Jungsteinzeit. Silviane Scharl

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Название Jungsteinzeit
Автор произведения Silviane Scharl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170367425



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In den letzten Jahren sind nun jedoch diverse neue Arbeiten erschienen, die es lohnend erscheinen lassen, sich das Mesolithikum Mitteleuropas im Hinblick auf seine Rolle für das nachfolgende Neolithikum noch einmal genauer anzusehen.

      Eine Zeit des Umbruchs – Klima- und Landschaftswandel

      Die ab dem frühen Holozän einsetzende Wiedererwärmung brachte einen enormen Landschaftswandel mit sich, der u. a. mithilfe der Pollenanalyse untersucht wird. Hierfür werden in sog. Pollenarchiven wie Seen oder Moorablagerungen Bohrkerne gewonnen und die darin enthaltenen Pollen ausgezählt und zeitlich eingeordnet. Anhand dieser Untersuchungen können dann z. B. Aussagen zur Waldzusammensetzung in bestimmten Zeiten, zu Waldauflichtungen oder generell zu Vegetationsveränderungen getroffen werden.

      Der im Holozän einsetzende Landschaftswandel betraf sowohl die Küsten, die sich durch das abschmelzende Eis deutlich veränderten, als auch das Festland, das durch die steigenden Temperaturen eine massive Vegetationsveränderung erfuhr (image Abb. 4.2). Waren im Pleistozän in den Kaltzeiten (z. B. Jüngere Dryas) tundrenartige Landschaften und in den Warmphasen (z. B. Alleröd) lichte Wälder prägend, setzte zu Beginn des Holozäns aufgrund der Erwärmung eine langsame Wiederbewaldung ein. Im frühen Mesolithikum, im sog. Präboreal (ca. 9650–8600 v. Chr., Pollenzone IV), entstand ein lichter Birken-Kiefern-Wald, in dem vor allem Rothirsch, Reh, Auerochse und Wildschwein heimisch waren, die als standorttreues Wild bezeichnet werden können. Die großen Rentierherden verschwanden dagegen bzw. zogen sich nach Norden zurück. Der Wald wurde in den folgenden Jahrtausenden immer dichter. Im Lauf des nachfolgenden Boreals (ca. 8600–7000 v. Chr., Pollenzone V) sind bereits erste Mischwälder aus Kiefer und Eiche kennzeichnend und die Hasel gewinnt an Bedeutung. Es existierten nun regelrechte Haselhaine (sog. Haselmaximum), bis dann im Atlantikum (ab ca. 7100–3750 v. Chr., Pollenzone VI) schließlich relativ dichte Eichenmischwälder mit Linde, Esche, Erle, Ulme, Eiche und Ahorn entstanden, die Hasel hingegen wieder zurückging. Der Temperaturanstieg nach dem Ende der Eiszeit erreichte nun seinen Höhepunkt, zudem gab es mehr Niederschläge4.

      Der Klimawandel veränderte aber auch unsere Küsten (image Abb. 4.3). Das durch die Wiedererwärmung ausgelöste Abschmelzen des Eisschildes

      Abb. 4.2: Von links nach rechts im Uhrzeigersinn: typische Vegetation und Fauna des Alleröd, der Jüngeren Dryas (beide am Ende des Pleistozäns), des Präboreal und des Boreal in Mitteleuropa.

      führte zu einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels (an der Nordseeküste 120 m vom niedrigsten Stand während des letzten glazialen Maximums bis zum Ende des Mesolithikums; sog. eustatischer Meeresspiegelanstieg), wodurch sich die Küstenlinien des nördlichen Mitteleuropas weit in das bis dahin bestehende Hinterland verschoben. Doggerland – das Festland, das in den pleistozänen Kaltzeiten die britischen Inseln mit dem Kontinent verbunden hatte – wurde zu einer Insel in der Nordsee, die jedoch unter dem weiter steigenden Meeresspiegel am Ende des 7. Jahrtausends v. Chr. ganz verschwand. Um diese Zeit brach auch die bis dahin noch bestehende Landverbindung zwischen Südengland und dem Kontinent endgültig ab5.

      Auch die heutige Ostsee durchlief durch den Meeresspiegelanstieg ebenso wie durch die Hebung des Landes infolge verminderten Drucks durch das abschmelzende Eis (sog. Isostasie) eine deutliche Veränderung. Am Beginn des Holozäns handelte es sich um ein mit Gletscherwasser

      Abb. 4.3: Zeitlich differenzierte Kartierung der Küstenlinie und der Vergletscherung in Mittel- und Nordeuropa. Hellblaue Signatur: große Seeflächen.

      verfülltes Becken, das als »Baltischer Eisstausee« bezeichnet wird. Durch den Meeresspiegelanstieg bildete sich jedoch am Ende des 10. Jahrtausends v. Chr. eine Verbindung zum Meer aus und das sog. Yoldiameer entstand, benannt nach einer in dieser Zeit dort vorkommenden Muschelart, der sog. Yoldia arctica. Die isostatische Landhebung führte jedoch im 9. Jahrtausend v. Chr. dazu, dass diese Verbindung erneut abriss, sodass nun der sog. Ancylussee entstand, benannt nach der dort vertretenen Süßwasserschnecke Ancylus fluviatilis. Im 7. Jahrtausend v. Chr. kam es erneut zu einem Durchbruch zum Meer und das sog. Littorina-Meer entstand (benannt nach der »Großen Strandschnecke« Littorina littorea). Diese vergleichsweise rasche Abfolge von Meeres- und Seestadien brachte einen wiederholten Wechsel der Fauna (marine Arten wechselten mit aquatischen Arten) und damit einhergehend der Nahrungsgrundlagen mit sich6.

      Da sich die Küstenlinie während des Mesolithikums deutlich ins Landesinnere verschob, wurden Lagerplätze entlang ihres ehemaligen Verlaufs überschwemmt. Frühmesolithische Küstenfundplätze werden in Nord- und Ostsee daher mithilfe der Taucharchäologie entdeckt und erforscht. Im Inland hinterließ das abschmelzende Eis ebenfalls Wasserflächen und das gestiegene Grundwasser führte z. B. im Gebiet der heutigen Nordseeküste und ihrem Hinterland im Lauf der Zeit zur Bildung zahlreicher Niedermoore.

      Holozäne Wildbeuter im archäologischen Befund und die Frage nach Kontinuität

      Die Menschen im Mesolithikum lebten – wie schon zuvor in der Altsteinzeit – als mobile Jäger und Sammler. Aber die veränderte Umwelt machte auch veränderte Jagd- und generell Subsistenzstrategien notwendig. Im archäologischen Fundmaterial ist dies z. B. an den im Vergleich zur vorangehenden Altsteinzeit veränderten Steingerätetypen erkennbar. So gewannen die bereits erwähnten Mikrolithen nun massiv an Bedeutung. Diese dienten als Geschossspitzen (image Abb. 4.1). Während die pleistozänen Jäger noch mit der Speerschleuder jagten, wurden im Wald bzw. im dichten Unterholz nun Pfeil und Bogen zur wichtigsten Jagdwaffe (erste Belege für deren Nutzung datieren jedoch noch in das späte Paläolithikum). Weiterhin wurden Harpunen aus Knochen als Jagdwaffe genutzt, z. B. um Meeressäuger zu erlegen. Analysen an Tierknochen zeigen, dass nun Rotwild, Damwild oder Wildschwein zur Jagdbeute gehörten und nicht mehr Rentier oder Wildpferd, wie es im Pleistozän noch der Fall war.

      Dabei unterliegen die Mikrolithen stilistischen (sog. typologischen) Veränderungen, die eine interne zeitliche Gliederung des Mesolithikums ermöglichen, auch wenn keine absoluten Daten zur Verfügung stehen. Für das frühe Mesolithikum sind einfache Spitzen kennzeichnend, die dann von sog. Dreiecksmikrolithen abgelöst wurden. Die Feuersteinklingen, die zur Herstellung dieser Geschoss-Spitzen und anderen Feuersteingeräten genutzt wurden (image Kap. 11), sind zu dieser Zeit noch unregelmäßig geformt. Im Rheinland, im heutigen Belgien, in den Niederlanden und in Ost-Frankreich finden sich auch flächenretuschierte Mikrolithen der sog. Rhein-Maas-Schelde Kultur. Im späten Mesolithikum sind regelmäßige Klingen in Drucktechnik kennzeichnend, aus denen u. a. die für diese Zeit typischen Trapezmikrolithen (auch Querschneider oder Pfeilschneiden genannt) hergestellt wurden. Letztgenannte sind trapezförmig und wurden mit der längeren Schneide in Schussrichtung geschäftet, d. h. in einem hölzernen Pfeilschaft fixiert (image Abb. 4.1). Sie dringen nicht so leicht in die Beute ein, verursachen aber stark blutende Wunden, die möglicherweise das Ziel hatten, die Verfolgung der getroffenen Beute zu erleichtern. Querschneider sind auch noch in der nachfolgenden Jungsteinzeit in Gebrauch, weshalb diskutiert wird, ob es sich hier um ein Indiz für kontinuierliche Entwicklungen am Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum handelt7.