Название | ADHS in Schule und Unterricht |
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Автор произведения | Manfred Döpfner |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170383487 |
Zusammenfassend ist hervorzuheben, dass bei der Betrachtung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen ein dimensionaler Blick notwendig ist anstatt eines kategorialen (Steinhausen, 2010). Außerdem ist die Symptomatik heterogen in ihrer Zusammensetzung, d. h. es existieren verschiedene Subtypen (Unterformen) des Störungsbildes (
Ein entscheidendes Kriterium für die diagnostische Beurteilung eines Kindes mit Symptomen einer ADHS stellen in der dimensionalen Betrachtung zwei Aspekte dar:
Eine über das normale Maß hinausgehende Symptomatik geht fast immer mit einem erhöhten Leidensdruck auf Seiten des Kindes und/oder der mit ihm interagierenden Gleichaltrigen bzw. Erwachsenen einher. Hierbei ist Wert darauf zu legen, dass dieser Leidensdruck nicht bei jedem betroffenen Kind vorhanden sein muss, vermutlich aufgrund der gestörten Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Im Regelfall ist es dann allerdings so, dass entweder die Eltern oder die Lehrpersonen einen erhöhten Leidensdruck zeigen aufgrund des stark erhöhten pädagogischen Aufwands, der im Umgang mit dem Kind zu tätigen ist. Pädagogische Bezugspersonen fühlen sich individuell entweder psychisch überlastet oder sie klagen darüber, dass hierunter andere Alltagspflichten in geringerem Ausmaß wahrgenommen werden können oder die Schülergruppe1, Geschwister oder der Lebenspartner bzw. der Lebenspartnerin weniger Zuwendung erfahren. Die Beziehung zwischen den pädagogischen Bezugspersonen und dem betroffenen Kind ist auf Dauer oft erheblich belastet.
Von einer ADHS betroffene Kinder und Jugendliche können darüber hinaus im Entwicklungsverlauf fast immer alterstypische Entwicklungsaufgaben im Lern-/Leistungsbereich oder bezogen auf das Sozialverhalten nicht erfolgreich tätigen. Es entsteht also mittelfristig sehr häufig ein hierauf bezogener Entwicklungsrückstand, welcher weitere sozio-emotionale Auffälligkeiten zum Vorschein bringt. In der dimensionalen diagnostischen Betrachtung der ADHS müssen deshalb stets immer beide Aspekte, d. h. Leidensdruck und sich auftuende Entwicklungsrückstände, beachtet werden bei der Einschätzung, ob es sich um eine behandlungsbedürftige ADHS handelt.
Tabelle 1.1 verweist nochmals auf die zusätzlichen Kriterien, die bei einer ADHS nach ICD-10 und DSM-5 erfüllt sein müssen (
Tab. 1.1: Zusätzliche diagnostische Kriterien für HKS/ADHS in ICD-10 und DSM-5 (adaptiert nach Steinhausen, Rothenberger & Döpfner, 2010, S. 22)
Abschließend ist festzuhalten, dass Kinder und Jugendliche mit einer ADHS nicht nur durch Lern- und Leistungsdefizite und Verhaltensstörungen negativ auffallen. Mit den Kernsymptomen sind oft auch positive Eigenschaften, zuweilen sogar Vorteile gegenüber den anderen Kindern und Jugendlichen verbunden. Rief (2003, S. 9) nennt folgende Eigenschaften: Ein hohes Maß an Energie, verbale und kommunikative Stärken, Spontanität, Kreativität, Unternehmungslustigkeit, künstlerische Begabung oder Warmherzigkeit. Kinder mit ADHS sind oft unterhaltsam, sensitiv für die Bedürfnisse anderer, hilfsbereit, humorvoll, begeisterungsfähig, unternehmungslustig, neugierig und reaktionsstark. In einer Interviewstudie mit von ADHS betroffenen Erwachsenen erwiesen sich mehrere positive Eigenschaften als charakterisierend: Energie, dynamisches Denken, divergentes Denken, Hyperfokus, Non-Konformismus, Abenteurertum und Selbstakzeptanz (Sedgwick, Merwood & Asherson, 2019). Gerade um das schwache Selbstwertgefühl der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu stärken, ist es wichtig, die Kompetenzen und Stärken zu erkennen und entsprechend zu fördern. Die diagnostischen, therapeutischen und pädagogischen Maßnahmen sollten dies stets berücksichtigen.
1.2 Subtypen der ADHS
Von pädagogischer Seite hören Spezialisten, die mit der Diagnostik und Behandlung von ADHS betraut werden, immer wieder den Einwand, eine ADHS komme nicht in Frage, weil der Schüler keine Hyperaktivitätszeichen aufweise oder weil die Aufmerksamkeitsprobleme gar nicht so sehr in den Vordergrund träten oder eher Probleme bei der Kontrolle der kognitiven sowie emotionalen Impulse vorlägen. In der Klassifikation nach DSM-5 geht das Störungsbild allerdings mit unterschiedlich dominierenden Symptomkategorien einher, bei denen die Kernsymptome unterschiedlich stark zur Ausprägung kommen, so dass diesen in der pädagogischen Praxis zu beobachtenden Konstellationen durchaus Rechnung getragen wird.
Grundsätzlich werden drei Subtypen voneinander unterschieden:
• Die vorwiegend unaufmerksame Symptompräsentation, bei der die Aufmerksamkeitsdefizienz im Vordergrund steht, Impulsivität und Hyperaktivität dagegen nur in geringerem Ausmaße oder gar nicht vorhanden sind. Auffällig ist, dass vorwiegend unaufmerksame Kinder eher introvertiert sind, d. h. insgesamt deutlich weniger auffallen als Kinder vom kombinierten Subtyp. Zugleich weisen sie häufig ein erhöhtes Maß an sozialer oder leistungsbezogener Ängstlichkeit sowie Trennungsängstlichkeit auf (Levy, Hay, Bennett & McStephen, 2005; Nigg, 2006; Spencer, Biederman & Wilens, 1999).
• Bei der kombinierten Symptompräsentation treten alle Kernsymptome in etwa gleich stark auf mit einer Häufigkeit von ungefähr 50 % (Nigg, 2006). Bei diesem Subtyp findet sich sowohl eine Häufung an internalisierenden (Ängste, depressive Symptome) als auch externalisierenden Störungen (aggressives und oppositionelles Verhalten) (Levy et al., 2005).
• Schließlich ist eine seltenere (in maximal 10 % der Fälle), hyperaktiv-impulsive Symptompräsentation zu benennen, bei der zwar motorische Unruhe und Impulsivität auftreten, die Aufmerksamkeitsproblematik dagegen deutlich geringer vorhanden ist. Meist haben die betroffenen Kinder erheblich mehr Sozialverhaltensprobleme als Lern- und Leistungsschwierigkeiten (Fischer, Barkley, Smallish & Fletcher, 2002).
1.3 Auftreten der Kernsymptome in der Schule
Die Symptome der ADHS zeigen sich im Rahmen der Schule mit Sicherheit nicht in jedem Kontext. Sie sind durchaus situationsabhängig und treten vor allem bei Aufgabenstellungen zutage, welchen ein hohes Maß an Routine und Wiederholungscharakter zu eigen ist. Des Weiteren sind sie eher erkennbar, wenn Selbstständigkeit bei der Arbeit gefordert wird. Schüler mit einer ADHS sind in Unterrichtseinheiten mit vielen Freiräumen häufig überfordert, weil sie die Aufmerksamkeit nicht angemessen zentrieren können und große Probleme bei der Selbstorganisation haben. Umgekehrt bedeutet ein hohes Maß an didaktischer Struktur und individueller Führung durch die Lehrperson häufig, dass die Symptomatik weniger zum Vorschein kommt. Charakteristisch ist im Übrigen, dass abwechslungsreiche und spannende Aufgabenstellungen die Aufmerksamkeit des Kindes stärker binden. Andere aufmerksamkeitsmodulierende Gesichtspunkte stellen beispielsweise das Maß an Ablenkbarkeit durch Geräusche im Klassenzimmer dar oder der Sitzplatz des Kindes im Unterricht. Hinzu kommt, dass die Aufmerksamkeitsdefizienz umso stärker in den Vordergrund drängt, je mehr ein Lerngegenstand auch mit fachlichen Schwächen des Kindes – beispielsweise einer Lese-/ Rechtschreibstörung – einhergeht. Schließlich ist anzumerken, dass die Kernsymptome der ADHS, insbesondere die Unaufmerksamkeit, nicht in der Form zu interpretieren sind, dass sich die Kinder überhaupt nicht konzentrieren können. Bei für die Betroffenen motivational