im Container zu entsorgen. Unnütz, auch wenn sie nicht stinken. Während er versucht, die Balkontür zu schließen, hebt er den Kopf und schaut zum Fenster im gegenüberliegenden Wohnhaus. Er erblickt orangefarbene Wandtapeten. Die Wandfarbe in seiner Wohnung scheint ihm eine bessere Wahl zu sein. Das Morgenlicht macht die Tiefe im Inneren der Wohnung gegenüber zunichte. Bender denkt, dort könnten jederzeit ein Kameramann, ein Regisseur und ein Filmteam auftauchen. Er sollte irgendwo in Deckung gehen, falls er weiterhin zuschauen möchte, denkt er. Der Wind wirbelt Staub und Vogelgefieder auf dem Balkon durcheinander und überzieht seine nackten Füße damit. Am Fenster der gegenüberliegenden Wohnung taucht zuerst ein Mann mit nacktem Oberkörper auf. Er ist vermutlich knapp über dreißig. Er greift sich an die Brust. Dann kratzt er sich am Hintern. Er bewegt sich durchs Zimmer, als würde ihm jemand eine Choreografie und die Abfolge seiner Bewegungen diktieren. Er öffnet den Mund. Öffnet den Kasten. Holt eine Tasse. Schließt den Kasten. Öffnet den Mund. Plötzlich hält er eine Zigarette in der Hand. In dem Moment, als er die Zigarette anzündet, kommt eine Frau mit kurzen Haaren dazu. Sie sieht aus wie ein Junge, der nicht älter ist als sechzehn Jahre. Ihre Brüste sind unter ihrem T-Shirt kaum zu sehen. Sie steht ganz in seiner Nähe. Sie berührt seine Hand. Zwei Personen, eng aneinandergeschmiegt, versuchen, den Tag zu beginnen. Die Nähe lässt ihnen wenig Spielraum. Beide öffnen den Mund. Die Frau steckt sich ein Stück von etwas in den Mund und beginnt zu kauen, zugleich deutet sie mit der Hand. Irgendetwas stimmt nicht. Irgendetwas läuft an diesem Morgen schief. Die Frau verschwindet aus dem Bild. Der Mann öffnet den Mund, zugleich bewegt er den Kopf gerade genug, um Bender auf dem Balkon zu sehen. Der Mann schließt den Mund. Ihre Blicke treffen sich in dem Moment, in dem beide sich wünschten, unbemerkt zu bleiben. Der Mann hebt den Arm und winkt. Bender denkt, er sollte sich besser verstecken, sich in einen weggeworfenen Gegenstand verwandeln. So wie jetzt, so bloßgestellt, wartet er nur darauf, dass der Mann auf der anderen Seite das Feuer eröffnet. Der junge Mann ist stärker, hat breite Schultern und Brusthaare. Schon nach dem ersten Schlag würde der junge Mann den Sieg davontragen. Bender kann keine Rechtfertigung dafür finden, dass er auf seinem Balkon steht und die Außenwände des Lebens dieser Leute betrachtet. Der Mann öffnet das Fenster, hebt eine Hand, streckt sie durchs Fenster und winkt langsam, aus der Schulter heraus. Bender weiß nicht, was er ihm antworten soll, und ignoriert den Mann. Er muss ein Alibi für seinen Aufenthalt auf dem Balkon finden. Bender bückt sich und hebt die Plastiktasche mit den Überresten der toten Taube, trägt sie in die Küche und schließt die Tür. Der Mann bleibt am Fenster stehen. Der Zigarettenrauch, den er durch Nase und Mund bläst, sieht aus wie warmer Dampf in kalter Winterluft. Der Mann hebt die Arme und atmet ein. Bender steht neben der Balkontür mit der toten Taube in der Plastiktasche und versucht, sich davon zu überzeugen, dass er vernünftig gehandelt hat, allerdings hat sich der Gestank bereits im gesamten Raum ausgebreitet. Er findet noch eine Plastiktasche und nimmt eine zusätzliche Mumifizierung der Überreste vor. Er atmet durch den Mund. Sollte der Gestank ein weiteres Mal bis in seine Wahrnehmung vordringen, würde er ihn erschlagen, wie man einen Hammerschlag auf den Kopf eines Schweines setzt. Er schickt seine Gedanken zu den Dingen, die schon lange abwesend und weit weg sind. Er denkt an all das, wofür man eine übermenschliche Konzentration benötigt, um es zu denken, an Dinge, die zu schwach sind, um selbst einen Beweis für ihre eigene Existenz zu erbringen. Bender schaut zu dem Mann, dem in der Zwischenzeit ein weiteres Paar Arme gewachsen ist. Gleich unter den Schultern befindet sich ein Paar schmaler Arme, die den Mann um die Brust halten, während er den Rauch der morgendlichen Zigarette ausbläst. Dann entfernt sich die Frau und nimmt ihre Arme mit. Die Illusion funktioniert nur dann, wenn sie nicht allzu lange währt. Bender zieht den Vorhang der Balkontür zu. Mit wenigen Schritten geht er von einem Zimmer ins andere, dann ins dritte, wobei er versucht, mit seinen Schritten den Trübsinn an unzugängliche Stellen hinter die Dinge zu befördern. Der allzu lange angesammelte Trübsinn wiegt immer schwerer. Bald wird Bender nicht einmal mehr eine Blumenvase von der Stelle bewegen können, geschweige denn einen Schrank oder einen Tisch. Man müsste die Eimer mit Farbe in den Keller tragen. So bald wie möglich. Sie in die Dunkelheit verfrachten wie in den hinteren Teil des Gehirns, wo alles, das nirgendwohin gehört, in der Schwebe aufbewahrt wird. In der rechten Hand dreht sich die Plastiktasche trotz der Reglosigkeit des toten Fleisches, das in ihr aufbewahrt ist. Bender scheint, dass der Inhalt der Plastiktasche zuckt. Er schüttelt sie mit der Hand. Die Rückkehr ins Leben ist die Hoffnung der Lebenden. Die Toten denken nicht an sich und haben keine Wünsche. Abermals schüttelt er die Plastiktasche mit dem toten Tier darin. Kein Wunder geschieht. Wunder muss man sich für Beerdigungen, Hochzeiten, Sonntage und andere unerträgliche Augenblicke aufheben. Er legt die Plastiktasche auf einen Eimer mit Farbe und kehrt wieder in die Küche zurück. Er macht den Vorhang an der Balkontür auf. Einige Minuten wartet er noch, aber das Paar auf der anderen Seite taucht nicht mehr auf. Er erblickt ein weiteres Vogelpaar, das auf der zugeschissenen schattigen Seite des Balkons sitzt. Er hebt eine Hand und schreit, um den Vögeln Angst einzujagen, aber das gelingt ihm nicht. Er setzt sich an den Tisch. Er nimmt Papier und Bleistift zur Hand. Man muss eine Nachricht hinterlassen. Das Papier faltet er in der Mitte. Er zeichnet ein Gitter. Anschließend schreibt er in jedes zweite Feld je einen Buchstaben. Leere Felder. Die Wörter haben keine Bedeutung, obwohl die Buchstaben innerhalb der Quadrate überzeugend und stabil aussehen. Neben den Quadraten zeichnet er das Gesicht von Mickey Mouse. Es ist die einzige schablonenhafte Zeichnung, die er beherrscht. Die Nachricht hinterlässt er angelehnt an den Rest des Marmorkuchens. Außer ihm wird niemand wissen, wie man diese Nachricht lesen muss.
Der Ablauf sieht folgendermaßen aus: zunächst der Trieb, dann die Vorahnung einer unvermeidlichen Veränderung, die, noch bevor sie stattfindet, zu Übelkeit führt – ein legitimes filmisches Verfahren.
Bender kehrt ins Zimmer zurück, zieht sich eine Hose an und steckt seine nackten Füße in Schuhe. Mit jeder Hand nimmt er einen Eimer mit der nicht verwendeten Wandfarbe und verlässt die Wohnung.