Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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damit verbunden wäre, war wirklich sehr eigenartig. Wer wäre mit einer derartigen Halluzination zufrieden und würde sie Macht nennen? Hätten wir nicht tausendfache Erfahrungen gehabt, die zeigen, dass diese innere Macht fähig ist, das Mental zu verändern, dessen Fähigkeiten zu entwickeln, neue hinzuzufügen, neue Bereiche des Wissens zu öffnen, vitale Regungen zu meistern, den Charakter zu verändern, Menschen und Dinge zu beeinflussen, die Beschaffenheit und das Funktionieren des Körpers zu kontrollieren, als dynamische Kraft auf andere Kräfte einzuwirken und Ereignisse zu verändern usw. usw., würden wir nicht darüber sprechen, so wie wir es tun. Außerdem ist die Kraft nicht nur in ihren Ergebnissen fühlbar und konkret, sondern auch in ihren Bewegungen. Wenn ich davon spreche, die Kraft oder Macht zu fühlen, meine ich nicht, dass ich einfach eine undeutliche Empfindung von ihr habe, sondern dass ich sie konkret fühle und folglich in der Lage bin, sie zu lenken, zu handhaben, ihre Bewegung zu beobachten, dass ich mir ihres Ausmaßes und ihrer Intensität bewusst bin und gleichfalls derjenigen von anderen, vielleicht entgegengesetzten Kräften; all diese Dinge sind möglich und üblich durch die Entwicklung des Yoga.

      Eine Macht kann nicht ohne Bedingungen und Einschränkungen wirken, es sei denn die supramentale Macht. Die Bedingungen und Einschränkungen, unter denen der Yoga oder die Sadhana erarbeitet werden müssen, sind nicht willkürlich oder unberechenbar; sie ergeben sich aus der Natur der Dinge. Diese und der Wille, die Empfangsbereitschaft, die Zustimmung, das Sich-Öffnen und die Hingabe des Sadhaks müssen von der Yoga-Kraft berücksichtigt werden – es sei denn, diese erhält die Sanktion des Höchsten, sich über alles hinwegzusetzen, um ein Geschehnis herbeizuführen; doch diese Sanktion wird selten erteilt. Allein wenn die supramentale Macht voll herabkäme und nicht nur ihre Einwirkungen durch das Obermental senden würde, können die Dinge ganz radikal jenem Ziel zugewandt werden; und auch die Sanktion würde dann erteilt. Denn das Gesetz der Wahrheit wäre am Werk und würde nicht ständig durch das Gesetz der Unwissenheit ausgeglichen.

      Und dennoch, Yoga-Kraft ist immer fühlbar und konkret, so wie ich es beschrieben habe, und sie hat greifbare Ergebnisse. Doch sie ist unsichtbar und kann nicht mit einem erteilten Hieb verglichen werden oder mit dem Krachen eines Autos bei einem Zusammenstoß, Dinge, welche die physischen Sinne sofort wahrnehmen können. Woher soll daher das rein physische Mental wissen, dass sie vorhanden und am Werk ist? Durch ihre Folgen? Doch woher soll es wissen, dass es die Folgen der Yoga-Kraft waren und nicht etwas anderes? An einem von zwei Vorgängen kann es sie erkennen. Entweder es erlaubt dem Bewusstsein, sich nach innen zu wenden, der inneren Dinge gewahr zu werden, an die Erfahrung des Unsichtbaren und Überphysischen zu glauben, um dann durch diese Erfahrung, durch das Sichtbarwerden neuer Fähigkeiten sich dieser Kräfte bewusst zu werden, ihre Wirkungsweise zu erkennen, ihnen zu folgen und sie zu benutzen – ebenso wie der Wissenschaftler die unsichtbaren Kräfte der Natur benutzt. Oder aber man muss Glauben haben, sich beobachten und öffnen – dann wird es [das physische Mental] zu erkennen beginnen, wie die Dinge sich ereignen, es wird bemerken, dass, sobald die Kraft gerufen wurde, sich nach einiger Zeit ein Ergebnis abzeichnet, dass sich dies öfter und öfter wiederholt, dass die Folgen klarer und deutlicher, häufiger und beständiger werden und sich das Gefühl und die Wahrnehmung der wirkenden Kraft verstärken – bis es zu einer täglichen, regelmäßigen, normalen und vollständigen Erfahrung wird. Dies sind die beiden hauptsächlichen Methoden, die eine innerlich, von innen nach außen wirkend, die andere äußerlich, von außen wirkend und die innere Kraft hervorrufend, bis sie durchdringt und im äußeren Bewusstsein sichtbar wird. Doch nichts kann geschehen, solange man auf der extrovertierten Haltung beharrt, auf dem äußeren Konkreten allein, und solange man sich weigert, ihm das innere Konkrete hinzuzufügen; oder wenn das physische Mental bei jedem Schritt den Tanz des Zweifels tanzt, der die entstehende Erfahrung sich nicht entwickeln lässt. Selbst der Wissenschaftler, der an einem neuen Experiment arbeitet, hätte nie Erfolg, wenn er seinem Mental eine derartige Verhaltensweise durchgehen ließe.

      *

      Konkret? Was meinst du mit konkret? Spirituelle Kraft ist auf ihre eigene Weise konkret; sie kann eine Form annehmen (zum Beispiel wie ein Strom), die man wahrnimmt und ganz konkret auf ein bestimmtes Objekt senden kann.

      So stellt sich die tatsächliche Macht dar, die spirituellem Bewusstsein innewohnt. Doch gibt es ebenfalls so etwas wie den gewollten Gebrauch einer feinen Kraft – diese kann spirituell, mental oder vital sein –, um ein bestimmtes Ergebnis an einem bestimmten Punkt in der Welt herbeizuführen. So wie es Wellen einer ungesehenen physischen Kraft gibt (kosmische Wellen usw.) oder Elektrizitätsströme, so gibt es Mental-Wellen, Gedankenströme, Emotions-Wellen – wie zum Beispiel Ärger, Sorge usw. –, die hinausgehen und andere beeinflussen, ohne dass diese wissen, woher sie kommen, oder dass sie überhaupt kommen; sie fühlen lediglich das Ergebnis. Einer, dessen okkulte oder innere Sinne wach sind, kann sie kommen und in sich eindringen fühlen. Gute und schlechte Einflüsse können sich auf diese Weise zeigen; dies kann unabsichtlich und auf natürliche Weise geschehen, doch ebenso kann willkürlicher Gebrauch davon gemacht werden. Es gibt auch eine gezielte Erzeugung von Kraft, sei es von spiritueller oder anderer Art. Auch kann ein starker Wille oder eine Idee angewandt werden, die unmittelbar wirken, ohne die äußere Tat, Rede oder eine andere Instrumentation zu Hilfe zu nehmen; diese wären in jenem Sinne nicht konkret, doch nichtsdestoweniger wirkungsvoll. Solche Dinge sind keine Phantastereien, Täuschungen oder Humbug, sondern wirkliche Phänomene.

      *

      Die Tatsache, dass du die Kraft nicht fühlst, ist kein Beweis, dass sie nicht existiert. Auch die Dampfmaschine fühlt nicht die Kraft, die sie bewegt, und doch existiert die Kraft. Ein Mensch sei keine Dampfmaschine? Nun, er ist nur sehr wenig mehr, denn er ist sich nur einiger Blasen an der Oberfläche bewusst, die er sein „Selbst“ nennt, und er ist sich all der unterbewussten, unterschwelligen und überbewussten Kräfte, die ihn bewegen, durchaus nicht bewusst. (Diese Tatsache wird mehr und mehr durch die moderne Psychologie bestätigt, obwohl sich diese nur mit der niederen und nicht mit der höheren Kraft befasst – du solltest daher deine rationale Nase nicht über sie rümpfen.) Der Mensch macht viel intellektuelles und törichtes Wesen um die Resultate an der Oberfläche und schreibt sie alle seinem „edlen Selbst“ zu; dabei übersieht er die Tatsache, dass sein „edles Selbst“ für ihn tief hinter dem Schleier seines trübe funkelnden Verstandes und dem brodelnden Nebel seiner vitalen Gefühle, Emotionen, Impulse, Erregungen und Eindrücke verborgen ist. Daher ist dein Argument völlig absurd und nichtssagend. Unser Ziel ist es, die geheimen Kräfte aus ihrer Ummauerung heraus in das Freie zu bringen, sie herabstürzen und in Strömen fließen zu lassen, so dass wir nicht länger nur einige ihrer Schatten oder ihr Aufleuchten hinter dem Schleier flüchtig erblicken oder sie gar gänzlich eingeschlossen finden. Doch all dies auf einmal zu erwarten, ist eine anmaßende Forderung, die auf ungeduldige Unkenntnis und Unerfahrenheit hinweist. Wenn sie [die Kräfte] anfangs zu tröpfeln beginnen, reicht das aus, um den Glauben an ein künftiges Herabströmen zu rechtfertigen. Du gibst zu, dass du ein, zwei Mal eine Kraft herabkommen fühltest; das beweist, dass die Kraft da war und dass sie wirkt und nur dein mühseliges herkulisches Ringen daran schuld ist, dass du sie nicht fühlst. Dieses Tröpfeln gibt dir die Gewissheit, dass das Herabströmen möglich ist. Man muss nur weitergehen und sich durch seine Geduld das Herabströmen .verdienen oder aber, ohne es zu verdienen, sich treiben lassen, bis man es erhält. Im Yoga ist die Erfahrung als solche ein Versprechen und ein Vorgeschmack, doch sie verbirgt sich, bis die menschliche Natur für die Erfüllung bereit ist. Das ist etwas, was jedem Yogi vertraut ist, wenn er auf seine vergangenen Erfahrungen zurückblickt. Auf diese Weise musst du die kurzen Erscheinungen von Ananda betrachten, die du früher hattest. Es macht nichts, wenn du nicht die Zähigkeit eines Blutegels besitzt – Blutegel sind nicht der einzige Typ von Yogis. Wenn du dich nur irgendwie festklammern kannst oder etwas dich hält – das genügt!

      *

      Von diesen Dingen sollte man nicht sprechen, sondern sie verborgen halten... Selbst in gewöhnlichen, nicht-spirituellen Dingen ist die Tätigkeit unsichtbarer oder subjektiver Kräfte dem Zweifel und der Diskussion ausgesetzt, durch die man keine substantielle Gewissheit erlangen kann, während die spirituelle Kraft sowohl in sich unsichtbar als auch in ihrer Tätigkeit unsichtbar ist. Es ist daher ein müßiger Versuch zu beweisen, dass dieser oder jener Erfolg der Auswirkung spiritueller Kraft zuzuschreiben ist. Jeder muss sich hierüber seine