Sommergewitter. Erich Loest

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Название Sommergewitter
Автор произведения Erich Loest
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963115202



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bildeten sie sich als Nahrungsreserven fürs Kerlchen. Er widersprach: Keine Spur von! Ob in ihr wohl jetzt der Verdacht keimte, er könnte sie bald nicht mehr reizvoll finden, könnte fremdgehen, wie sie geargwöhnt hatte, als das Bienchen unterwegs gewesen war – den Verdacht war sie wohl immer noch nicht los, damals hätte sich etwas zwischen ihm und Gitta Gärtner abgespielt. Auch das war ein Argument dafür, nicht allein nach Mecklenburg zu gehen. Clara würde ihn verdächtigen: Sie mit dickem Bauch in Bitterfeld und er in einem Tanzschuppen in der Taiga mit Melkerinnen und Fischweibern. Clara war keine, die derlei in sich hineinfraß. Wegen Gitta hatte sie geradezu getobt – nee, mit Gitta nie wieder das Geringste. Diese verdammte Geilheit. War immer Mist, im Freundeskreis zu wildern, dann lieber Mecklenburg, ach du elende Zwickmühle, er war doch kein Rumtreiber, verzichtete auf fast jede Gelegenheit, neulich in der Bahn, als er von Halle gekommen war – jeder andere hätte zugegriffen.

      »Lieber so«, Clara drehte sich halb zur Seite.

      3

      »Wir ham ausgemacht: Der Vorgarten gehört mir.«

      »Aber die Ecke am Weg …«

      Hochnebel ließ Gase und Rauch nicht weichen. Das Licht war fahl, vor dem Horizont klebte eine lilafarbene Dunstbank, die nach unten stumpfgrau wurde. Undenkbar, jetzt Wäsche aufzuhängen; sie gilbte, selbst wenn kein Ruß fiel. Das Ehepaar Mannschatz stritt sich. Dabei hob weder sie noch er die Stimme und gönnte dem Partner nach jedem Satz eine Pause. Vierzig Jahre Gemeinsamkeit hatten einen Debattierstil ausgebildet, den ein Außenstehender als nahezu gemütvoll hätte empfinden können. »Ich hab aber sieben Pflanzen übrig, Herta.«

      Wenn sie nachgab, würde sie Wochen brauchen, die Verhältnisse wieder hinzubiegen. Wenn sie ihm eine Spatenbreite Erde abtrat, kassierte er das halbe Beet, sozusagen. »Die kriegst du hinten neben dem Salat auch unter. Wie sieht denn das aus, Tabak vorne an der Straße!«

      »Wenn der erst blüht!« Er wußte, daß er im Unrecht war, murmelte noch, Dahlien könne man ooch nich essen, und wartete matt auf die Entgegnung, mit Tabak sei das keineswegs anders.

      »Könnt ihr euch nicht endlich die Raucherei abgewöhn?«

      Er legte die Pflänzchen in den Spankorb zurück und erwog, sie zwischen die Stangenbohnen zu quetschen – auch keine Lösung.

      »Übrigens Clärchen. Du merkst nischt! Wie ihr die Sache mit Mecklenburg auf die Nerven gegangen is.«

      »Bei uns könnt’s eng werden. Das ist nich gut für unsre Nerven.« Er registrierte einen abschätzigen Blick aus schmalen grauen Augen zu sich hinauf, den hatte er immer gemocht als Zeichen von Energie und Witz. »Wenn es in Bitterfeld mit dem Wohnungsbau richtig los geht, hat Hartmut alle Chancen. Vielleicht werden sich die Genossen hier ’ne kleine Stalinallee leisten.«

      »Jedenfalls, ich seh’s an Clärchens Augen, es wird ’n Junge.«

      »Na, altes Wahrsageweib!« Jetzt lachten sie beide.

      Er stellte die Pflanzen in den Keller und deckte sie mit einem nassen Lappen zu. Großergott! Hatte er ernsthaft erwogen, mit Clara über das zu reden, was er plante? Was er für unausweichlich hielt? Vielleicht, und das wäre natürlich beschissen, hoffte er schlicht auf Mitleid.

      Er stand vor den Kaninchenboxen. Allmählich wurde ihm bewußt, daß er zusammengeklumptes feuchtes Gras aus den Ecken klaubte und in einen Eimer warf. Jetzt an Bahndämmen entlang radeln und schauen, wo er einen Korb Futter schneiden konnte. Oder die Kartoffelzeilen durchhacken – er würde von seinem Grübeln nicht loskommen und im Innern wiederholen: Ich bin seit mehr als vierzig Jahren in der SPD oder der USPD und nun in der SED; als ich eintrat, lebte August Bebel noch. Pfefferkorn nicht erwähnen, aber sich ausmalen, auch der säße am Leitungstisch und starrte ihn mit entsetzten runden Augen an. Solche wie Pfefferkorn hatten immer alles sofort begriffen, beim Hitler-Stalin-Pakt und der Teilung Polens und selbstverständlich bei der Märzaktion, als die KP-Führung in Berlin bleiern schwieg und sie vorn Scheiße fressen mußten, und Pfefferkorn hatte ihn aus der Saale gezogen.

      Als er in der Nähe des Zauns hackte, sah er, daß eine Latte locker war. Er brauchte einen einzigen Nagel, den würde er im Schuppen aus einer alten Blechbüchse klauben und sich zurechtklopfen müssen. Pfusch an Hartmuts Rohrbrücke und keine Schweißelektroden, aber Stalinallee, stürmisch im Vorwärtsschreiten, Hochöfen und Walzstraßen und Henneckeschichten, dann wird es auch Nägel in Hülle und Fülle regnen! Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben! Das schrie Genosse Sindermann über den Marktplatz von Halle am ersten Mai, und alle jubelten außer dem Miesepeter Mannschatz. Und daß er an einen simplen Nagel und nicht leuchtenden Auges an drei mächtige neue Hochöfen dachte, war der verdammte heimliche kleinliche schäbige Sozialdemokratismus. Er fragte sich, ob er das ohne die Prasserei neulich auch so formulieren würde. Pfefferkorn und Sindermann im KZ, KP-Adel, und die SA befand den schlichten SP-Hefteverteiler Mannschatz nicht einmal einer Tracht Prügel für würdig.

      Beim Mittagessen redeten sie wieder von Clara und dem Würmchen und versuchten sich vorzustellen: Nicht nur der Opa wäre demnächst ständig daheim, sondern auch die stillende Clara mit dem Baby. Thomas und Bienchen brauchten jedes Jahr mehr Raum. Fraglich, ob sie bis zum Winter einen neuen Kachelofen auftreiben konnten. Wohin mit den Windeln? In zwei Jahren hörte Herta zu arbeiten auf, dann war auch sie immer hier. Und in dieser Situation, dachte Mannschatz, sorge ich für einen unfaßbaren Krach.

      Am Nachmittag zog er sein bestes Hemd und eine saubere Hose an und ging zum Frisör. Zwei Burschen, einer unter Kalkows Schere, der andere auf einem Wartestuhl, unterhielten sich über Möglichkeiten, Rohtabak gegen »Aktive« zu tauschen; in Wolfen ginge das ruckzuck bei zwanzigprozentigem Gewichtsabzug. Auf dem Schwarzen Markt koste eine Lulle dieser Art immer noch sechs Märker, eine Amizigarette kriege keiner unter zwölf. Mannschatz hörte lustlos zu.

      »Der nächste bitte!« Wie’s denn sein sollte? Alles glatt nach hinten? Alles für seine fahlen Reste fand Mannschatz erheiternd. Und sonst? Jeden Monat ’nen Monat älter. Merkte man an den Kindern. Bienchen schon vier? Niedliches Dingelchen. »Tja, Fred, wir kennen uns nun seit dreißig Jahren, und auf einmal bin ich dein Feind.«

      »Was für Zeug?«

      Und Kalkow berichtete, er kriege keine Lebensmittelkarten mehr, denn er sei Kaufmann, Händler, Ausbeuter. Allerdings beute er lediglich sich selber aus, oder wie sollte er das sehen?

      »Ist doch Mist, Hans, was du da redest.«

      Mist oder nicht, jedenfalls Tatsache. Obwohl er nirgendwo schmarotze, müsse er nun sein bißchen Eßzeug in der HO kaufen, und dort sei alles drei- oder fünfmal so teuer. Aber wochenlang kriege er in der HO weder Butter noch Margarine. Denn er handele mit Zahnpasta und Kämmen und Haarnadeln und ähnlichem Kroppzeug. Gesetz, basta. »Ich freue mich riesig über deinen Sozialismus.«

      Nun gab es ein paar Möglichkeiten. Den Umhang runterziehen und wortlos fortrennen oder sagen, knallhart sagen, aber was bloß. Pfefferkorn würde jetzt seine Argumente rausknallen, wer nicht für uns ist, ist gegen uns, die Kleinbürger waren immer die ersten Verräter, aber Kalkow war nicht in der NSDAP gewesen und noch nicht mal in der Wehrmacht.

      »Ich wollt dich nicht ärgern, Fred.«

      »Hast du auch nicht.« Natürlich doch. Kalkow war viel zu gescheit fürs Haareschneiden. »Du kennst mich.« Diese Bemerkung nutzte nicht das Geringste.

      »Ob sie meiner Frau auch keine Karten mehr geben, hab ich noch nicht rausgefunden. Die Hungerration für ’ne Hausfrau wird nun vielleicht ooch gestrichen.«

      Nun müßte Kalkow bloß noch sagen: Bist in der Partei, Fred, die Partei ordnet das an, also ordnest du das an. Wo ein Genosse ist, da ist die Partei – hübscher Spruch. Mannschatz hatte schon fünf Minuten lang nichts erwidert, Kalkow schwieg auch. Hatte wohl keine Lust, aufs Wetter zu kommen. Mannschatz hatte nicht aufgetrumpft: Ich mache bei der Kreisleitung ein Faß auf, die müssen in Berlin protestieren, aber die da oben werden die Verantwortung nach unten abschieben wie gewöhnlich, auf Bezirksebene sei es zu Überspitzungen gekommen. Wie früher: Wenn das der Führer wüßte!

      Eine Frau trat mit einem Jungen ein, nun war es erst