Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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allen Seiten umzingelt war und dem Untergang ins Auge blickte, sich aber in letzter Sekunde doch noch behaupten konnte. In diese Zeit fiel auch die Ausdehnung des Besitzes der Republik auf dem Festland, wofür besonders der Name des Dogen Francesco Foscari (1423–57) steht, dessen territoriale Forderungen einen Krieg von dreißig Jahren Dauer heraufbeschworen. Diese Hinwendung auf das Festland war ein zweischneidiges Schwert. Zwar wurde durch sie der Reichtum der Stadt erheblich vermehrt und auch die schmale Basis der Bevölkerungszahl verbreitert, aber zugleich gab Venedig seinen Charakter als Inselstaat auf und geriet als Territorialmacht in Konfrontation und Rivalität mit den italienischen Nachbarn; es wurde hineingezogen in die fast undurchdringlichen Verflechtungen der politischen Verhältnisse auf der italienischen Halbinsel, die ein Historiker mit einem „Schlangennest“ verglichen hat. Letztlich führte das zur „Liga von Cambrai“, die sich 1508 formierte und in der sich politisch die ganze damalige Welt, also Papst, Mailand, Spanien, Frankreich, Deutsches Reich und Ungarn gegen Venedig zusammenschloss – und die Osmanen nahmen die Gelegenheit gerne wahr, ihrerseits über Venedig herzufallen. Nach einer verheerenden Niederlage, die die Venezianer 1509 bei Agnadello erlitten, eroberten die Truppen der Liga praktisch das gesamte venezianische Hinterland und bedrohten Venedig unmittelbar. Doch war auch damals nichts so verlässlich, wie die Unzuverlässigkeit der Starken, wodurch die Liga rasch wieder auseinanderbrach. Auf diese Weise konnte sich Venedig noch einmal retten und die alten Besitzungen fast vollständig zurückgewinnen, ging aber aus dem Krieg letztlich als zweitrangige Macht hervor – das Zeitalter der Nationalstaaten mit ihren Volksheeren war angebrochen.

      Kurz vor diesem Krieg gab es 1498 mit der Umrundung Afrikas durch Vasco da Gama und der damit verbundenen Entdeckung des Seeweges nach Indien ein Ereignis, das die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Venedig nachhaltig veränderte. Der Preis für den Pfeffer brach am Rialto zusammen und zog einige Banken mit in den Ruin. Das Mittelmeer verlor seine zentrale Bedeutung für Schifffahrt und Weltwirtschaft. Die wirtschaftlichen Folgen waren so tiefgreifend, dass die Republik damals ernsthaft erwog, einen ersten Suezkanal zwischen Ägypten und der Sinai-Halbinsel zu bauen.

      Der politische Abstieg Venedigs zur Mittelmacht war jedoch nicht mit einem entsprechenden wirtschaftlichen Niedergang verbunden. Im Gegenteil war der Reichtum größer als zuvor. Ende des 16. Jahrhunderts befand sich Venedig in einem wirtschaftlichen Zustand, den Zorzi wie folgt beschrieb: „Venedig war damals so überreich und bis an die Grenze des Unbehagens überladen, dass es an eine prächtige, schon überreife Frucht erinnerte“. Eine solche Entwicklung konnte auf die Dauer nicht gut gehen, weil durch sie geradezu zwingend Begehrlichkeiten geweckt werden mussten. Als dann die Französische Revolution neue Ideen in die Welt setzte und das revolutionäre Frankreich einen General hervorbrachte, der keinerlei Skrupel kannte, war die Zeit reif für den Untergang der Republik.

      Niedergang der Republik

      Dieser erfolgte gewaltsam 1797, in dem Jahr, in dem Lodovico Manin, der 120. und letzte Doge, sein Amt niederlegte, der Große Rat das Ende der Republik erklärte und vor Napoleon kapitulierte. Der Weg bis zu diesem Ereignis war durch zunehmende politische Machtlosigkeit gekennzeichnet, wobei die Besitzungen auf der terra ferma noch relativ stabil blieben, das levantinische Besitztum jedoch unaufhaltsam Stück für Stück durch die Türken erobert wurde. Daran konnte auch ein Seesieg wie der von Lepanto 1571 durch die vereinten Flottillen Venedigs, Spaniens und des Papstes unter dem Oberkommando von Don Juan d’Austria, Sohn Kaiser Karls V., nichts ändern. 1718 setzte der Friede von Passarowitz, der bezeichnender Weise zwischen Österreich und den Türken, aber ohne venezianische Beteiligung geschlossen wurde, einen Schlusspunkt, durch den die Stadt sämtliche Besitzungen im östlichen Mittelmeer verlor. Venedig war keine Macht mehr, die man an Vertragsabschlüssen beteiligte, entschieden wurde in Wien, Istanbul, Madrid, Paris und London. Venedig war schließlich einfach zu klein, um sich gegen die sich bildenden Nationalstaaten zu behaupten. Außerdem waren wohl auch einige der früheren Tugenden, die den Aufstieg ermöglicht hatten, wie Entschlusskraft und unbedingter Einsatzwille, abgeschwächt oder ganz abhandengekommen. Vermutlich kam es so zu der fatalen Entscheidung, sich mit einer „unbewaffneten Neutralität“ gegen ein französisches Revolutionsheer unter Napoleon bzw. gegen die Expansionsgelüste von Frankreich und Österreich behaupten zu wollen.

      Bis 1866, mit Ausnahme der Jahre 1804–14, in denen die Stadt Napoleon unterstand, war Venedig österreichisch. Ein Aufstand unter Daniele Manin 1848 wurde nach langer Belagerung und massivem Artilleriebeschuss niedergeschlagen. Ab 1866 gehörte Venedig zum Königreich Italien. Der Verlust der terra ferma hatte schon vorher durch den damit verbundenen Wegfall der wirtschaftlichen Grundlagen zu einem dramatischen Niedergang geführt, aus dem Venedig als die morbide Stadt hervorging, als die sie in der Dichtung häufig geschildert wird. Einen gewissen Ausgleich stellt der zunehmende Tourismus dar, der allerdings die Entwicklung zur Museumsstadt mit anhaltendem Bevölkerungsrückgang vorantreibt.

      Verfassungsentwicklung und Staatsorgane

      Die Entwicklung der Verfassung verlief über mehrere Jahrhunderte, in denen zunächst die Loslösung von Byzanz betrieben wurde, während später, genauer gesagt seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, sich der Adel gegen Dogen und Bürgertum durchsetzte und die Gremien der aristokratisch-oligarchischen Machtausübung entstanden. Höhepunkt dieser Entwicklung war das Wahlgesetz des Jahres 1297, das auch als die sogenannte serrata in die Geschichte eingegangen ist. Darunter ist die Schließung des Großen Rates zu verstehen, bei der festgelegt wurde, welche Familien in das „Goldene Buch“ der Stadt eingetragen wurden und somit dem Adel angehörten, dem Teil der Bevölkerung der Republik, der alleine bei Regierungsgeschäften mitbestimmungsberechtigt war. Die Verfassung, die sich bis dahin herausgebildet hatte, blieb dann bis zum Ende der Republik im Jahr 1797 im Wesentlichen unverändert, war also 500 Jahre stabil, was man als eine außerordentlich erstaunliche Tatsache würdigen muss. Hier können nur die Grundzüge dieser Verfassung nachgezeichnet werden.

      Die verfassungsrechtliche Ordnung der Anfänge des venezianischen Staatsgebildes entsprach der einer byzantinischen Grenzprovinz, zu der außer Venetien und die Lagunen auch noch Istrien, die Emilia, die Küste von Ravenna bis tief nach Süditalien, zeitweise auch Neapel, Teile der Toskana und Ligurien gehörten. Eine Veränderung ergab sich erst mit dem Machtverfall von Byzanz, der gegen Mitte des 8. Jahrhunderts immer deutlicher wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde die byzantinische Provinz durch den Exarchen von Ravenna regiert, der oberster Befehlshaber in allen Militär- und Zivilbelangen war. Ihm unterstanden die von ihm ernannten magistri militum, die für die einzelnen Grenzprovinzen (limites) zuständig waren und einzelne Aufgaben an duces delegieren konnten. Bestimmte Verteidigungsanlangen wie Festungen unterstanden tribunen. Waren die duces zunächst den magistri militum unterstellt, so verwischte sich dieser Rangunterschied nach und nach, bis schließlich der Titel magister militum nur mehr ein Ehrentitel war. Im Jahr 697 wurde Paoluccio (Paulutius) Anafestus vom Exarchen von Ravenna als dux eingesetzt. Die Chronik berichtet, dass der Patriarch von Grado eine Versammlung der Tribunen und Kirchenfürsten einberufen haben soll, die den neuen Herzog durch Akklamation bestätigte. An dieser Versammlung sollen zwölf Mitglieder der später sogenannten (etwa 90) case vecchie (Adelsgeschlechter) teilgenommen haben, nämlich die Badoer, Barozzi, Contarini, Dandolo, Falier, Gradenigo, Memmo, Michiel, Morosini, Polani, Sanudo und Tiepolo, die deshalb die „apostolischen Familien“ hießen.

      747 entstand aus dem dux das Amt des Dogen, der folgerichtig der Mächtigste im Staate Venedig wurde, aber angewiesen blieb auf die Unterstützung durch den lokalen Adel, dem einzelne Staatsgeschäfte delegiert wurden. So entstanden schon früh die Voraussetzungen für eine Dualität und damit für ein Kräftemessen zwischen dem Herzog (Dogen) und dem Adel. Von Anfang an setzte letzterer alles daran, die Entstehung einer Erbmonarchie einer bestimmten Familie zu verhindern, wobei solche Intentionen natürlich im Interesse der jeweiligen Dogen gelegen haben. Mit solchen Bestrebungen sind recht viele Dogen gescheitert. Wie heftig die Auseinandersetzungen gewesen sein müssen, ergibt sich aus der Tatsache, dass von den ersten 50 Dogen 19 getötet, verbannt oder abgesetzt wurden. Sieger blieb letztlich der Adel. 1032 erging ein erstes Staatsgrundgesetz, das dem Dogen verbot, Nebenherrscher zu ernennen. Damit erhielt der Doge gewissermaßen erstmals einen gesetzlichen Rahmen, was gleichbedeutend war mit dem Ende der absoluten Dogenmacht. Außerdem wurde ihm im gleichen Jahr ein beratendes – und kontrollierendes – Kollegium beigeordnet. In der Folgezeit erfolgte Schritt für Schritt