Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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allgemeinen Gebiet wissenschaftlicher Beobachtung und wissenschaftlichen Messens physischer Vorgänge und Bewegungen; doch wie willst du dies auf eine metaphysische Darlegung übertragen? Es wäre der Sprung über einen beträchtlichen Abgrund oder die gewaltsame Umwandlung einer Sache in eine andere, eines begrenzten physischen Ergebnisses in eine unbegrenzte, allumfassende Formel. Ich weiß nicht genau, worauf Einsteins Gesetz wirklich hinausläuft; doch es scheint nicht mehr zu bedeuten, als dass unsere wissenschaftlichen Messungen der Zeit und anderer Dinge unter den Bedingungen, unter denen sie stattfinden müssen, relativ sind, da sie der unvermeidlichen Begrenzung dieser Bedingungen ausgeliefert sind. Was man daraus metaphysisch folgern kann, hat der Metaphysiker zu entscheiden, nicht der Wissenschaftler. Die vedantische Auffassung bestand darin, dass sowohl das Mental als auch die Sinne eine begrenzte Macht sind, die sich ihre eigenen Darstellungen, Begriffsbildungen und Formungen errichtet und sie der Wirklichkeit auferlegt. Das ist eine viel größere und kompliziertere Angelegenheit, die bis in die eigentlichen Wurzeln unseres Daseins reicht. Ich glaube, dass es viele Auffassungen in der modernen Wissenschaft gibt, die diesen Standpunkt unterstützen, doch in der Wirklichkeit reichen sie nicht aus, ihn zu beweisen.

      Ich führe hier nur meine Einwände an. Ich selbst erkenne, dass gewisse grundlegende Wahrheiten allen Bereichen und der einen Wirklichkeit überall zugrunde liegen. Doch es besteht ebenfalls ein großer Unterschied in den Hilfsmitteln und Forschungsmethoden, die die Suchenden auf den verschiedenen Wegen (dem physischen, dem okkulten, dem spirituellen) verwenden, und zumindest für den Intellekt muss die Brücke zwischen ihnen noch geschlagen werden. Man kann zwar Ähnlichkeiten nachweisen, doch kann man durchaus behaupten, dass die Wissenschaft nicht dazu benutzt werden darf, Ergebnisse spiritueller Erkenntnis zu bestätigen oder zu stützen. Auch die andere Seite hat ihre Berechtigung, und am besten ist es, beide zu sehen – dies bedeutet daher nicht, dass deine These entkräftet werden soll.

      *

      Wie will Sir James Jeans oder irgendein anderer Wissenschaftler wissen, dass Leben durch einen „reinen Zufall“ entstanden sei oder dass es nirgendwo sonst im Universum Leben gäbe oder dass Leben woanders genau das gleiche sein müsse, die gleichen Voraussetzungen haben müsse wie unser Leben hier oder andernfalls nicht existieren könne? Dies sind rein mentale Spekulationen ohne irgendwelche innere Überzeugungskraft. Leben kann nur dann zufällig sein, wenn die gesamte Welt ebenfalls ein Zufall ist, etwas, das durch den Zufall entstand und vom Zufall beherrscht wird. Es ist nicht der Mühe wert, Zeit auf diese Art von Spekulationen zu verschwenden, denn sie sind nichts als das Geschwätz eines Augenblicks.

      Das stoffliche Universum ist nur die Fassade eines riesigen Gebäudes, hinter dem andere Gliederungen stehen, und erst wenn man das Ganze kennt, vermag man die Wahrheit des stofflichen Universums einigermaßen zu begreifen. Es gibt vitale, mentale und spirituelle Ebenen dahinter, die der stofflichen ihre Bedeutung verleihen. Angenommen die Erde wäre der einzige Bereich der spirituellen Evolution in der Materie, dann muss sie dies als Teil des Gesamtentwurfs sein. Die Vorstellung, alles Übrige sei Verschwendung, ist eine menschliche Vorstellung, die den weiten Kosmischen Spirit nicht berühren würde, dessen Bewusstsein und Leben überall ist, im Stein und Staub und im menschlichen Verstand. Doch dies ist eine spekulative Frage, die unserem praktischen Zweck gänzlich fern liegt. Was für uns zählt, ist die Entwicklung des spirituellen Bewusstseins im menschlichen Körper.

      In dieser Entwicklung gibt es Stadien, und die gesamte Wahrheit kann erst erkannt werden, wenn diese alle durchlaufen sind und das endgültige erreicht ist. Das Stadium, in dem du dich befindest, ist eines, in dem eine Verwirklichung des Selbstes sich abzuzeichnen beginnt, jenes Selbst, das frei ist von jeder Verkörperung und für sein immerwährendes Dasein unabhängig von ihr. Daher ist es etwas ganz natürliches, dass du die Verkörperung als ziemlich untergeordnet und – wie Jeans das Erdenleben – als beinahe zufällig empfindest. Dieses Stadium hielt der Mayavadin für ein endgültiges, und aus diesem Grund sah er die Welt als Illusion an. Doch dies ist nur eine Station auf unserer Reise. Jenseits dieses Selbstes, das statisch, abgesondert und formlos ist, gibt es ein größeres Bewusstsein, in dem das Schweigen und die Kosmische Aktivität geeint sind, doch in einem anderen Wissen, als es diese eingeschlossene Unwissenheit des verkörperten menschlichen Wesens ist. Dieses Selbst ist nur ein Aspekt der Göttlichen Wirklichkeit. Sobald man jenes größere Bewusstsein erlangt hat, erscheinen einem das kosmische Dasein sowie Form und Leben und Mental nicht länger als zufällig, sondern erhalten ihren Sinn. Selbst dort gibt es zwei Stufen, das Obermental und das Supramental, und erst wenn man das letztere erreicht hat, kann die volle Wahrheit des Daseins für das Bewusstsein ganz und gar wirklich werden. Beobachte deine Erfahrung und wisse, dass sie ihren Wert hat, dass sie als ein Stadium unerlässlich ist, doch betrachte die Erfahrung eines bestimmten Stadiums nicht als endgültiges Wissen.

      *

      Ich habe ihn [Bergson] nicht genug gelesen, um mich hinreichend äußern zu können. Soviel ich weiß, scheint er eine gewisse Erkenntnis der im Leben eingeschlossenen dynamisch-kreativen Intuition zu besitzen, doch nicht die wahre, überrationale Intuition von darüber. Sollte dies stimmen, dann ist seine Intuition, die er als das einzige Geheimnis der Dinge ansieht, lediglich eine zweitrangige Manifestation von etwas Transzendentem, das als solches nur die „Strahlen der Sonne“ ist [und nicht die Sonne selbst].

      *

      Nein, [Bergsons „elan vital“] ist nicht supramental. Doch Bergsons „Intuition“ scheint eine Lebens-Intuition zu sein, die natürlich das Supramental ist, bruchstückhaft und modifiziert, um als Wissen im „Leben-in-der-Materie“ zu wirken. Ich kann dies nicht mit Bestimmtheit behaupten, doch ist dies der Eindruck, den ich hatte. Er [Bergson]sieht Bewusstsein (cit) nicht in seiner essentiellen Wahrheit, sondern als schöpferische Kraft – eine Art transzendenter Lebens-Energie, die in die Materie herabkommt und dort wirkt.

      *

      [Elan-Vital:] Nicht Sachchidananda, sondern Chit-Shakti in der Verkleidung der Pranashakti. Bergson ist, glaube ich, Vitalist (im Gegensatz zu einem Materialisten einerseits und einem Idealisten andererseits) mit einer betonten Wahrnehmung der Zeit (in upanishadischen Zeiten erörterte man, ob Zeit nicht Brahman sei, und einige Schulen erhielten diese Idee aufrecht). Daher ist für ihn Brahman Bewusstseins-Kraft, Zeit-Kraft, Lebens-Kraft. Während er die letzten beiden deutlich sieht, scheint er das erstere, welches das Wahre hinter der Schöpfung ist, nur sehr verschwommen zu erkennen.

      *

      Instinkt und Intuition, wie sie von ihm [Bergson] beschrieben werden, sind vital, doch ist es möglich, eine entsprechende mentale Intuition zu entwickeln – das ist es vermutlich, was er vorschlägt –, die nicht das Denken zur Grundlage hat, sondern eine Art mentalen, direkten Kontakt zu den Dingen. Dies ist nicht genau Mystizismus, doch ein erster Schritt darauf zu.

      *

      Die wissenschaftlichen Gesetz geben nur eine schematische Darstellung des stofflichen Ablaufs in der Natur. Sie können als gültiges Schema benutzt werden, um nach Wunsch einen stofflichen Vorgang zu wiederholen oder auszudehnen, doch offensichtlich vermögen sie keine Darlegung der Sache selbst zu geben. Wasser ist zum Beispiel nicht nur eine Mischung aus Oxygen und Hydrogen, diese Kombination ist lediglich der Vorgang, der die Materialisation des neuen Dinges, Wasser genannt, möglich macht; was aber das neue Ding tatsächlich ist, ist eine andere Sache. Die Wirklichkeit besitzt verschiedene Ebenen der Substanz, grob, fein und feiner, die schließlich auf das zurückgeführt werden kann was die kausale Substanz genannt wird (karana). Was gröber ist, kann in den feinen Zustand reduziert und das Feine in den groben Zustand verwandelt werden; das ist Dematerialisation und Rematerialisation. Es sind okkulte Vorgänge, und sie werden im Allgemeinen als Magie angesehen. Meist weiß der Magier nicht von dem Warum und Wozu dessen,