziergang. Sie fand seinen Rucksack etwas zu groß für die Tour, die sie vorhatten. Er hatte nicht viel drin, dann war es wieder in Ordnung für sie. Hoffentlich hielt das Wetter. Wenn das Wetter gut war, könnten sie ganz rauf, was dann den ganz geilen Blick auf die Gipfel rund herum erst bedeutete. Die Namen, die kannte sie gut. Auf den Bergen war sie mit ihren Eltern oft in ihrer Kindheit gewesen und auch jetzt immer wieder. Birne vergaß sie immer, wenn er selbst da raufging, seinetwegen würde er auch mit seinen Kindern wandern. Heute wollten sie auf den Widderstein. Widderstein. Widderkopf. Rammen. Schmerz im Bauch. Birne wollte sich kurz setzen. Es ging schon ein bisschen bergauf durch Wiesen. Die Sonne schien jetzt. Man kam ins Schwitzen. Birne zog die neue Jacke aus und entließ sein T-Shirt an die Luft. Er trank. Sie trank auch, sie hatte eine alte Eineinhalb-Liter-Cola-Zero-Flasche dabei. Aus dem Supermarkt, für 25 Cent Pfand.

      »Strengt dich das an?«, fragte sie.

      »I wo.«

      »Treibst du Sport?«

      »Ich bin im Fitnessstudio.«

      »Gut.«

      Weiter.

      *

      Bruno schrie und fluchte. »Das ist doch keine Notaufnahme, das ist ein Scheißpuff.«

      Eine Schwester kam und wollte ihn beruhigen. Bruno wollte sich nicht beruhigen, er wollte schreien. »Mein Sohn stirbt vielleicht, sehen Sie das nicht?«

      Sein Sohn starb nicht gleich, das sah man. Seinem Sohn ging es nicht besonders gut. Er saß auf seiner Wartebank und wartete wie alle hier und schämte sich für seinen Vater. Ihm wäre lieber gewesen, sie wären daheimgeblieben. Das sah man.

      Bruno schwitzte und war selbst blass. Man konnte ihm nicht helfen, das hatte er sich gestern selbst eingebrockt. Das musste er nun zwar nicht auslöffeln, zum Glück nicht, aber durchstehen.

      Mit Schreien ging das einfacher.

      »Ich bin auch Beamter. Wenn wir mit den Leuten so umgingen, wären wir längst bei unserem Dienstherr.«

      »Wir sind keine Behörde.«

      Sie durften rein zum Arzt. Sowieso.

      *

      Sie erreichten eine Hütte, eine einsame Hütte. Birne überredete sie zu einem Radler in der Sonne. Er spendierte. Sie saßen in der Sonne. Birne schwitzte. Er entdeckte ein Schild, unter dem sie saßen und Radler tranken: »Selbstverständlich können Sie Ihre selbst mitgebrachten Speisen und Getränke auf Ihrer selbst mitgebrachten Terrasse verzehren, nur bitte nicht auf dieser.«

      »Spießer«, kommentierte Birne.

      »Ich find’s witzig«, meinte Alexa.

      »Hauptsache, sie können ein damisches Schild aufstellen.«

      »Ja, aber da könnten sie auch draufschreiben ›Essen verboten‹.«

      »Das ist doch witzig.«

      »Ich find das hier besser. Weißt du, die hier oben haben oft nicht mehr als das hier oben, und wenn jetzt jeder sein Zeug selbst mitbringt, dann haben die gar nichts mehr. So haben sie wenigstens ein bisschen ein Auskommen.«

      »Die hätten wahrscheinlich mehr Auskommen ohne die blöden Schilder. Ohne die Schilder fänd ich sie cool, mit sind sie Spießer für mich.«

      Sie konnten sich nicht einigen. Es wurde empfindlich kalt trotz Sonne. Hier oben um die Jahreszeit war die Sonne schwach. Birne zog sich seine Jacke wieder an. Sie tranken ihr Radler schnell, um wegzukommen, so bald es ging. Das Radler rann eiskalt durch ihre Kehlen.

      Nach wenigen 100 Metern wurde Birne wieder heiß, der Weg steiler und unwegiger. Sie mussten nicht steigen, aber sich anstrengen. Alexa lief flott, Birne hielt Schritt, nicht ganz mühelos. Anstrengend war das Reden. Alexa sagte zu wenig, er konnte nicht nur zuhören, er musste selbst sprechen, um die Unterhaltung aufrecht zu erhalten.

      »Und wie ist München so?«

      »Nett.«

      »Bloß nett oder so nett, dass man da auch wohnen kann?«, fragte sie genauer.

      »Ich hab gern dort gelebt.«

      »Und wieso bist du dann weg?«

      »Selbst wenn eine Million da leben können, kann’s sein, dass eine einzige Person das Fass vollmacht und man selbst weg muss, damit es insgesamt wieder passt.«

      »Dann hätt doch die Person auch weg können.«

      »Die hat das nicht so empfunden. Wenn’s nur nach der gegangen wäre, hätte die Stadt München noch ein paar von dem Kaliber aufnehmen können.«

      »Dann hast du wegen ein bisschen Liebeskummer alles hingeschmissen und bist hierher gekommen? Viel Pathos, lieber Birne.«

      »Das war nicht ein bisschen Liebeskummer und alles war nicht viel. In Wirklichkeit hatte es mit Liebe nichts zu tun, es war etwas, was ich für großes Gefühl gehalten habe und am Ende war es kalter Rauch und das hat mich vertrieben. Verstehst du? Diese Erkenntnis.«

      »Was heißt: alles war nicht viel? Was hast du da gemacht in München?«

      »Ich hab zuerst da studiert, und als ich irgendwie irgendwann fertig damit war, wusste ich zuerst nichts mit dieser neuen Fertigkeit anzufangen. Ich bin geblieben, wo ich war, und hab mir mit unbedeutenden Jobs das bisschen Leben verdient, das ich führte.«

      »Dabei wirst du ja blöd. So ohne Ziel dahinzutreiben. Ich müsste auf der Stelle sterben«, rief Alexa entsetzt aus.

      »Das Schönste am Verblöden ist ja, dass du selbst nichts davon merkst.«

      »Und dann? Hast du dich verliebt?«

      »Im Gegenteil. Ich wollte wieder mal für irgendwen irgendetwas empfinden, aber es ging nicht. Da war eine Frau, mit der hab ich es probiert, bis wir beinahe daran glaubten, aber wir waren doch nur Großstadtgänse – hin- und herflattern und denken, das sei jetzt die große Welt. Das hab ich nicht mehr ausgehalten, verstehst du; jeder Tag ist eine neue Lüge, noch größer als die gestrige.« Birne steigerte sich rein, er wurde rot. »Und als ich mich mal richtig ausgeleert habe vor ihr, hat sie gar nicht verstanden, was ich habe; da konnte ich nur noch brüllen und die Tür zuschlagen, und vier Wochen später war ich hier, um mir zu beweisen, dass ich auch anders kann. Jederzeit. Wenn ich will, kann ich den Dreck hinter mir lassen und die Lügen.« Birne schnaufte schwer, nicht nur wegen des Anstiegs. Jetzt war es raus.

      »Zeigst du mir mal München, wie du München kennst, oder fährst du da nicht mehr hin?«, fragte Alexa nach einer Pause.

      »Hinfahren ist kein Problem, hinfahren tu ich gern.«

      »Nächstes Wochenende?«

      »Mal sehen.«

      »Was sehen?«

      »Es kann so viel passieren in der Zwischenzeit. Es passiert so ja schon eine Menge. Ich sag gar nichts mehr, nicht einmal was in fünf Minuten passiert, kann ich dir sagen.«

      »Wir sind 50 Meter weiter oben. Es wird jetzt dann steiler. Geht’s bei dir noch?«

      »Einwandfrei geht’s bei mir noch.«

      Sie zog an mit der Geschwindigkeit, als sie sagte: »Dann verrat mir doch endlich, wie sie heißt, wo sie herkommt, was sie macht.«

      Birne zog mit und schnaufte, als er sagte: »Simone heißt sie vielleicht, dass mal eine Ruhe ist.«