Jungsteinzeit. Silviane Scharl

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Название Jungsteinzeit
Автор произведения Silviane Scharl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170367425



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die archäologischen Quellen in Zentralanatolien.

      Die Ausbreitung der Nahrungsmittelproduktion nach Westen

      Während der südostanatolische Raum Teil des Fruchtbaren Halbmondes und damit der vorangehend beschriebenen Entwicklungen ist, setzt die Besiedlung durch sesshafte Bevölkerungsgruppen in den weiter westlich gelegenen Regionen wie Zentralanatolien nach derzeitigem Kenntnisstand erst zur Zeit des PPN B ein. Ein bereits seit einigen Jahren intensiv untersuchter Fundort ist Aşıklı Höyük in Kappadokien. Dort errichteten Menschen um die Mitte des 9. Jahrtausends v. Chr. mehrere Rundhütten, die um einen Hofplatz gruppiert waren. Die darauffolgende Besiedlungsphase ist hingegen durch eine große Zahl rechteckiger Häuser gekennzeichnet, die aus Lehmziegeln errichtet und dicht aneinandergesetzt waren. Sie bestanden aus ein bis zwei, selten drei Räumen von ca. 3 x 4 m Fläche, der Zugang wird über das Dach rekonstruiert. Die Wände waren innen und außen mit weißer Tonerde verputzt und teilweise mit farbigem Putz bedeckt. Im Innenraum fanden sich Feuerstellen. Unter den Fußböden konnten wiederholt Bestattungen dokumentiert werden. Die Toten waren mit angehockten Beinen in geflochtene Matten gewickelt worden, teilweise mit Ocker bestrichen und mit Beigaben wie Schmuck aus Stein, Tierzähnen oder Kupfer- bzw. Malachitperlen ausgestattet worden18.

      Die Bewohner von Aşıklı Höyük deckten ihren Fleischbedarf durch Jagd, wobei im Tierknochenspektrum im Lauf der Zeit Schaf und Ziege an Bedeutung gewannen. Deren Altersstruktur und Herdenzusammensetzung deutet auf ein frühes Management durch den Menschen hin. Dies wird durch Dungfunde innerhalb der Siedlung bestätigt19. Darüber hinaus ist die Nutzung von domestiziertem Getreide (Einkorn, Emmer, Hartweizen) dokumentiert, das jedoch zu diesem Zeitpunkt noch eine untergeordnete Rolle für die Ernährung spielte20.

      In der ebenfalls in Zentralanatolien gelegenen Siedlung von Çatal Höyük, die in der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. gegründet wurde, lässt sich hingegen eine deutlich intensivere Nutzung von Kulturpflanzen belegen. Darüber hinaus ist die Haltung domestizierter Schafe und Ziegen dokumentiert. Eine weitere Neuerung, die u. a. in Çatal Höyük fassbar wird und deren Auftreten insbesondere im europäischen Raum die Anfänge des Neolithikums markiert, ist die Keramikproduktion. Sie leitet das sog. keramische Neolithikum (Pottery Neolithic) ein. Als möglicher Grund für diese Innovation wird u. a. eine veränderte Speisenzubereitung diskutiert, da die meisten Keramikgefäße, die wir z. B. aus Çatal Höyük kennen, offenbar in erster Linie zum Kochen verwendet worden waren21.

      Da die Funde und Befunde in Aşıklı Höyük und Çatal Höyük sowohl Parallelen als auch Unterschiede (z. B. Architektur) zu den Siedlungen im Fruchtbaren Halbmond aufweisen, stellt sich die Frage, wie sich die neue Lebens- und Wirtschaftsweise nach Westen verbreitet hat. Aufgrund fehlender Nachweise für eine Besiedlung durch mobile Wildbeuter in den unmittelbar vorangehenden Jahrtausenden wurde die Neolithisierung bislang mit der Einwanderung Landwirtschaft betreibender Gruppen aus dem Fruchtbaren Halbmond erklärt. Das dort dokumentierte Bevölkerungswachstum und der Abbruch der Besiedlung am Ende des PPN B (Abwanderung?) untermauerten dieses Erklärungsmodell. Mittlerweile liegen jedoch auch aus dem zentralanatolischen Raum vereinzelt Belege für eine epipaläolithische, zeitlich vorangehende Besiedlung durch Wildbeutergruppen vor, wie z. B. am Fundort Pınarbaşı in der Konya-Ebene22. Dort konnten in einem Abri dünne Nutzungshorizonte sowie eine Bestattung dokumentiert werden, die eine vorneolithische Besiedlung belegen. Die identifizierten Rohmaterialien wie Obsidian, die aus einem Umkreis von bis zu 150 km stammen, deuten auf sehr mobile Gruppen hin, die diesen Ort wiederholt aufsuchten, um Wildrinder und Equiden zu jagen und Fische aus einem nahegelegenen See zu fangen. Im 9. Jahrtausend v. Chr. entstand an dessen Ufer schließlich eine kontinuierlich belegte Siedlung, in deren unteren Schichten Hüttenreste in Form großer ovaler und verputzter Eintiefungen dokumentiert wurden, für die Aufbauten aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk rekonstruiert werden. Zudem fanden sich sechs Gräber, in denen die Toten mit Ocker bestreut und mit Pfeilspitzen bestattet wurden. Dies spiegelt ältere Traditionen wider, die die kontinuierliche Entwicklung vom Epipaläolithikum ins Neolithikum in Zentralanatolien ebenfalls untermauern23. Es ist daher durchaus zu diskutieren, welche Rolle der Transfer von Ideen, getragen von mobilen Wildbeutergruppen, für die Ausbreitung der frühen Nahrungsmittelproduktion gespielt hat.

      Anfänge in Europa

      Diese Aspekte sind auch und aufgrund jüngerer Forschungsergebnisse ganz besonders für den ägäischen Raum relevant (image Abb. 2.6). Dort treten ab der Mitte und in der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. ebenfalls erste Belege für Kulturpflanzennutzung und Haustierhaltung auf (z. B. auf Knossos/Kreta, in Thessalien/Griechenland oder in Westanatolien). Lange Zeit wurde auch für deren Entstehung eine Einwanderung aus den weiter östlich gelegenen Regionen diskutiert. In jüngerer Zeit mehren sich jedoch wie bereits für Aşıklı Höyük und Çatal Höyük die Belege für die Existenz mobiler Wildbeutergruppen, die in dieser Region nicht nur die Ressourcen auf dem griechischen Festland, sondern auch auf den ägäischen Inseln nutzten. Dies setzt gewisse nautische Kenntnisse voraus. Darüber hinaus spiegelt die räumliche Verbreitung spezifischer Rohmaterialien – wie Obsidian (vulkanisches Glas aus dem durch Schlagtechniken schneidende Werkzeuge hergestellt wurden) von der Insel Melos – die Existenz weiträumiger Netzwerke. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass die Kenntnisse zur frühen Landwirtschaft über diese bereits zuvor existierenden, die Ägäis überspannenden Netzwerke vermittelt wurden. Genetische Analysen an einzelnen neolithischen Individuen zeigen wiederum große Ähnlichkeiten zwischen Individuen aus der Marmara-Region/Türkei, Nordgriechenland und dem südlichen Zentralanatolien, wobei derzeit unklar ist, wie die gesamte räumliche Verteilung dieser genetischen Muster zu rekonstruieren ist. Südgriechenland scheint sich hingegen genetisch hiervon zu unterscheiden. Dies wird dahingehend interpretiert, dass die Neolithisierung dieser Regionen auf der Ausbreitung bäuerlicher Gruppen aus weiter östlich gelegenen Regionen (zentrales und südliches Anatolien) basierte, aber unterschiedliche Routen nahm. Dabei – so die Idee – könnten die bereits bestehenden Netzwerke diesen Prozess gefördert haben24.

      Ein vollwertiges Neolithikum mit dorfähnlichen Siedlungen, deren Bewohner von Landwirtschaft lebten und die von Beginn an Keramik produzierten, fassen wir schließlich in Thessalien um 6450/6300 v. Chr. (z. B. Argissa Magoula, Gediki, Sesklo). Ab dem Ende des 7. Jahrtausends v. Chr. werden auch in den angrenzenden Regionen wie im griechischen Makedonien und Thrakien zahlreiche neue Siedlungen gegründet, zu Beginn des 6. Jahrtausends v. Chr. schließlich auch auf der griechischen Halbinsel Peloponnes.

      Die weitere Ausbreitung erfolgte grob in zwei westwärts gerichteten Strömungen – nach Nordosten in den südosteuropäischen Raum hinein bis nach Mitteleuropa und entlang der nördlichen Mittelmeerküste bis nach Südfrankreich und auf die Iberische Halbinsel. Dieser Prozess verlief nach heutigen Erkenntnissen sehr schnell. Betrachtet man die Ausbreitung über die Balkanhalbinsel nach Mitteleuropa hinein, so treten gleichzeitig mit der Aufsiedlung des ägäischen Raumes um 6000 v. Chr. die ältesten neolithischen

Images

      Siedlungen in den Gebieten der heutigen Staaten Bulgarien, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Bosnien, Serbien, Rumänien und Ungarn auf. Allen gemein sind der dorfähnliche Charakter der Siedlungen, die Herstellung von Keramik und eine agrarische Wirtschaftsweise. Regional lassen sich jedoch Unterschiede fassen. So handelt es sich in manchen Regionen um Flachsiedlungen (z. B. Strumatal/Bulglarien, Körös-Region/Ungarn), in anderen dagegen um Siedlungshügel, sog. Tellsiedlungen (z. B. Thessalien, Thrakien). Auch die Bauweise der Häuser – in der Regel unterschiedliche Formen von Lehm-Flechtwerk-Architektur – variiert regional, u. a. abhängig vom lokal verfügbaren Baumaterial und dem spezifischen Naturraum. Der Einfluss des Naturraums könnte auch die regionalen Unterschiede in der Bedeutung verschiedener Haustierarten