Название | Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden |
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Автор произведения | Max R. Liebhart |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960180685 |
Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass das Gebilde auf der linken Säule in Wirklichkeit gar kein Löwe ist. Vielmehr wurden einer Chimäre, deren Herkunft nicht ganz klar ist – diskutiert werden Assyrien, Etrurien, Persien und sogar China –,
erst später Flügel und Buch hinzugefügt (das geschlossen und deshalb Symbol für den Krieg ist). Der Löwe, der in alten Zeiten vergoldet war, schaut nach Osten, also in Richtung auf das Meer und symbolisiert somit die Herrschaft Venedigs zu Wasser.
Auf der rechten Säule steht Todaro, wie die Venezianer den hl. Theodor von Euchaita nennen (es handelt sich dabei um eine Kopie, während das Original im Hof des Dogenpalastes aufbewahrt wird). Um das Jahr 300 n. Chr. erlitt er das Martyrium und wurde zum griechischen Soldatenheiligen. Im byzantinischen Heer besonders verehrt, galt er dagegen in Venedig nur als ein „mittelrangiger Heiliger“ (Lebe). Bis 828 war er der Staatspatron, dem Jahr, in dem die translatio, die Überbringung des Leichnams des hl. Markus nach Venedig stattfand. San Marco war als Evangelist natürlich bei weitem „ranghöher“, so dass der hl. Theodor nach dessen Ankunft bedeutungslos wurde. Seine Kirche lag dort, wo sich heute S. Marco erhebt, verschwand nach und nach und wurde schließlich von der Markuskirche förmlich aufgezehrt. Die Statue ist ein pasticcio, eine Mischung aus einem hellenistischen Kopf (vielleicht ein Portrait von Mithridates, dem König von Pontus) und einer römischen Gewandstatue. Das Krokodil, auf dem Todaro steht, eine Zutat aus dem frühen Quattrocento, gehört zwar zur Ikonografie des Heiligen, was auch auf Darstellungen an der nach ihm benannten Scuola Grande neben der Kirche S. Salvatore (in der Nähe der Rialtobrücke) erkennbar wird. Seine Bedeutung aber ist undeutlich geworden. (Tötschinger stellt dazu fest, der Drache sei das Symbol für den Teufel, und der Fuß des Heiligen auf ihm bedeute den Sieg über die Finsternis). Todaro hält den Schild in der rechten, also eigentlich in der „falschen“ Hand, mit der normalerweise das Schwert geführt wird, was dahingehend interpretiert wird, dass Venedig nie von sich aus angegriffen, sondern sich immer nur verteidigt, also nur dann Krieg geführt habe, wenn es dazu gezwungen war.
Im Übrigen ist „fra Marco e Todaro“ ein venezianisches Sprichwort, das den Zustand der Ratlosigkeit ausdrückt. Eine weitere, ausgesprochen drohende Redewendung ist in Venedig gebräuchlich, wenn man jemanden einschüchtern möchte und deshalb zu ihm sagt: „Ich zeige dir die Uhr“. Gemeint ist damit die Uhr am Uhrturm, ein Anblick, der für viele Menschen das Letzte war, was sie in ihrem Leben zu sehen bekamen, vor ihrer Hinrichtung nämlich.
Die Säulen waren früher mit Buden umstellt. Das vor ihnen liegende Ufer wird molo genannt, ein Wort, das so viel wie „Schutz vor der Gewalt des Wassers“ bedeutet. Hier lag das offizielle Entrée für die Besucher der Stadt, außerdem der Ankerplatz der Handelsschiffe. Heute sind am molo zahlreiche Gondeln festgemacht.
Blickt man vom Ufer zurück auf die kurze südliche Fassade von S. Marco, findet man an einem kubischen, fensterlosen Bau mit feinster vielfarbiger Marmorverkleidung, dem Tesoro, der Schatzkammer von S. Marco, in der Ecke eine Figurengruppe eingelassen. Sie ist aus rotem Porphyr gefertigt, dem Stein, der in der Antike dem kaiserlichen Hause und den Göttern vorbehalten war. Die vier Männer, die sich paarweise einander zuwenden und sich umarmen, werden als Tetrarchen, also als Kaiser Diokletian und seine drei Mitkaiser Maximian, Valerius und Constantinus Clorus gedeutet und somit dem 4. Jahrhundert zugewiesen. Die Gruppe (eine Kopie, das Original befindet sich im Museum von S. Marco) wurde in Ägypten bzw. in dortigen Porphyrsteinbrüchen der Römer gearbeitet. Sie stammt aus dem Philadelphion von Konstantinopel, wo sie sich bis 1204 befand. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass einem der vier Männer ein Fuß fehlt. Vor längerer Zeit hat man bei Grabungen in Istanbul genau diesen Fuß gefunden, ein Beweis für die Herkunft der Gruppe aus dieser Stadt.
Die Tetrarchen werden von den Venezianern als Mohren oder auch als i Mori ladroni bezeichnet. Die Legende erzählt dazu, dass einst Diebe den Schatz von S. Marco rauben wollten und dafür in Stein verwandelt wurden.
Vor der Südfront von S. Marco sind zwei reliefverzierte Marmorpfeiler zu sehen, deren Herkunft und Datierung unsicher sind. Gemäß alter Überlieferung sollen sie zwischen dem 6. und 12. Jahrhundert entstanden und Siegestrophäen der Venezianer nach einem Sieg im syrischen Akkon im Jahre 1258 sein. Tatsächlich aber stammen sie aus der Polyeuktoskirche in Konstantinopel und wurden dort 524–527 gefertigt.
Gleich daneben, an der Südwestecke von S. Marco, steht der Stumpf einer Porphyrsäule, die Pietra del Bando, deren Herkunft nicht genau benennbar ist. Sie wurde zu Zeiten der Republik als Plattform genutzt, von der aus Gesetze und Erlasse verkündet wurden. Daneben diente sie dazu, die Köpfe, die man Hochverrätern abgeschlagen hatte, drei Tage und drei Nächte auszustellen. Die Säule überstand den Einsturz des campanile im Jahre 1902 unbeschadet, was sicher der Härte des Porphyrs zu verdanken ist. Es wird berichtet, die Trümmer des Turms seien von ihr aufgehalten und umgelenkt worden, so dass sie die Kirche vor Schaden bewahrt habe, was jedoch als eine etwas romantische Interpretation anzusehen ist.
Vor der Hauptfassade der Kirche stehen drei Flaggenmasten aus Zedernholz, die früher die Fahnen von Candia (Kreta), Morea (Peloponnes) und des Königreichs Zypern trugen. Heute wehen hier an Sonn- und Feiertagen die Fahnen Italiens, der EU und Venedigs. Zwischen den Flaggenmasten wurde bis 1576 der Sklavenmarkt der Stadt abgehalten. Herrliche Arbeiten sind die Bronzesockel, die Alessandro Leopardi 1505 gegossen hat. Sie wurden stilbildend für zahlreiche Nachempfindungen des 19. Jahrhunderts, die in verschiedenen Städten Europas anzutreffen sind. Als Werke der Renaissance übernehmen sie Formen der Antike. An den Sockeln der seitlichen Masten sind Motive des Meeres wie Neptun, die Nereiden und Tritonen dargestellt. Der mittlere Sockel zeigt Justitia, das Symbol der Gerechtigkeit, sowie Pallas, die den Überfluss versinnbildlicht. Er trägt außerdem drei Medaillons mit jeweils einem Dogenportrait, welches als das von Leonardo Loredan, Doge von 1501 bis 1521, identifizierbar ist. Solche öffentlich sichtbaren Portraits waren im republikanischen Venedig völlig ungewöhnlich.
Bevor man sich den einzelnen Gebäuden zuwendet, sei eines der Grundthemen venezianischer Architektur, das der Säulenarkade, hervorgehoben. Es ist an fast allen Gebäuden von Piazza und Piazzetta konsequent verwirklicht. „Alle Bauwerke am Markusplatz, auch die Markuskirche, schließen sich nach außen nicht hermetisch ab, sondern öffnen sich nach draußen im Erdgeschoss völlig, in den oberen Geschossen weitgehend, so dass sich in den Fassaden ‚Draußen‘ und ‚Drinnen‘, öffentlicher und privater, profaner und sakraler Bereich durchdringen und gleichzeitig architektonisch zur Anschauung gebracht werden.“ (Hubala)
► Die Markuskirche
Die Basilica di San Marco überragt an Bedeutung alle anderen Gebäude der Stadt, allenfalls der Dogenpalast kann ihr zur Seite gestellt werden. Dieser ist aber seit 1797 zweckentfremdet und heute nur mehr ein riesiges Museum seiner selbst. S. Marco jedoch, seit 1807 durch ein Dekret Napoleons die Kirche des Patriarchen von Venedig, ist bis zur Gegenwart im Wesentlichen unverändert geblieben. Dieses Bauwerk ist sicher einer der schönsten Sakralbauten, die es gibt, und kann wohl am deutlichsten ein Gefühl dafür vermitteln, was das Venedig der Republik einmal war. Es gibt viele Gesichtspunkte, die die herausragende Bedeutung dieses Kirchenbaus unterstreichen. Einer von ihnen sei durch ein Zitat veranschaulicht: „Die Kostbarkeit des Materials wurde durch die höchsten Ziele geheiligt und in der feierlichen Pracht ist alles so zueinander passend und richtig angeordnet, dass man nicht erst um ein Wunder zu bitten braucht. Selbst die unermesslichen und seltenen Schätze der Kirche, wie das berühmte Altargemälde ... berührten mich durchaus nicht wegen ihres Geldwertes ... Die Edelsteine anderer Kirchen sind auffällige und lächerliche Anhäufungen von Kleinodien, doch die Markuskirche, in der die winzigste Fläche eine herrliche Arbeit aus wertvollstem Material sichtbar werden lässt, verweist die Juwelen